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Corona-Infektion

Corona-Infektion im Krankenhaus: Ehemaliger Koma-Patient soll 60 000 Euro erhalten

Vor dem Landgericht Ravensburg hat ein Patient die Klinik Tettnang verklagt, in der er lebensbedrohlich an Covid-19 erkrankt war. Hier gab es einen der größten Corona-Ausbrüche in deutschen Krankenhäusern in der zweiten Welle der Pandemie.

Walter Brummel und sein Anwalt Henning Linnenberg besprechen sich im Gerichtssaal vor dem Landgericht Ravensburg.

Katy Cuko)

Ravensburg. Nach fast vierstündiger Verhandlung am Landgericht Ravensburg steht das Vergleichsangebot. 40 000 Euro Schmerzensgeld und 20 000 Euro Schadenersatz schlägt die Vorsitzende Richterin Claudia Schumacher-Diehl beiden Parteien vor. Insgesamt 60 000 Euro, die Walter Brummel für „Todesangst, traumatische Erlebnisse und erhebliche Beeinträchtigungen“ durch eine Corona-Infektion im Krankenhaus entschädigen sollen, so die Richterin. Der Gutachter schließt aus, dass sich Walter Brummel vor der Aufnahme in der Klinik Tettnang angesteckt hat.

Was der heute 59-Jährige im Winter 2020 durchleben musste, erinnert an die Schrecken der Corona-Pandemie. Der Marktleiter eines Supermarkts in Friedrichshafen kam mit einem Hörsturz und negativem Testergebnis am 5. Dezember in die Klinik Tettnang. Sechs Tage später erfuhr er nach einem PCR-Test, dass er mit Covid-19 infiziert sei. Einen Tag vor Heiligabend stellten die Ärzte fest, dass seine Lunge zu versagen droht. Stunden später flog ihn der Rettungshubschrauber in die Uniklinik Tübingen. Dreieinhalb Wochen lang kämpfte sein Körper an der Lungenmaschine gegen das Virus. Die meiste Zeit lag der Familienvater im Koma.

Gericht: die Beeinträchtigungen sind schwerwiegend

Die Klinik Tettnang GmbH gehört wie das Klinikum Friedrichshafen zum kommunalen Klinikverbund Medizin Campus Bodensee (MCB). Dessen Corona-Konzept sah vor, dass infizierte Patienten in Friedrichshafen behandelt werden, wo die Klinik schon sehr früh die erste Isolierstation eingerichtet hatte. Tettnang hingegen sollte „Corona-frei“ bleiben. Eine Corona-Station gab es deshalb nicht. Erst mit einem Covid-Ausbruch wurden ab 5. Dezember 2020 infizierte Patienten räumlich isoliert.

Bei Brummel hat Corona tiefe Spuren hinterlassen. Die Lunge ist nicht mehr belastbar, Treppen bringen ihn schnell außer Atem. Neben Schlaf- und Konzentrationsstörungen plagen ihn seit fast zwei Jahren Depressionen, die nach Intensivbehandlungen oft auftreten, bestätigt Gutachter Marc Lütgehetmann vom Uniklinikum Hamburg. Kribbeln in den Händen, Taubheitsgefühle im Gesicht, schlechte Leberwerte, viele Medikamente, die er schlucken muss: Das Gericht ordnet die Beeinträchtigungen als schwerwiegend ein.

„Außerordentlich schwer nachzuweisen“, dass er sich im Krankenhaus angesteckt hat

Vor zwei Jahren verklagte er die Klinik Tettnang GmbH deshalb auf Schadenersatz. Sein Vorwurf: Er habe sich hier mit dem tückischen Virus angesteckt, weil Corona-Vorschriften und Hygiene-Standards missachtet wurden. Deshalb sei es im Dezember 2020 laut Gutachter auch zu einem „der größten SARS-CoV-2-Ausbrüche in deutschen Krankenhäusern“ in der zweiten Corona-Welle gekommen.

Bei der Güteverhandlung im November 2022 zeigte sich der damalige Richter Matthias Schneider noch skeptisch. Rechtsverfahren zu Corona-Fällen seien Neuland. Und es sei „außerordentlich schwer nachzuweisen“, dass er sich im Krankenhaus angesteckt habe.

Außerdem sei fraglich, ob Hygienemängel mitten in einer Pandemie überhaupt als grob fehlerhaft gelten würden. Zumal der zuständige Arzt des Klinikums damals vor Gericht erklärte, es habe zu keinem Zeitpunkt Verstöße gegen die Vorschriften im Haus gegeben. Um all das zu klären, beauftragte das Landgericht ein medizinisches Gutachten. Lütgehetmann schloss eine Infektion vor Aufnahme in der Klinik aus. Bei einem symptomatischen Verlauf der Krankheit war der Virustyp, den der Kläger hatte, bereits zwei Tage nach Infektion nachweisbar. Das Gericht folgte dem Gutachten und erklärte nach der Beweisaufnahme in einer „vorläufigen Würdigung“, dass die Klinik Tettnang damit die „volle Haftung“ übernehmen müsse.

Bis Mitte Oktober fällt die Entscheidung

Zwei weitere im Gutachten geprüfte Fragen blieben in der Verhandlung offen: Hat das Krankenhaus alles Nötige getan, um Covid-Infektionen zu verhindern? Und entsprachen die getroffenen Maßnahmen dem hygienischen Standard?

Die hier festgestellten „Missstände“, so die Richterin, kamen nicht mehr zur Sprache. Denn beide Seiten signalisierten vorläufige Zustimmung zu einem Vergleich. Bis Mitte Oktober fällt die Entscheidung. Vergleichbare Urteile aus der Corona-Zeit gibt es offensichtlich noch nicht. Bei der Höhe dieser Summe orientiere sich das Gericht an Fällen, wo sich Patienten mit einem Krankenhauskeim (MRSA) oder HIV infiziert hatten, so Richterin Schuhmacher-Diehl.

Der Lockdown in der Klinik

Wegen steigender Corona-Infektionen verhängte der Träger der Klinik Tettnang am 10. Dezember 2020 einen Aufnahmestopp. Zu diesem Zeitpunkt hatten sich bereits 24 Patienten mit dem Covid-19-Erreger angesteckt und mussten isoliert werden, zwölf Mitarbeiter waren infiziert. 84 Mitarbeiter und knapp 30 Patienten waren in der Hochphase mit Covid-19 infiziert.

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