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Wiederbelebte Bahnstrecke

Schall und Fledermaus – Wann fährt endlich die Hesse-Bahn?

Groß war die Vorfreude, aber bisher ist nichts daraus geworden: Die Inbetriebnahme der Hermann-Hesse-Bahn zieht sich. Ob es im kommenden Jahr so weit ist? Dafür muss die Fledermaus richtig zuhören.

An einem Tunneleingang für die Reaktivierung der stillgelegten Hermann-Hesse-Bahn bei Calw ist ein vorgezogener Tunneleingang aufgebaut, der zu den aufwändigen Maßnahmen zum Fledermausschutz zählt.

dpa/Bernd Weißbrod)

Calw. Die stillgelegte Hermann-Hesse-Bahn im Landkreis Calw wird seit einer gefühlten Ewigkeit reaktiviert und soll nach zahlreichen Verzögerungen Ende kommenden Jahres wieder fahren – wenn die Fledermäuse mitmachen. Denn Tests mit Schallwellen, die die bisher in den Bahntunneln hausenden und streng geschützten Tiere davon abhalten sollen, in den später von Zügen genutzten Röhrenbereich einzufliegen, laufen noch nicht ganz optimal. Die Zeit drängt allmählich. Denn die Tiere gehen nun in die Winterpause.

Vergrämung mit Schallwellen schwierig

Die Vergrämung mit Schallwellen gestalte sich nicht so, wie man sich das erhofft habe, sagt der Landesvorsitzende des Nabu Baden-Württemberg, Johannes Enssle. „Wir vermuten, dass das an der technischen Umsetzung liegt.“ Wenn das so bleibe, könne sich die Inbetriebnahme der Strecke verzögern.

Seinen Worten zufolge reagieren zwei der mehr als 15 Fledermausarten, die die Tunnel seit der Stilllegung mit mehr als 1.000 Exemplaren bevölkern, auf die Schallwellen nicht so gut wie erhofft. „Das alles ist hochkomplex, Toningenieure kümmern sich darum“, sagt Enssle. Diese Schutzmaßnahmen seien weltweit einmalig und es gebe damit wenig Erfahrung.

Landratsamt sehr zuversichtlich Das Landratsamt Calw ist hingegen sehr zuversichtlich. „Der Vergrämungsversuch funktioniert sehr, sehr gut“, sagt der zuständige Dezernent für Infrastruktur, Andreas Knörle. Man werde die verbleibende Zeit nutzen und arbeite mit Hochdruck an einer Lösung. Von Ende September an sind Bauarbeiten und Versuche mit den Schallwellen wegen der nahenden Winterruhe für die Fledermäuse für einige Monate nicht mehr möglich. Sollte es wider Erwarten bis dahin nicht klappen, werde man die nächsten Monate für Feldversuche nutzen und im Frühjahr kommenden Jahres wieder Schallwellen-Tests machen.

„Wir versuchen seit Jahren alles, was möglich ist“, sagt Landrat Helmut Riegger. „Sämtliche Experten auf dem Gebiet sind vollkommen überzeugt, dass unsere Maßnahmen zum Schutz der Fledermäuse funktionieren werden.“ Abend für Abend stehen Fledermaus-Experten momentan an einem tunnelartigen Vorbau vor der eigentlichen Tunnelöffnung und testen und testen die Vergrämung. Die Fledermäuse sollen dazu gebracht werden, seitlich an dieser Einhausung vorbei- und dann am eigentlichen Tunneleingang in „ihren“ Bereich einzufliegen. Die Hesse-Bahn ist ein Pionierprojekt bei der Reaktivierung stillgelegter Bahnstrecken im Südwesten.

Auch Ministerium rechnet mit Inbetriebnahme Ende 2025

Das Verkehrsministerium glaubt ebenfalls an den mehrfach verschobenen Start der Hermann-Hesse-Bahn im kommenden Jahr. „Im Herbst 2025 soll der Betrieb gestartet und ab dem Fahrplanwechsel Ende 2025 der Regelbetrieb aufgenommen werden“, sagte ein Sprecher des Verkehrsministeriums – auch wenn zwei Bauabschnitte bislang nicht genehmigt sind. „Derzeit arbeiten alle Beteiligten engagiert an der Umsetzung dieses Zeitplans.“

In den zwei stillgelegten Tunnelröhren „Hirsau“ und „Forst“ befindet sich auf der alten Bahnstrecke zwischen Calw und Weil der Stadt eines der bedeutendsten Schwärmquartiere für Fledermäuse in Süddeutschland. Darin überwintern nicht nur zahllose Tiere. Außerdem schwärmen vor den Tunnelportalen Tausende Fledermäuse, die eigentlich andere Behausungen haben, um dort Partner zu finden.

Nach langem Streit im Zuge der Reaktivierungspläne und einer drohenden Klage durch den Nabu war beschlossen worden, zum einen den Fledermäusen Ausweichquartiere außerhalb der Tunnel anzubieten. Vor allem aber soll ihnen eine spezielle Trennwandkonstruktion innerhalb der Röhren ermöglichen, in den Tunneln zu bleiben und damit das bedeutende Fledermausquartier zu erhalten. Dafür wird eine Art „Tunnel im Tunnel“ gebaut, sagt das Regierungspräsidium (RP) Karlsruhe. „Damit kann der Bahnverkehr getrennt vom Flugbereich und den Winterquartieren der Fledermäuse stattfinden.“

Sind die Maßnahmen verhältnismäßig?

„Ich stehe zu 150 Prozent dazu, aber das Thema Verhältnismäßigkeit beschäftigt mich sehr intensiv“, sagt Landrat Riegger. Ob dies alles nötig war, müsse später im Nachgang und auch gemeinsam mit dem Regierungspräsidium noch mal betrachtet werden. „Das alles hat uns sehr viel Zeit und Nerven gekostet.“ Enssle stellt die Frage umgekehrt: „Wäre es angemessen, für eine kleine, eher untergeordnete Regionalbahn eines der bedeutendsten Fledermausquartiere Deutschlands zu zerstören?“ Vielleicht wäre es am Ende aber tatsächlich schneller und einfacher für alle Beteiligten gewesen, nicht die alten Tunnel reaktivieren zu wollen, sondern gleich neue und dann auch modernere Tunnel daneben zu planen – ganz ohne Fledermäuse, sagt er. Das aber müssten Bauingenieure bewerten.

Einmaliges Projekt – aber teuer

Am Ende wird das Projekt – Stand jetzt – rund 160 Millionen Euro gekostet haben. Ein Drittel davon sei für den Artenschutz ausgegeben worden, sagt Riegger. „Dass es so viel Kraft kostet, eine Strecke zu reaktivieren, das ist ein Lernprozess und ein schwieriger Prozess, den wir bitter lernen mussten.“ Der Landkreis Calw sei ein Pionier bei der Reaktivierung alter Bahnstrecken gewesen. Auch deutschlandweit blicke man auf die Hermann-Hesse-Bahn. „Wir haben die Blaupause für viele, viele andere Projekte, sagt Riegger.

Mit dem Verkehrsministerium sei man in sehr gutem Einvernehmen und gehe davon aus, dass ein beträchtlicher Teil der Kosten vom Land geschultert werde. „Unter bestimmten Voraussetzungen wäre auch eine Förderung von bis zu 75 Prozent möglich“, sagt ein Sprecher des Verkehrsministeriums.

Aber erstmal müssen die Fledermäuse dazu gebracht werden, in die für sie gedachte Öffnung der Tunnelröhre einzufliegen und die für die Züge gedachte zu meiden. Es gebe keinerlei Erfahrungswerte oder gar ein Standardvorgehen für dieses einmaliges Projekt, betont das RP. Man sei gespannt und hoffe das Beste, sagt Enssle. Im besten Falle werde eine Win-win-Situation daraus: „Dass die Bahn fahren kann und die Fledermaus-Population durch die ganzen Begleitmaßnahmen nicht beeinträchtigt, sondern am besten sogar gestärkt daraus hervorgeht.“ Aber er sagt auch: „Die Bahn fährt entweder mit Fledermäusen oder gar nicht.“

(dpa/lsw)

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