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Interview

Landrat Heinz Eininger: „Man kann den Menschen mehr zumuten“

Sein Ersatzbüro hat der scheidende Esslinger Landrat Heinz Eininger in der Kreissparkasse gefunden, ein Raum voller Kunstwerke. Seinen alten Arbeitsplatz hat der Abrissbagger beseitigt. Das neue Esslinger Landratsamtsgebäude wird nicht das einzige Erbe sein, das der Christdemokrat hinterlässt.

Der Esslinger Landrat Heinz Eininger findet klare Worte über das Verhalten der Politik gegenüber den Bürgern.

Achim Zweygarth)
Staatsanzeiger: Im Oktober gehen Sie in den Ruhestand, können ihn aber nicht im neuen Landratsamt antreten, das im Bau ist. Wie denken Sie darüber?

Heinz Eininger: Ich wäre gerne ins neue Landratsamt eingezogen. Das neue Haus wird das Modernste bieten, was ein Bürogebäude heute bieten kann. Wären die Entscheidungen dafür vielleicht ein Jahr früher gefallen, hätte es mit dem Einzug geklappt, aber ich habe bei meinen Vorhaben nie in Amtsperioden gedacht, sondern daran, wie man Aufgaben gut erfüllt. Deshalb ist das für mich so in Ordnung.

Preisgünstig, ökologisch top, zukunftsfest – Sie loben den Neubau oft so, als ob Sie ihn rechtfertigen müssten.

Es geht nicht um Rechtfertigung. Wir bauen ein Leuchtturmprojekt im Volumen von 144 Millionen Euro, für das wir rund sieben Millionen Euro Förderung des Bundes bekommen. 80 Prozent der Baustoffe des abgerissenen alten Gebäudes werden wieder verwendet. Wir bauen das neue Landratsamt nach dem Cradle-to-Cradle-Prinzip, also der vollständigen Rückbaubarkeit. Das erfüllt die Vorbildfunktion des öffentlichen Bauens.

Stiftet der Neubau bei den Menschen Identifikation mit dem Kreis?

Der Neubau entsteht am Esslinger Stadteingang auf den Pulverwiesen. Die Planung ist sehr eng mit der Stadt abgestimmt, das Landratsamt wird ein zentraler Punkt, der täglich von Zehntausenden von Autofahrern auf der B 10 jenseits des Neckars gesehen wird. Wir verfolgen einen architektonischen Anspruch. Der Vorgängerbau war ja wegen seiner Architektur umstritten. Das war aber nicht der Grund für seinen Abriss, es ging um die Wirtschaftlichkeit, die wir aufzeigen konnten: Ein Verwaltungsneubau muss stets gut begründet sein.

Zumal öffentliches Bauen bei Kosten und Bauzeit oft aus dem Ruder läuft …

Für den Landratsamt-Neubau gilt, dass Verwaltung im Zeit- und Kostenplan bauen kann. Wir haben ein Verfahren Planen und Bauen mit einem Preisschild dran. Es muss also alles gut durchgeplant sein. Im Übrigen gelten die Grundsätze der sprichwörtlichen schwäbischen Hausfrau. Ich hinterlasse meinem Nachfolger eine stockschwäbische Finanzierung mit Bausparverträgen im Volumen von 40 Millionen Euro.

Stichwort Finanzen: Der Landkreistag, dessen Vizepräsident Sie sind, hat mit einem Finanzbericht die Unterfinanzierung der Landkreise dokumentiert. Das gilt für den Kreis Esslingen wohl nicht.

Alle Landkreise sind strukturell unterfinanziert, weil sie nicht einnehmen, was sie ausgeben müssen. 400 Millionen Euro geben wir für das Soziale aus. Das ist ein Drittel des Haushaltsvolumens. Ebenso groß sind die Ausgaben für die Kliniken, ebenfalls strukturell unterfinanziert. Denn eigentlich sollte der Grundsatz gelten, wer bestellt, bezahlt auch.

Wie würden Sie das ändern?

Wir fordern seit Jahren einen Anteil an der Umsatzsteuer, bekommen ihn aber nicht, weil der Kuchen ja nicht größer wird, nur weil es mehr Esser gibt. Schauen wir deshalb auf die Ausgabenseite. Bundesteilhabegesetz, Bürgergeld, Flüchtlinge – das drückt uns massiv. Die Politik kann den Menschen nicht ständig Versprechungen machen, die andere einhalten sollen. Ich glaube, dass man den Menschen mehr zumuten kann – wir brauchen mehr Mut zur Zumutung, um mit dem Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte zu sprechen.

Allerdings wählen Menschen rechtsradikal, weil sie sich durch Zumutungen benachteiligt fühlen.

Da bin ich völlig anderer Meinung. Die Politik hat ein Entscheidungsdefizit und muss den Leuten reinen Wein einschenken. Wenn die Notwendigkeiten sauber erklärt werden, wächst die Bereitschaft, sie zu akzeptieren. Wir merken, dass Versprechen nicht mehr eingehalten werden. Das schürt Unbehagen.

Die kommunale Ebene steht am Ende des Rattenschwanzes. Welche Druckmittel haben Sie, um Defizite zu beseitigen?

Keine. Wir sind angewiesen auf das Land, und zwar auch bei Bundesthemen, wo das Land Treuhänder kommunaler Interessen sein soll. Stattdessen werden wir Praktiker bei der Gesetzgebung oft zuletzt gehört. Das könnte eine kommunale Kammer verbessern. Die Einhaltung des Konnexitätsprinzips würde helfen: Wer die Blasmusik bestellt, bezahlt sie.

Das gilt sicher auch für das Klinikwesen. Wie war es 2002, als Sie die Klinikstruktur reformiert haben?

Der Landkreis dürfte in Baden-Württemberg der einzige sein, dessen Klinikum schwarze Zahlen schreibt, weil wir bei Zeiten aus fünf drei Standorte gemacht haben. Es geht mir runter wie Öl, wenn der Sozialminister bei der Eröffnung einer Krankenhauserweiterung sagte, der Kreis Esslingen sei die Benchmark für erfolgreiche Strukturpolitik im Krankenhauswesen. Als wir 2002 kurz nach meinem Amtsbeginn anfingen, fragte noch jeder, warum ich mir das antue.

Ist es bei schwierigen Operationen wie einer Krankenhausstrukturreform hilfreich, dass Landräte nicht direkt vom Volk gewählt werden?

Das ist nur scheinbar so, ich wäre gern direkt gewählt worden. Als Esslinger Landrat hätte ich ein größeres Wahlvolk gehabt als jeder Abgeordnete. Eine gewisse Unabhängigkeit ist mit der Wahl durch den Kreistag zwar verknüpft. Doch was nutzt die Unabhängigkeit, wenn Sie wegen notwendiger Maßnahmen von den Medien angegriffen werden? Wenn die Polizei Drohungen gegen Sie ernst nehmen muss und an Ihre Haustüre faule Eier geworfen werden?

Wie beurteilen Sie die Zeit heute?

Heute ist klar, das wird das Nachhaltigste sein, was aus meiner Amtszeit bleiben wird. Dafür hatten alle die Kraft, der Kreistag ist gestanden, die Konflikte haben sich gelohnt. Kliniken müssen hochwirtschaftlich sein und gute Qualität bieten, beides bedingt sich, weil Menschen nur gute Kliniken annehmen. Das sah auch der Kreistag so. Wir haben Doppelstrukturen abgebaut und Besonderheiten angeboten, etwa eine plastische Chirurgie. Jetzt aber erreichen wir bei der Finanzierung Grenzen. Für 2025 planen wir eine schwarze Null. Sollte es aber kein Vorschaltgesetz zur Finanzierung des Krankenhauswesens geben, wird der Betrieb defizitär.

Sicher eine wichtige Erfahrung war die Corona-Zeit, bei der Verwaltungen an die Grenzen kamen. Ist die Verwaltung nun für Krisen ausreichend aufgestellt?

Obwohl unser Gesundheitsamt heute mit 70 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern statt mit 30 ausgestattet ist, würde das nicht reichen, um eine Verfolgung der Kontaktpersonen zu gewährleisten, wie es sie damals gab. Wir waren mit Änderungen konfrontiert, die am Freitagabend kamen und am Samstagmorgen galten. Das hat die Verwaltung in höchstem Maße gefordert, sie hat es aber auch bewältigt. Auch hier gab es viele Anfeindungen, es ging um Eingriffe in Freiheitsrechte. Für den Konsens der Gesellschaft bedeutete Corona eine große Herausforderung, ebenso für die Autorität und Legitimität des Staates.

Reichte die Legitimität des Staates aus?

K risen sind immer Stunden der Exekutive, es ging darum, schnell zu entscheiden, dann zu erklären und oft darum, eine Legitimation nachzureichen. Das ist auch eine Frage der Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, denn wenn Sie jede Maßnahme mit dem Kreistag besprechen wollten, könnten Sie den Anforderungen in so einer Situation nie gerecht werden. Aus der Pandemie kann man lernen, wie wichtig es ist, pragmatisch zu handeln und das gut zu begründen. Wir brauchen eine andere Entscheidungs- und Fehlerkultur.

Kann dieser Spirit auch Grundlage der Entlastungsallianz sein?

Hier geht es darum, dass wir zum Grundsätzlichen kommen. Ausführungsbestimmungen sorgen ja einerseits dafür, dass alle Vorgänge gleichbehandelt werden. Für diese Leitgedanken sind viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter dankbar. Andererseits würde es sich lohnen, Rechtsvorschriften verfallen zu lassen zugunsten des eigenständigen Denkens. Bei einem Österreich-Besuch wurden uns Prozesse zur Verwaltungsdigitalisierung vorgestellt. Wenn die Software 80 Prozent der Anforderungen erfüllen konnte, wurde sie eingeführt. Spezialanforderungen sollten Mitarbeiter lösen. Das hat mich beeindruckt, denn in Deutschland fehlt uns der Mut zur Lücke. Wir würden nur ein Programm einführen, das alle Konstellationen mit allen Spezifikationen abdeckt.

Darüber müssen Sie sich von Berufs wegen bald keine Gedanken mehr machen. Was wird Sie im Ruhestand umtreiben?

Der Kreis Esslingen pflegt seit 1983 eine Partnerschaft mit der israelischen Stadt Givatayim. Deshalb freue ich mich, wenn ich beim Aufbau eines deutsch-israelischen Jugendwerks mitwirken könnte. Außerdem werde ich Vorstand der Wilhelm-Narr-Stiftung, die sich um die Förderung von Schülerinnen und Schülern kümmert. Meine Frau und ich werden reisen, Kultur erleben und Freundschaften wieder stärker pflegen. So richtig überreißen kann ich die kommende Situation zwar noch nicht. Klar ist aber: Meinem Nachfolger werde ich nicht in die Quere kommen.

Der scheidende Landrat Heinz Eininger (rechts) im Gespräch mit Staatsanzeiger-Redakteur Peter Schwab. Foto: Achim Zweygarth

Landrat in Esslingen

Heinz Einiger amtiert seit 2000 als Esslinger Landrat und ist damit der dienstälteste Chef einer Kreisbehörde in Baden-Württemberg. Der Jurist hat seine Karriere in der Steuerverwaltung begonnen und unter anderem im Finanzministerium für die CDU-Minister Guntram Palm und Gerhard Mayer-Vorfelder gearbeitet, zunächst als Pressesprecher, später als Vize-Chef der Zentralstelle. Von 1992 bis zur Landratswahl war er unter OB Peter Jakob Bürgermeister in Kirchheim unter Teck. Der Kreis Esslingen ist nicht nur Einingers politische Heimat, dort kam er 1956 in Großbettlingen zur Welt. Sein Nachfolger wird der Freie Wähler Marcel Musolf , Bürgermeister von Bissingen an der Teck.

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