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74. Deutsche Juristentag: Wo ist das geltende Recht reformbedürftig?
Stuttgart. Es ist unter Juristen die Veranstaltung schlechthin: Der Deutsche Juristentag. In diesem Jahr findet er zum 74. Mal statt und zwar in Stuttgart. Die Vorbereitungen für die dreitägige Veranstaltung laufen bereits seit zwei Jahren. Mitte dieser Woche ist es soweit, aus allen Richtungen strömen Juristen am Mittwochvormittag in die Liederhalle im Stuttgarter Westen. Neben dem inhaltlichen Programm, das in sechs Themenbereiche aufgeteilt ist, gibt es ein umfangreiches Rahmenprogramm – von Juristen für Juristen.
Vom morgendlichen Vinyasa-Yoga im ehrwürdigen Sitzungssaal des Justizministeriums, über die Besichtigung der Villa Reitzenstein, des Landtags, des Strafvollzugsmuseums und des Landeskriminalamts bis zur Stäffeles-Tour. Am Abend wird geslamt, das Deutsche Juristenorchester musiziert und das Richterkabarett tritt auf. Zu späterer Stunde steht die „Law & Order-Party“ an.
Stuttgart sei „ein bisschen eine unterschätzte Stadt“, sagt der Präsident des Verwaltungsgerichtshofs und des Verfassungsgerichtshof in Baden-Württemberg, Malte Graßhof. Er sitzt auch dem Ortsausschuss vor, der den Juristentag in Stuttgart mitgestaltet und mitorganisiert hat. Graßhof nutzt die Gelegenheit, um für Stuttgart als Arbeitsplatz zu werben. Genauso das Justizministerium, das mit einem Stand auf der Begleitausstellung vor Ort ist. Schließlich sind auch viele Studierende und junge Referendare in der Liederhalle.
Inhaltlich geht es um rechtspolitische Fragestellungen. In sechs Fachabteilungen befassen sich die Juristen mit aktuellen Themen. Diese wurden nach dem Ende des letzten Juristentags in Bonn vor etwa zwei Jahren festgelegt und sind dennoch aktuell.
Der Juristentag als „Serviceleistung für den Gesetzgeber“
Alle Mitglieder sind dann dazu aufgerufen, Themenvorschläge zu machen. Wo ist das geltende Recht reformbedürftig? Welche sozialen und wirtschaftlichen Entwicklungen machen rechtspolitischen Handlungsbedarf notwendig? Muss der Gesetzgeber aufgrund von Vorgaben der Europäischen Union oder internationaler Rechtsentwicklungen aktiv werden?
Derlei Fragen stellt sich der Juristentag alle zwei Jahre. Dem Präsidenten des 74. Deutschen Juristentags und Richter des Bundesverfassungsgerichts in Karlsruhe, Henning Radtke, zufolge, ist dies gewissermaßen auch eine „Serviceleistung für den Gesetzgeber“. Ob Politiker den Beschlüssen des Deutschen Juristentags folgen, steht auf einem anderen Blatt. Doch in der Vergangenheit folgten sie diesen immer wieder. So soll die ehemalige Bundesjustizministerin Brigitte Zypries (SPD) einst mit Blick auf gleich drei Gesetzgebungsverfahren auf die Beschlüsse des Juristentags gewartet haben.
Die sechs Fachabteilungen stellen sich diese Woche rechtliche und rechtspolitische Fragen. So wendet sich die Abteilung Öffentliches Recht der Bewältigung zukünftiger Krisen zu und erarbeitet einen rechtlichen Rahmen, der eine effiziente und effektive Krisenreaktion ermöglicht. Das dürfte in diesen Tagen auch für die Bundesumweltministerin Steffi Lemke (Grüne) interessant sein, die gerade einen Entwurf für ein neues Hochwasserschutzgesetz vorgelegt hat.
Maßnahmen im Gesellschaftsrecht im Kampf gegen den Klimawandel
Der Bewältigung des Klimawandels nahm sich auch die Abteilung Wirtschaftsrecht an. Dort ging es darum, ob und welche Maßnahmen im Gesellschaftsrecht im Kampf gegen den Klimawandel helfen können.
Herausforderungen des Umgangs mit Informationen behandelt die Abteilung Medienrecht. Sie erarbeitet Vorschläge, wie die öffentliche Verantwortung für zuverlässige Informationen wahrgenommen werden kann. Um eine andere Seite des Umgangs mit Informationen ging es der Abteilung Strafrecht. Angesichts der großen Menge personenbezogener Daten auf mobilen Endgeräten kann die Wahrung der Persönlichkeitsrechte der Nutzer bei offenem Zugriff darauf durch strafprozessuale Maßnahmen und Auswertung in Frage stehen. Veränderungen des Zugriffs würden den Arbeitsalltag der Strafverfolger verändern.
Die Abteilung Zivilrecht diskutiert über Regeln mit Blick auf den Zugang zum Recht und der Bedeutung von Legal Tech im Zivilprozess. Die arbeits- und sozialrechtliche Abteilung geht der Frage nach, wen das Recht angesichts der durch Digitalisierung und KI grundlegend veränderten Arbeitswelt schützen soll.
Die Eröffnungssitzung findet am Mittwochnachmittag statt. Neben Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) spricht Baden-Württembergs Justizministerin Marion Gentges (CDU). Dabei betonte Gentges, dass immer mehr Menschen Zweifel hätten, dass der Staat in der Lage oder willens sei, seine Kernaufgaben zu erfüllen, ihre Rechte zu schützen und durchzusetzen. „Die Aufgabe vor der wir stehen, ist klar definiert.“
Die Festrede hält der Präsident des Bundesverfassungsgerichts
„Wir müssen beweisen, dass unsere Demokratie funktioniert. Wir müssen beweisen, dass unser Rechtsstaat wehrhaft ist, dass er Service bietet, wo er Dienstleistungen erbringt, und dabei gewährleistet, dass Gesetze fair und konsequent angewendet, dass Rechte geschützt und Pflichten eingehalten werden“, sagt Gentges.
Im Anschluss spricht der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Stephan Harbarth, in seiner Festrede über 75 Jahre Grundgesetz und dessen Verfassung. Er mahnte, dass eine Gesellschaft, die nur wisse was sie trennt, und nicht, was sie verbindet, schweren Zeiten entgegen geht, „ Geboten ist ein Diskurs, in dem im Wettstreit der Ideen Kompromisse und Lösungen entwickelt werden.
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Der Deutsche Juristentag
Der Deutsche Juristentag ist ein eingetragener Verein mit rund 5000 Mitgliedern, Juristen aus allen Teilen der Bundesrepublik. Ziel ist es nach eigenen Angaben, auf wissenschaftlicher Grundlage die Notwendigkeit von Änderungen und Ergänzungen der Rechtsordnung zu untersuchen, der Öffentlichkeit Vorschläge zur Entwicklung des Rechts vorzulegen, auf Missstände hinzuweisen und einen Meinungsaustausch unter Juristen aller Berufsgruppen und Fachrichtungen herbeizuführen.
Der Verein ist keine Interessenvertretung von beruflichen oder gesellschaftlichen Gruppen. Sein Wort hat in der juristischen Öffentlichkeit und für den Gesetzgeber Gewicht.