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Expertenbeitrag

Digitale Verwaltung: Es ist Zeit für „The Great Reset“

Um der Digitalisierung der Verwaltung endlich Schwung zu verleihen, ist für Robert Müller-Török, Professor für E-Government, ein Neustart nötig. Im Expertenbeitrag erklärt er, welche Strukturen sich dafür grundlegend ändern müssten. 

Neustart bitte: Unkoordinierte Digitalprojekte anhalten, ist für E-Government-Experte Müller-Török jetzt geboten.

Kristijan - stock.adobe.com)

Am 31. Dezember 2022 hätte die gesamte deutsche Verwaltung digitalisiert sein müssen. Paragraf 1 des Onlinezugangsgesetz (OZG) lässt da keinen Interpretationsspielraum. Ebenso wenig Interpretationsspielraum bieten die vielen Rankings der EU, UNO und OECD: Deutschland ist, was Verwaltungsdigitalisierung betrifft, der kranke Mann Europas.

Bezeichnend hierfür ist der Auftritt des Bundesministers Cem Özdemir (Grüne) auf der Smart Country Convention 2023, wo er berichtete: „Ich war neulich zum zweiten Mal in der Ukraine und ich war geflasht, dass die eine Behörden App haben, die für den digitalen Führerschein ebenso funktioniert wie für die Steuererklärung“. Und: „Wir sollten von unserem hohen Ross heruntersteigen und uns ansehen, wie die Ukraine Verwaltungsdigitalisierung macht“.

Hochgradig riskante nationale Alleingänge

Die Kommunen bemühen sich redlich, leiden aber darunter, dass es Bund und Länder seit Jahrzehnten nicht schaffen, die primitivsten Grundlagen für eine digitalisierte Verwaltung zu schaffen, ohne die es nicht geht: Zuerst braucht es einheitliche und zentrale Register. Circa fünfeinhalbtausend Melderegister sind im 21. Jahrhundert eine Absurdität. Sie beizubehalten, verunmöglicht Verwaltungsdigitalisierung bis ins 22. Jahrhundert. So schreibt dieser Tage die Computerzeitschrift „c’t“, dass Datenschutzbedenken und Differenzen zwischen Bund und Ländern das Projekt Registermodernisierung scheitern lassen. Dazu hochgradig riskante nationale Alleingänge wie das „Datenschutzcockpit“ werden das Projekt so verkomplizieren, dass es, genau wie das Projekt „Entwicklung eines bundeseinheitlichen Datenbankgrundbuches“, auch nach 20 Jahren nicht fertig sein wird.

Zum Zweiten ist eine einheitliche und verbreitete Elektronische Identität (eID) samt qualifizierter elektronischer Signatur nötig, die für den Bürger gratis und leicht zu bedienen ist. Die Österreicher feierten 2023 20 Jahre Bürgerkarte und kürzlich 15 Jahre Handysignatur. Beide haben Nutzerzahlen, an welche die 2010 eingeführte und seither notleidende eID/nPA nicht herankommt.

Drittens braucht es einheitliche Gesetze: 17 allgemeine und unterschiedliche Verwaltungsverfahrens- beziehungsweise –zustellgesetze sind Digitalisierungsbremsen.

Kommunen können wenig bis nichts tun

Was können die Kommunen ohne diese Basis in der Digitalisierung noch tun? Um ehrlich zu sein: wenig bis nichts. Wie soll man zum Beispiel die Echtheit eines digital vorgelegten Zeugnisses prüfen, wenn es von der ausstellenden Einrichtung nicht digital signiert wurde und auch kein bundes- oder landesweites Register aller Zeugnisse existiert?

Wir alle erleben, wo Verwaltung papierbasiert und ineffektiv ist. Das Mitführen von Papierführerschein und Papierzulassungsbescheinigung – in Ungarn seit 2023 nicht mehr notwendig – scheitert daran, dass der Gesetzgeber zwar ein zentrales Fahrzeug- und Führerscheinregister in Flensburg betreibt, dieses aber nur eine mehr oder minder aktuelle Kopie ist: Denn nach dem Straßenverkehrsgesetz sind unverändert die Register der dezentralen Zulassungsbehörden führend beziehungsweise die Register der dezentralen Führerscheinbehörden.

Also sogar dort, wo Unionsrecht zentrale Register ermöglicht hätte, hat die BRD darauf verzichtet. So stellt das Kraftfahrtbundesamt ein 70-seitiges Anschriftenverzeichnis aller Zulassungs- und ein 56-seitiges Verzeichnis aller Fahrerlaubnisbehörden zur Verfügung. Dass es in digitalisierten Ländern wie dem Vereinigten Königreich eine Zulassungsbehörde gibt und in Österreich seit nunmehr 30 Jahren keine einzige mehr, das ist dem Föderalstaat egal.

Zentrale Register sind der „Single Point of Truth“

Wie kann nun ein Ausweg aussehen? Zunächst wäre einmal auf die Stopptaste zu drücken und alle laufenden, völlig unkoordinierten Digitalisierungsprojekte anzuhalten. Danach ein nationaler Digitalisierungskonvent, der auch vor notwendigen Änderungen der Kompetenzordnung des Grundgesetzes nicht zurückschreckt. Sodann braucht es die Richtlinienkompetenz des Bundes, ein zentrales Programmmanagement und Projektcontrolling zumindest auf Bund- und Länderebene. Zentrale Register sind dabei der „Single Point of Truth“. Weiters sind ein verbindlicher Styleguide für alle e-Government-Anwendungen sowie eine einzige eID und eine einzige e-Zustellung dringend nötig.

Die Alternative wäre wohl, dass Bürger weiterhin das Vertrauen in den Staat verlieren. Laut dem Deutschen Beamtenbund im Juni halten 70 Prozent den Staat für überfordert und nur 25 Prozent glauben, dass er seine Aufgaben erfüllen kann. Zumindest in Bezug auf Verwaltungsdigitalisierung muss das bestätigt werden.

Kommunen arbeiten unkoordiniert und allein (gelassen)

Das OZG ist gescheitert, die Registermodernisierung ist auf dem besten Weg dorthin. Immer noch arbeiten die Kommunen unkoordiniert und allein (gelassen). Die Genossenschaftsbanken beispielsweise sind nie auf den Gedanken gekommen, ein eigenes Onlinebanking nur für die Volksbank Stuttgart eG zu entwickeln oder eine „Einer für Alle“-Lösung für Mietkautionssparbücher von der Raiffeisenbank Kieselbronn eG entwickeln zu lassen. Sondern sie haben bereits 1958 ihre IT zentralisiert. Und das, obwohl die einzelnen Institute mindestens so unabhängig und autonom sind wie die Kommunen.

Robert Müller-Török ist Professor für e-Government an der Hochschule für öffentliche Verwaltung und Finanzen in Ludwigsburg.

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