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Die FDP im Land ringt um die Nachfolge von Theurer
Stuttgart . Spätestens wenn im Januar die Liberalen ihr traditionelles Dreikönigstreffen abhalten und der Parteivorsitzende Christian Lindner in die Stuttgarter Oper kommt, sollen alle Personalfragen geklärt sein. Darin sind sich alle einig.
Doch erstmals seit elf Jahren könnte es bei der FDP, die aus Tradition immer noch auch die DVP im Namen führt, die nach dem Krieg in Stuttgart wiedergegründete Demokratische Volkspartei, einen Wettstreit um die Macht geben. Damals, im Jahr 2013, rangen übrigens Michael Theurer und Hans-Ulrich Rülke um den Landesvorsitz, auf einem Parteitag setzte sich 2023 der damalige Europaabgeordnete Theurer knapp mit 199 zu 188 Stimmen durch. Zuvor war Theurer erfolglos gegen die später so umstrittene Landesvorsitzende Birgit Homburger angetreten.
Nun hat Michael Theurer nach einem langen Leben in der Politik dieselbe verlassen, das 1991 als Landeschef der Jungen Liberalen und drei Jahre später mit der Wahl zum Horber Oberbürgermeister begann. Es führte ihn über den Landtag, das EU-Parlament und den Bundestag bis zum Staatssekretär im Bundesverkehrsministerium. Auf Bitte von Finanzminister Christian Lindner wird er nun Vorstand der Bundesbank, am 1. September legte er den Landesvorsitz nieder und entzieht sich der Politik.
Der Landesvorstand spricht sich für Rülke aus
Eigentlich schien die Sache ausgemacht: Der wortgewaltige, streitbare Fraktionschef im Landtag, Hans-Ulrich Rülke, sollte ihm nachfolgen, mit einer nahezu historischen elfjährigen Verspätung.
Der 62-Jährige wird Spitzenkandidat für die Landtagswahl 2026, das ist schon klar. Der Landesvorstand hat ihn bei einer Enthaltung auch als Landesvorsitzenden nominiert, verbunden mit einer klaren Strategie. „Ich werbe für eine bürgerliche, liberalkonservative Mehrheit mit der CDU, auch um der AfD etwas entgegenzusetzen“, sagt Rülke. Einen Ausstieg aus der Ampelkoalition fordert Rülke nicht, doch er greift den in der Landes-FDP verbreiteten Verdruss auf und fordert nahezu unerfüllbare Dinge von SPD und Grünen: Grundgesetzänderung zum Asylrecht, ein Ende des Verbrennerverbots und Steuersenkungen für Unternehmen.
Rülke setzt auf Schwarz-Gelb
Für Rülke ist es wohl die letzte Chance, 2026 im dritten Anlauf die Liberalen wieder in die Regierung zu führen. Nach 15 Jahren Abstinenz, seit der Abwahl des schwarz-gelben Kabinettes 2011. Das ist sein Lebenstraum, und sollte es für CDU und FDP nicht reichen, wie aktuelle Umfragen nahelegen, arbeitet der ehemalige Gymnasiallehrer emsig an einer „Deutschlandkoalition“, und umwirbt dafür im Stillen den SPD-Oppositionsführer Andreas Stoch.
Einen Kommentar zur FDP und den Grünen lesen Sie hier.
Ansonsten demonstriert er Nähe zum CDU-Hoffnungsträger Manuel Hagel, zuletzt im Sommer bei einer gemeinsamen Wanderung in Ehingen, der Heimat des CDU-Chefs.
Alles schien für eine Krönungsmesse bereitet, auch in Runden mit den Kreisvorsitzenden und mit Berliner Mandatsträgern gab es keinen Widerstand. Und doch wird es kein Durchmarsch für Hans-Ulrich Rülke. Denn so präsent er in der Öffentlichkeit mit seiner scharfen, manchmal verletzenden Rhetorik im Landtag ist, es gibt auch Kritik. An seinem Führungsstil etwa, manche sprechen gar von fehlender Empathie.
Pascal Kober überlegt, gegen Rülke anzutreten
Und es gibt eine Person, ein Gesicht, das möglicherweise eine Ergänzung zu Rülke verkörpern könnte. Es ist sein Stellvertreter Pascal Kober (53), der in Böblingen aufwuchs, Theologe ist und Pfarrer in der evangelischen Landeskirche war. Seit 2015 ist er Landesvize, von 2009 bis 2013 und seit 2017 Bundestagsabgeordneter. Der Oberleutnant der Reserve war als Militärseelsorger schon bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr dabei, etwa in Mali. Kober sagt auf Anfrage des Staatsanzeigers: „Ich kann mir das vorstellen, anzutreten, ich führe dazu aber noch Gespräche und sondiere die Stimmung in der Partei.“ Kober sieht sich bewusst nicht als Gegenpol zu Rülke, sondern als personelle Erweiterung, um ein breiteres Elektorat anzusprechen: „Wir würden uns gut ergänzen und harmonieren.“
Eine lange Tradition der Südwestliberalen
Ein Argument, das aus seinem Lager gerne verwendet wird, ist die weit gefächerte Aufstellung der Südwestliberalen in Bund und Land. Das hat eine gewisse Tradition, schließlich kamen immer wieder prominente FDP-Politiker aus dem Südwesten. So konnte der frühere Außenminister Klaus Kinkel in Berlin unter Kanzler Helmut Kohl (CDU) die Krisen der Welt managen, während im Land Walter Döring den liberalen Vorturner spielte. Vor allem, als 1996 nach dem Ende der Großen Koalition von CDU und SPD die Liberalen in die Landesregierung eintraten und Döring Wirtschaftsminister wurde. Später prägte auch Justizminister Ulrich Goll das Bild der Partei, bis zum Machtwechsel unter dem bis dato letzten CDU-Regenten Stefan Mappus. Stets hatte die Baden-Württemberger FDP neben Landesprominenz eine profilierte bundespolitische Stimme in Berlin.
Auch zwischen Theurer und Rülke gab es in den elf Jahren eine klare Aufgabentrennung: Der inzwischen 57-jährige Horber bespielte Europa und Berlin, während Rülke im Landtag den unermüdlichen Dauerkritiker der grün-geführten Regierung von Winfried Kretschmann gab.
Beide betonen übrigens, nicht für die klassischen Flügel der FDP zu stehen. Der Zwist zwischen bürgerlich-konservativen Ordoliberalen, die niedrige Steuern und viel Polizei forderten, und linksliberalen Rechtsstaatsliberalen war im Südwesten ohnehin nie besonders ausgeprägt.
Hans-Ulrich Rülke betont sein bürgerlich-konservatives Profil
Rülke gibt sich zwar als klarer Kritiker der Ampelpolitik zu erkennen und hatte schon immer ein eher konservatives Profil und eine Nähe zur CDU. Doch Kober ist kein klassischer Linksliberaler und sieht sich auch selbst nicht in diesem Schema.
Mancher liberale Grande will eher eine noch breitere Aufstellung. Und auch ein unterschiedliches Angebot an Charakteren, vielleicht auch eine Ausdifferenzierung in eher städtische und eher ländlich denkende Anhänger des liberalen Gedankens. Wobei andere eher in der medialen Konzentration auf eine Person eine Chance sehen.
Wohin genau die Stimmung in der Partei tendiert, ist nicht ganz einfach auszumachen. Die liberale Landtagsfraktion soll, so wird es erzählt, Rülke sogar aufgefordert haben, nach dem Landesvorsitz zu greifen. Das war allerdings, bevor eine personelle Alternative in Sicht war. Kritik an dem liberalen Vormann im Parlament war in der Fraktion bislang allenfalls in Spurenelementen auszumachen, auch wenn nicht jedem die Haudrauf-Rhetorik Rülkes liegt. Im Landesvorstand gab es von einem Mitglied offenbar Kritik an dem allzu schnellen Verfahren, Rülke zu inthronisieren, sonst billigte man aber generell diese Entscheidung.
Ein Mitgliederentscheid würde stattfinden
Das Verfahren würde laut Parteisatzung so verlaufen: Meldet sich kein anderer Kandidat, wird der Vorsitzende auf dem Landesparteitag im Januar gewählt. Gibt es Konkurrenz, muss ein Mitgliederentscheid in der ganzen Partei stattfinden. Verkompliziert wird dies noch, weil ein ähnliches Verfahren bei der Frage angewandt wird, wer Spitzenkandidat der FDP für die Bundestagswahl 2025 werden soll. Dafür hat Rülke die Generalsekretärin und Vorsitzende der liberalen Landesgruppe im Bundestag, Judith Skudelny, vorgeschlagen.
Ein geschickter Schachzug, verkörpert die 48-Jährige doch viel von dem Profil, das Rülke nicht ausmacht. Und sie wäre die bundespolitische Stimme im Führungsteam.
Bis Ende Oktober soll alles geklärt sein
Auch hier gilt: Wenn sich niemand anderes meldet als Skudelny, dann wird sie auf dem Parteitag bestätigt. Will ihr jemand diese Position streitig machen, gibt es einen Mitgliederentscheid. Beides könnte sich überlappen, soll aber nicht zeitgleich stattfinden. Zugleich wäre eine Entscheidung für Skudelny auf Vorschlag Rülkes ein Zeichen, das für den Fraktionschef spräche. Auch wird argumentiert, dass Rülke als Spitzenkandidat möglicherweise beschädigt wäre, wenn er einen Wettstreit um den Parteivorsitz verlöre.
Es bleibt also vieles offen. Bis Ende Oktober sollen sich die Personalfragen insofern klären, dass das Verfahren angestoßen werden kann. Rülke gibt sich zuversichtlich: „Ich scheue keinen demokratischen Wettstreit und werde jedes Ergebnis akzeptieren.“ So wie er es übrigens auch 2013 tat, nachdem er denkbar knapp Michael Theurer unterlegen war. So rauflustig Rülke im Landtag auch immer auftritt und sich vor allem an CDU-Innenminister Thomas Strobl nahezu festgebissen hat – zwischen Rülke und Theurer passte bis zu dessen Abgang kein Blatt Papier.
Die Lücke durch Theurer
Der abgetretene Landesvorsitzende Michael Theurer hatte eine bemerkenswerte politischen Laufbahn. Mit 16 Jahren trat er FDP und Jungliberalen bei, wurde 1994 mit 27 Jahren der jüngste Oberbürgermeister Deutschlands und einer der wenigen der FDP. Bis 2009 blieb er dies und war zeitweise parallel im Landtag, ehe er nach Europa wechselte. 2017 ging er nach Berlin und wurde Vize-Fraktionschef, 2021 Staatssekretär im Verkehrsministerium. Er wurde vom Hoffnungsträger zum Vordenker und gut vernetzter Strippenzieher. Der Aufstieg zum Minister blieb ihm verwehrt, nun ist er im Vorstand der Bundesbank.