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Polizeiaffäre

Richterin: Keine strukturelle sexuelle Gewalt

Einzelne sexuelle Übergriffe, aber kein System dahinter, vor allem kein systematisches Wegschauen: Dies ist das Resümee, das die Richterin Bärbel Hönes aus den ihr vorliegenden Akten gezogen hat. Erleichtert zeigt sich die CDU, während Grüne, SPD und FDP noch Fragen haben. 

71 sexuelle Übergriffe hat die Richterin Bärbel Hönes unter die Lupe genommen. Ihr Fazit: Es gibt keine strukturelle sexuelle Gewalt in der Polizei und in vier Ministerien.

dpa/ dpa Themendienst/Klaus-Dietmar Gabbert)

Stuttgart. Das Hellfeld, also die gemeldeten Übergriffe, ist durchleuchtet. Vor allem in der Polizei, aber auch in insgesamt vier Landesministerien gibt es demzufolge kein strukturelles Problem mit sexuellen Übergriffen und Belästigungen. So jedenfalls urteilt der 70-seitige Bericht, den die Ermittlungsbeauftragte, die Richterin Bärbel Hönes, für den Untersuchungsausschuss des Landtags erstellt hat. Nicht nur Oppositionsabgeordnete sind der Meinung, dass dennoch weitere Aufklärungsarbeit vonnöten ist.

Von einem Meilenstein, der gesetzt worden sei, spricht die CDU-Obfrau im Untersuchungsausschuss zur Polizeiaffäre, Christiane Staab, bei der Pressekonferenz nach Sitzungsende. Jeder einzelne Fall einer sexuellen Belästigung sei einer zu viel, dennoch sei deutlich geworden: „Es gibt keine strukturellen Auffälligkeiten.“ Ihre Fraktionskollegin Isabel Huber fragt während Hönes‘ Vernehmung sogar ausdrücklich nach. Die Richterin am Amtsgericht bestätigt, dass sie keine ungeschriebene Behördenkultur nach dem Motto ‚Wir beschmutzen unser Netz nicht’“ habe ermitteln können. Und weiter: „Dieser Eindruck ergibt sich aus den den Akten nicht, deshalb habe ich das so festgestellt.“

Vor knapp einem Jahr wurde Hönes eingesetzt, um dem Untersuchungsausschuss zuzuarbeiten. Staats-, Justiz-, Finanz- und Innenministerium haben umfangreiche Akten zu möglichen Übergriffen geliefert, wobei letzteres umfangreiche Schwärzungen vorgenommen hat, was Hönes bei ihrer gut zweistündigen Befragung im Plenarsaal des Landtags bestätigt. In ihrem Bericht kritisiert sie überdies, dass es keine einheitliche Aktenführung bei den von ihr untersuchten Behörden gibt und dass die „in vielen Verdachtsfällen auch nicht vollständig oder wenig strukturiert erscheint“.

Niederschwellige Übergriffe

Insgesamt hat sich die 34-jährige Juristin mit 106 von 130 gemeldeten Fällen zwischen 2017 und 2022 befasst, die sie „nach bestem Wissen und Gewissen“ studiert habe. Ein Großteil der Vorwürfe, nämlich 71, betreffe eher niederschwellige Übergriffe: „So geht es häufig um sexualisierte Sprache, Anzüglichkeiten oder die Erheblichkeitsschwelle nicht oder kaum überschreitende körperliche Berührungen, die, ohne dass weitere Umstände hinzukommen, auch als Nettigkeit angesehen werden könnten, beispielsweise Umarmungen oder Berührungen an den Schultern/Armen.“

In sechs Fällen habe es sich „in diesem Zusammenhang auch um Massagen im Nackenbereich bei am Schreibtisch sitzenden Personen“ gehandelt. Und: „Die vorkommenden Berührungen an Gesäß und Brust sowie Küsse überschreiten natürlich die Erheblichkeitsschwelle, haben gleichwohl in der Gesamtschau überwiegend allenfalls mittlere Intensität.“ Aber auch ein „schwerwiegender Fall, eine Vergewaltigung“ ist erfasst. In drei Fällen sei der jeweils beschuldigten Person unter anderem vorgeworfen worden, der jeweils geschädigten Person pornografische oder vergleichbare Darstellungen gezeigt zu haben. Einzelheiten bleiben der Öffentlichkeit voranhalten, aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes. Veröffentlicht aber ist der teilweise geschwärzte Bericht insgesamt, um wie die Ausschussvorsitzende Daniela Evers sagt, für Transparenz zu sorgen.

Ausschuss arbeitet weiter

Jetzt wird der Ausschuss weiter- und nacharbeiten „Die Ermittlungsbeauftragte hat einen Teilblick auf die Landesbehörden geliefert, von dem wir wussten, dass es ein Teilblick ist“, so SPD-Obmann Sascha Binder. Es sei sehr schwer gewesen, jemanden zu finden, um umfassend und von mehreren Seiten an die Problematik heranzugehen: „Wir haben einen rein juristischen Blick auf das Hellfeld, der sich allein an disziplinar- und strafrechtliche Vorgaben hält.“

Oliver Hildenbrand (Grüne) ging noch einen Schritt weiter: Er kann sich vorstellen, mit den am Ende der Ausschussarbeit vorzulegenden Empfehlungen eine breitere wissenschaftliche Untersuchung anzustoßen. Er könne nicht verstehen, „warum immer betont wird, es gebe kein strukturelles Problem, warum einzelne Institutionen freizusprechen sind“. Es gehe nicht um Verurteilung oder Vorverurteilung, „sondern wir alle sind Teil der Gesellschaft, und wir müssen problembewusst an das Thema herangehen“. Auch Julia Goll (FDP) verlangt, den Blick zu weiten. Ihr komme bisher zu kurz, „dass jeder einzelne Fall Auswirkungen auch auf andere haben kann, es ist ausgeblendet, was mit den anderen in einer Dienststelle passiert, da ist ganz vieles denkbar, psychologische Betreuung, Nachsorge, Fortbildung“. Es gebe aber keinerlei Anzeichen, dass dies stattfindet.

Für einiges Stirnrunzeln sorgte AfD-Obmann Hans-Jürgen Goßner auf der Pressekonferenz mit seiner Feststellung, angesichts der überproportional vielen in der Landeshauptstadt gemeldeten Fälle hätten sie vielleicht „mit dem Stresslevel zu tun“. Auf Nachfrage machte er indessen nochmals deutlich, dies auf keinen Fall entschuldigen zu wollen – „aber vielleicht ist manchmal menschlich erklärbar, wenn Entgleisungen dort stattfinden, wo die Nerven sehr angespannt sind“.

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