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Vor Schulbeginn: Wenn Ranzen und Mäppchen zu teuer sind
Stuttgart/Ludwigsburg. Sie sind fantasievoll, bunt und mit Fußbällen, Pferden oder Zebras geschmückt – die Auswahl an Schulranzen ist riesig. Manche kosten mehr als 200 Euro. Für viele Familien stellt das vor dem Schulstart am 9. September eine finanzielle Herausforderung dar. Der Kinderschutzbund geht von 300 Euro für alle erforderlichen Utensilien einer Erstausstattung für Grundschulkinder aus.
Wer sich das nicht leisten kann, ist auf Hilfe angewiesen – etwa von der Diakonie Württemberg. Die gibt im Rahmen von Aktionen Schulranzen, Rucksäcke, Mäppchen und Co. an Bedürftige aus. So auch im Landkreis Ludwigsburg . Auch wenn die Region sehr wohlhabend sei, gebe es viele Familien, die sich keinen Ranzen leisten könnten, sagt Nicole Kollosche vom Kreisdiakonieverband. Die Aktion werde sehr gut angenommen, sagt die Sozialarbeiterin. An mehreren Terminen habe man bereits viele Rucksäcke und Ranzen verteilen können. «Mit der Aktion wollen wir einen Beitrag leisten, dass alle Kinder einen gleichberechtigten Schulstart haben», sagt sie.
Unterstützt wird die Aktion von verschiedenen Spendern. Die Familien, die sich in Ludwigsburg mit ihren Kindern einen Ranzen aussuchen, sind dafür sehr dankbar. «Das ist sehr teuer für uns», sagt etwa Jihan Omer aus dem Irak, die mit ihrer Tochter in Ludwigsburg durch die verschiedenen Modelle stöbert. «Ich bin sehr glücklich», sagt sie, nachdem das passende Exemplar gefunden ist.
Scham für Inanspruchnahme staatlicher Unterstützung
Der Kinderschutzbund sieht eine wachsende Nachfrage. «Wir hören von der Basis, dass ein Mehrbedarf besteht», sagt Paula Wenning , Fachreferentin des Verbands für Kinderarmut und Familienrecht. Hinzu komme eine hohe Dunkelziffer. Immer noch empfänden Familien Scham, wenn sie bei dieser wichtigen Investition in die Zukunft ihres Kindes vom Staat abhängig seien.
Die Ortsverbände, von denen sich viele für kostenlose Schulranzen engagierten, hätten eine wachsende Nachfrage bei Alleinerziehenden und großen Familien mit drei und mehr Kindern beobachtet. «In diesen Gruppen schlägt die Inflation besonders durch», erläutert die Juristin. Deren Kinder seien überproportional von Armut bedroht.
Als armutsgefährdet gilt ein Mensch, der weniger als 60 Prozent des Median-Einkommens zur Verfügung hat. Der Median ist der Wert, der bei einer Aufstellung von Daten in der Mitte liegt. Gut 40 Prozent der Kinder von Alleinerziehenden fallen laut Wenning in diese Kategorie. In Baden-Württemberg ist laut Statistischem Landesamt seit Jahren knapp ein Fünftel der Jugendlichen unter 18 Jahren armutsgefährdet; 2023 genau 18,7 Prozent. Bei Kindern im Grundschulalter ermittelten die Statistiker für 2023 einen Prozentsatz von 18,4 Prozent.
Mehr Hilfe für einkommensschwache Familien verlangt
Um allen Kindern gleiche Startchancen zu gewähren, müsse der Staat mehr tun als bislang mit dem Schulstarter-Paket für Empfänger von Bürger-, Wohn- und Familiengeld, fordert Wenning . «Die Pauschale von 130 Euro für das erste Schulhalbjahr und 65 Euro für das zweite ist nicht allen Betroffenen bekannt, Gelder werden zu spät beantragt oder die Anträge zu bürokratisch formuliert.»
Der Chef des Grundschulverbandes Baden-Württemberg, Edgar Bohn, hat beobachtet, dass die Grundschüler besonders auf die richtigen Marken ihrer Grundausstattung achten. «Wer da nicht mithalten kann, wird manches Mal ausgelacht», erzählt der ehemalige Rektor der Anne-Frank-Grundschule in Freiburg. In so einem Fall werde das Thema in den Klassen diskutiert und auf begrenzte Familienbudgets verwiesen. Er selbst habe das Glück gehabt, durch einen Förderverein aushelfen zu können. «Der Staat sollte sich aber nicht zu sehr auf solche internen Lösungen verlassen und seinen Beitrag erhöhen.»
Spärliche Ausstattung lässt Kinder leiden
Für die Kinder sei es besonders hart, für diese neue Lebensphase unangemessen ausgerüstet zu sein, ist Wenning überzeugt: «Wenn man bei der Einschulung nur mit Plastiktüte erscheint, ist man von Anfang an isoliert und hat dadurch langfristig schlechtere Bildungschancen.» Kinder hätten schon sehr genaue Vorstellungen, wie ein passendes Outfit auszusehen habe. «Wer dem nicht entspricht, der wird gemieden.» Folge sei oft ein geschwächtes Selbstwertgefühl. Die Diakonie Württemberg hat beobachtet, dass Kinder, denen die wichtigsten Utensilien fehlen, Gefahr laufen, ausgegrenzt und stigmatisiert zu werden. Dies erhöhe das Risiko, Opfer von Mobbing zu werden, fügt Verbandschefin Annette Noller hinzu.
Die Diakonie hat allein im Kreis Ludwigsburg mehr als 760 Schulrucksäcke und Ranzen sowie 140 Sportbeutel an Bedürftige verteilt. «Und wir hatten noch mehr Nachfrage», sagt Noller . Im Vorjahr waren es 600. Finanziert wird die Hilfe unter anderem von der örtlichen Sparkasse, dem Handel, der Kirchenkollekten sowie aus Eigenmitteln der Diakonie.
Diakonie fordert Grundsicherung für Kinder
Die Diakonischen Werke im Raum Baden kooperieren zum Beispiel in Karlsruhe mit dem Kiwanis-Club bei der Vergabe von rund 60 Schulranzen. In Heidelberg werden Einkaufsgutscheine in Höhe von 75 Euro für ein Kaufhaus ausgegeben, die an den Erwerb von Schulartikeln gebunden sind. In Schwäbisch Hall sind es sogar 200 Euro. Nicht nur Bürgergeldempfänger, sondern zunehmend auch Menschen mit geringem Einkommen zeigten Interesse an der Unterstützung, erklärt Noller .
Der Ranzen sei auch Signal, dass junge Menschen mehr Mittel für Teilhabe brauchten, sagt Noller : «Die Grundsicherung für Kinder ist für die gesamte Gesellschaft wichtig, denn wenn wir an den Kindern sparen, wird das am Ende viel teurer, weil Fachkräfte fehlen und die Zahl der auf staatliche Hilfe Angewiesenen wächst.» Die Ampel-Koalition müsse sich endlich zur Einführung der Grundsicherung für Kinder durchringen. (dpa/lsw)