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Werbung

Reklamemarken waren Werbeträger im Kaiserreich

Von Frankreich ausgehend verbreiteten sich die Reklamemarken ab 1900 mit großem Erfolg über ganz Europa. Meist waren sie größer als Briefmarken und ohne postalischen Wert. Die farbenfrohen Papierbilder dienten zur Werbung für Veranstaltungen, Fremdenverkehrsorte und Konsumwaren. Sie waren, ebenso wie die Briefmarken, vor allem bei Kindern beliebte Sammelobjekte.

Reklamemarken aus Esslingen für Bilderbücher und Drogerieartikel mit Seriennummer und Signatur des Künstlers.

Jürgen Kochendörfer)

Stuttgart/Esslingen. Im späten 19. Jahrhundert tauchten die ersten bunten Bildchen auf. Anfangs waren sie zum Verschließen von Briefen gedacht, häufig auch von kommunalen Behörden in Form von runden Papiersiegeln. Bald verbreiteten sich die Marken zur Ankündigung von Ausstellungen, zur Fremdenverkehrswerbung dann immer häufiger als Werbung für vielerlei Konsumartikel.

Einige Unternehmen erkannten schnell den Sammelwert von den schönen bunten Aufdrucken und kreierten aus den ursprünglich eher schmucklosen und einfachen Werbemarken wahre Kunstwerke. Somit entstanden aus den ursprünglichen Siegelmarken die Reklamemarken, die zu Sammelobjekten wurden.

Bekannte Reklamemarken kamen unter anderem von den Firmen Bahlsen oder Salamander. Auf einer Marke des Schuhfabrikanten trat sogar das damalige Logo-Maskottchen und spätere Werbetier Lurchi zum ersten Mal auf.

Die bisherige Klassengesellschaft verlor allmählich ihre Konturen

Vor der Jahrhundertwende hatte in Deutschland eine kunstpädagogische Reformbewegung eingesetzt, hin zur künstlerischen Bildung breiterer Bevölkerungsschichten. Die Klassengesellschaft aus Bürgertum und Arbeitern verlor ihre Konturen. Eine breiter werdende Mittelschicht interessierte sich nun ebenfalls für Kunst und Kultur.

Sammelbilder ergänzten und förderten den Bewusstseinswandel. Spötter nannten Reklamemarken deshalb als „Bildung für die Hosentasche“. Zu einer Zeit, in der es noch keine Marketing- oder Werbeabteilungen in den Betrieben gab, erkannten gewerbliche Unternehmer und Kaufleute das breiter werdende Kulturbedürfnis. Künstlerisch hochwertige Sammelbilder sollten sich von der Masse der trivialen Briefmarken- und Papiersiegel-Ausgaben abheben.

Viele Künstler, darunter auch so bekannte wie Adolph Menzel oder Max Liebermann, wurden für die neue Strategie gewonnen. Bedeutende Grafiker schlossen sich an. Das Ergebnis waren oftmals Darstellungen von großer stilistischer Schönheit und drucktechnischer Perfektion.

Das Aufkommen von Werbemarken fällt mit neuen Einflüssen in der Bildenden Kunst zusammen. Viele waren Erzeugnisse der angewandten Grafik. Sowohl Jugendstil, Expressionismus und Art Deco oder Neue Sachlichkeit haben die Gestaltung der Werbemarken beeinflusst.

Reklamemarken waren meist größer als Briefmarken. Fast immer hatten sie perforierte, also gezackte Ränder. Die meisten waren – wie auch die Briefmarken – auf der Rückseite zum Aufkleben gummiert. Unter der Gummierung waren oft umfangreiche Werbebotschaften versteckt.

Die Reklamemarken waren oft auch Miniaturausgaben der damals häufigen Werbe-Plakate auf Litfaßsäulen, vor allem, wenn es um die Ankündigung von Ausstellungen ging. Zahlreiche noch vorhandenen Beispiele belegen, dass ein Plakatmotiv gleichzeitig auch auf einer Reklamemarke verbreitet wurde. Dies erhöhte den Wiedererkennungswert der Ankündigung oder eines neuen Produktes.

Doch Plakate wurden schon bald wieder überklebt. Werbemarken dagegen blieben meist gut geschützt in Alben aufbewahrt und sind daher auch heute noch in großer Anzahl vorhanden. Sie sind ein Sammelgebiet, das heute mehr Anhänger findet als Briefmarken.

Das Aufkommen von Reklamemarken fällt auch mit den neuen Einflüssen in der Bildenden Kunst zusammen. Viele waren Erzeugnisse der angewandten Grafik. Sowohl Jugendstil, Expressionismus und Futurismus, als auch Art Deco oder Neue Sachlichkeit haben die Gestaltung der Marken beeinflusst. Zunächst verwendeten Betriebe und Behörden die Marken für ihre Briefausgänge. Später wurden die bunten Bilder den Produkten beim Verkauf beigegeben.

Vor allem Nahrungs- und Genussmittel warben in der Blütezeit der Reklamemarken von 1900 und 1914 mit den bunten Bildern. Sie wurden beim Einkauf den Kunden zum Geschenk gemacht. Erwachsene Käufer waren das Ziel der Werbung. Aber die Sammelwut der Kinder band die Eltern an die entsprechenden Angebote. Dieses Instrument zur Verkaufsförderung erzwang schließlich durch die Einführung kompletter Sammelserien die Markentreue der Kundinnen und Kunden.

Die Marken wurden getauscht wie die heutigen Fußballbilder

Die Vielfalt und Schönheit der Marken führte schnell zu einem regelrechten Sammelboom und schließlich auch zur Unterteilung der Marken nach Untergruppen, beispielsweise Veranstaltungs- und Wohltätigkeitsmarken. Kinder tauschten die Marken untereinander, so wie wir das heute bei den beliebten Fußballbildern kennen.

Allerdings blickten vor mehr als 100 Jahren leidenschaftliche Briefmarkensammler auf die von ihnen verspotteten „Erinnophilisten“ mitleidig herab.

Kulturelles Zeugnis

Allein im Jahr 1913 wurden in Deutschland rund 50 000 unterschiedliche Reklamemarken hergestellt. Die Sammler beschränkten sich auf regionale oder branchenspezifische Ausgaben. Das hat sich bei der heute überschaubaren Zahl von Liebhabern nicht geändert. Am Ende des Ersten Weltkriegs wurden die Reklamemarken durch die aufkommenden Zigarettenbilder abgelöst.

Heute sind die Reklamemarken wichtige kulturelle Zeugnisse. Archive und Museen kümmern sich um die thematische und regionale Zuordnung und es gibt immer noch Liebhaber und Sammler dafür.

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