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Stuttgarter Start-up „Flyvbird“: Wenn die Kunden über den Flugplan entscheiden
Friedrichshafen. Der Ausblick ist fantastisch. Vom Stehtisch im Konferenzraum aus reicht der weite Blick über Rollfeld und Landebahn bis hinüber zum Hangar und dem Zeppelin-Landeplatz. Während unten im Terminal des Flughafens in Friedrichshafen Passagiere nach Mallorca einchecken, wird eine Etage darüber über ein völlig neues Konzept für Flugreisen gesprochen. Eines, bei dem die Passagiere den Flugplan quasi mitgestalten.
„Sie bestellen, wir fliegen.“ Was Tomislav Lang sagt und so einfach klingt, gilt als kleine Revolution in der Luftverkehrsbranche. So wie das Stuttgarter Start-up „Flyvbird“, dessen Gründer und Chef er ist, bietet das weltweit noch keiner an. Mit Flugreisen auf Abruf sollen zunächst Geschäftskunden, später jedermann einen beliebigen Regionalflughafen zu erschwinglichen Preisen ansteuern können. Mittelfristig soll ein Ticket im Schnitt 150 Euro kosten.
„Wenn wir es richtig machen, werden wir das Uber der Lüfte“, sagt Lang und schaut stolz in die Runde. Uber ist ein US-amerikanisches Dienstleistungsunternehmen, das in vielen Städten der Welt Online-Vermittlungsdienste zur Personenbeförderung anbietet. Auch das Flyv-Konzept könnte weltweit funktionieren. Einen festen Flugplan zu festgelegten Zielen gibt es nicht. Das Streckennetz soll sich den Bedürfnissen der Kunden anpassen.
Die Nachfrage an Regionalflughäfen schwankt stark
Vor Tomislav Lang stehen rund 30 interessierte Firmenvertreter in diesem Konferenzraum. Seit über einem Jahr laufen die Vorbereitungen, erzählt er. Nun will die neue Fluggesellschaft durchstarten. Los geht es am 5. Mai 2025 mit dem ersten kommerziellen Flug vom Bodensee-Airport in Friedrichshafen aus, verkündet der Flyv-Chef in dieser Runde. Da stehen die Abgesandten von ZF, Airbus oder Rolls Royce Power Systems, deren Mitarbeiter seit Monaten nicht mehr vom Bodensee-Airport aus auf Geschäftsreise gehen können.
Im April hat Lufthansa die Strecke nach Frankfurt aus dem Programm genommen und damit die wichtige Anbindung der Bodenseeregion an das internationale Drehkreuz gekappt. Flugverbindungen nach Berlin, Hamburg oder Düsseldorf gibt es schon länger nicht mehr. Es ist ein Grund, warum Flyv in Friedrichshafen startet und hier ein neues Drehkreuz aufbauen will, eins für Flugtaxis auf Bestellung und abseits der Routen großer Verkehrsflughäfen. Die Region ist wirtschaftsstark, aber auf der Straße und Schiene schlecht angebunden.
Das Konzept sei eine Chance für Regionalflughäfen, die überall mit den gleichen Problemen zu kämpfen haben. „Die Nachfrage schwankt stark. Da ist es extrem schwer, vernünftig Geschäft zu machen“, sagt Mitgründer Anton Lutz, der bei Flyv als Geschäftsführer fungiert. Allein in Baden-Württemberg gibt es ein gutes Dutzend Flugplätze, die möglicherweise ins Portfolio passen. Mit über 1000 Flughafen-Betreibern habe man bereits gesprochen, erzählt Anton Lutz. Weltweit gebe es über 20 000 Regionalflughäfen, die sich für dieses Konzept eignen.
Drei Tage vor Abflug erhalten Interessenten die genauen Flugdaten
Wie das Ganze funktionieren soll, erklärt der Geschäftsführer an einem konkreten Beispiel. Wer von Friedrichshafen etwa nach Braunschweig will, gibt in die App von Flyv ein Zeitfenster ein, wann er frühestens abfliegen und spätestens landen will. Dank künstlicher Intelligenz und einem eigens entwickelten Algorithmus checkt und bündelt das System die Nachfrage mehrerer Kunden und ermittelt so die für alle Passagiere passende Verbindung.
Drei Tage vor Abflug erhalten Interessenten die genauen Flugdaten und können buchen. Mit dem Auto oder der Bahn wäre man sieben bis acht Stunden unterwegs, wenn es gut läuft. „Wir wollen das in 50 Minuten schaffen“, sagt Tomislav Lang. Dieses System sei grenzenlos skalierbar, versichert Tomislav Lang, wenn es mal läuft. Das Ziel ist ambitioniert. „Wir wollen in 15 Jahren 1000 Flugzeuge im Einsatz haben.“
„Am Anfang brauchen wir aber noch ein bisschen Flexibilität unserer Geschäftskunden“, schränkt Anton Lutz ein. Flyv startet zunächst mit einer Maschine, die in Friedrichshafen stationiert wird. Später sollen weitere Flugzeuge dazu kommen. In den ersten zwei bis drei Monaten sind Anfragen nur per E-Mail möglich, weil mit den Reisewünschen die KI gefüttert wird. Binnen 24 Stunden soll es dann ein Angebot für den Flug geben. Der Preis soll sich etwa zwischen 80 und 500 Euro pro Passagier bewegen. „Da wird es einen Unterschied machen, ob jemand ein Zeitfenster beispielsweise von 15 bis 21 Uhr für seine Ankunft eingibt oder der Kunde eine fixe Uhrzeit wählt.“ Auch die Option für Zwischenstopps hat Einfluss auf den Preis. „Je flexibler die Kunden hier sind, desto günstiger der Preis“, sagt Lang.
Die Flugbegleiter für die erste Phase hat das Start-up an der Hand, freut sich Tomislav Lang. Mit an Bord ist Alpen Air aus Augsburg, die eigentlich Rundflüge in Bayern anbieten. Während der Veranstaltung unterbricht Lang kurz. Draußen auf der Landebahn ist eine kleine, weiße Maschine im Anflug. Die hat Airline-Chef Simon Ambrosius nach Friedrichshafen geflogen. Sie soll ab Mai für Flyv zum Einsatz kommen.
Die Sitze lassen deutlich mehr Beinfreiheit als im Linienflieger
Wenig später stehen die Firmenvertreter mit ihren knallgelben Westen auf dem Vorfeld des Flughafens. Wer wollte, konnte sich für den Erstflug mit der neuen Airline einchecken lassen. Neugierig auf die Maschine sind fast alle. Neun Passagierplätze und Platz für neun Koffer bietet die Tecnam P2012 Traveller, die für Kurzstreckenflüge konzipiert ist. Simon Ambrosius erklärt geduldig, was das Propellerflugzeug kann. Von zwei 375 PS-starken Motoren angetrieben, verbrauche das mit rund 120 Liter pro Flugstunde vergleichsweise wenig Sprit. Ein Grund, warum die Betriebskosten für diesen Typ vergleichsweise günstig sind.
Welchen Komfort das Flugtaxi den Passagieren bietet, können die ersten Businesskunden in spe auf Wunsch gleich ausprobieren. Die Sitze lassen deutlich mehr Beinfreiheit als im Linienflieger. Außerdem hat jeder in der Maschine einen Fensterplatz. Die Kopfhörer dämpfen nicht nur die Geräuschkulisse an Bord, sondern bieten auch einen direkten Draht zum Piloten.
Zwei Runden fliegt der Pilot mit den ersten, potenziellen Kunden
Dann hebt die Maschine ab, den Bodensee voraus. Zwei Runden fliegt der Pilot mit den ersten, potenziellen Flyv-Kunden bis nach Lindau und wieder zurück. Könnte das was werden? Investor Sebastian Merillat ist davon überzeugt. Der Schweizer ist selbst Pilot und war schon bei Tomislav Langs erstem Start-up namens Skywork in Bern dabei. Claus-Dieter Wehr, der Chef des Flughafens Friedrichshafen, freut sich über die Ankündigung, dass die „weltweite Premiere der Idee hier am Standort“ im nächsten Jahr Realität werden soll. „Die wirtschaftsstarke Bodenseeregion, die Mobilitätsbedürfnisse der Wirtschaft und der Bodensee-Airport bieten flyv ideale Rahmenbedingungen für den Start.“
Mit dem neuen Konzept könnte sich eine weitere Tür öffnen. „Das ist eine große Chance“, sagt Flughafensprecher Bernd Behrend, als die meisten Firmenvertreter schon gegangen sind. Mit diesen sogenannten On-Demand-Flügen und Strecken bis zu 1000 Kilometer biete sich der Flughafen als Drehkreuz auch ins Ausland an. Das Interesse der Wirtschaft vor Ort sei da. Die relativ große Resonanz auf die Infoveranstaltung am Flughafen zeigt das.
„Das angedachte Konzept ähnelt einer Mitflugzentrale“
Sehr interessiert sei etwa ZF, weil der Konzern viele dezentrale Standorte hat und so auch Städte wie Passau, Straubing oder Saarbrücken angeflogen werden könnten, was im besten Fall Zeit und Kosten spart.
Auch Martin Buck, der Vorsitzender des Flughafen-Fördervereins und Chef des Sensorherstellers ifm ist, glaubt an das neue Flyv-Konzept. „Das angedachte Konzept ähnelt einer Mitflugzentrale“, sagt er. „Ich sehe gute Chancen darin, dass insbesondere die Industrie ihre Bedarfe für Reisen innerhalb Deutschlands bündeln kann und ein neues Kapitel in der Luftfahrtgeschichte aufgeschlagen wird“, sagt er weiter.
Noch dazu, weil die neue Fluggesellschaft perspektivisch nachhaltig operieren will. Mittelfristig will Flyv klimaneutral fliegen und ab 2030 Elektroflugzeuge einsetzen. Solche Flüge würden sicherlich die Akzeptanz für Kurzstrecken wie nach Stuttgart erhöhen. „Da wollen wir mit dabei sein“, sagt Bernd Behrend.
Abflug ohne Rückkehr
Lufthansa war jahrzehntelang am Flughafen Friedrichshafen stationiert. Anfang dieses Jahres hieß es, Lufthansa werde den Bodensee-Airport ab April für mindestens zwölf Monate nicht mehr ansteuern. Seit Juni ist klar, dass vor Ende 2026 nicht mit einer Wiederaufnahme der Verbindung nach Frankfurt zu rechnen ist. Nach Angaben von Flughafenchef Claus-Dieter Wehr plant die Airline offensichtlich, sich aus dem Geschäft im regionalen Flugverkehr ganz zurückzuziehen. Diese Entwicklungen sprechen für ihn eher dagegen, „dass Lufthansa zurückkommt“. Aus diesem Grund sucht der Bodensee-Airport eine alternative Anbindung an ein anderes Flug-Drehkreuz. Im Gespräch ist Amsterdam.