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Regierungspräsidentin des Regierungsbezirks Stuttgart: „Wir sind wie der Patty in einem Hamburger“
Susanne Bay: Die größte Herausforderung ist die tägliche Vielfalt der Themen in diesem riesigen Haus mit 2300 Beschäftigten. Wir verteilen zum Beispiel die Kehrbezirke für die Schornsteinfeger, wir haben Stall-Klimaberater für Rinderställe, wir haben ein Unterwasser-Mähboot auf der Brenz am Start. Wir verwalten Tausende von Stiftungen, sind Kommunalaufsicht für die Großen Kreisstädte und Stadt- und Landkreise. Und wir sind für die Erstaufnahme von Geflüchteten in unserem Regierungsbezirk zuständig.
Wie behalten Sie bei so vielen unterschiedlichen Themen die Übersicht?Wichtig ist es, dass ich mich in die Themen schnell einarbeite. Dazu braucht es natürlich gute Zusammenarbeit mit den einzelnen Fachbereichen. Ich möchte sprechfähig sein, auch wenn ich vor Ort bin und ausgewogene Entscheidungen treffen. Da benötigt es viel Neugier und Bereitschaft, sich mit komplexen Materien zu befassen.
Alle wollen Bürokratie abbauen, wird das im Regierungspräsidium gelebt?Natürlich darf die Bürokratie nicht überbordend sein, davon bin ich vollkommen überzeugt. Bürokratie an sich ist nichts Böses – die Verwaltung dient der Gerechtigkeit und der Vergleichbarkeit. Aber wir haben uns als Gesellschaft sehr viele ordnende Regeln gegeben, die uns zunehmend einengen. An deren Reduzierung muss die Politik arbeiten und es braucht einen Konsens darüber, dass wir dann alle zum Abbau stehen. Wir möchten einen guten Service bieten und noch effizienter Arbeiten. Ich ermuntere meine Kolleginnen und Kollegen auch, pragmatische Lösungen zu finden Ermessensspielräume auszuschöpfen.
Sie sind auch für das ganze Land zuständig, wie bei der Anerkennung ausländischer Abschlüsse in Pflegeberufen …Ja, das ist ein sehr großes Thema. Die Gewinnung von Fachkräften ist uns sehr wichtig. Wir sind auch landesweite Luftsicherheitsbehörde, etwa für die Zulassung von Drohen. So haben wir etwa schon einen Vertiport genehmigt, einen Drohnenlandeplatz in Bruchsal. Viele Bürger oder Unternehmen bemerken oft gar nicht, wenn wir geräuschlos unsere Arbeit machen. Es sei denn, wir müssen die eine Gemeinderatswahl für ungültig erklären, das wird dann öffentlich diskutiert.
Weil Sie die Rechtsaufsicht sind und bei Oberbürgermeistern auch die Disziplinarvorgesetzte …Eine Amtsenthebung ist meines Wissens noch nie vorgekommen in Baden-Württemberg. Die Oberbürgermeisterinnen und Oberbürgermeister üben ihr Amt also verantwortungsvoll aus. Die Gemeindeordnung Baden-Württemberg gewährt ihnen schließlich auch eine besonders herausgehobene Stellung.
Also: Wie dramatisch ist die Lage bei den Kommunalhaushalten, die Sie prüfen?Einige Haushalte sind gerade noch so genehmigungsfähig, sie sind durchaus kritisch. Oft kommt es dann im Vollzug des Haushalts doch nicht so dramatisch, weil es mehr Einnahmen oder weniger Ausgaben gibt.
Die Regierungspräsidien sind Teil der Landesregierung, aber zwischen Land und Kommunen angesiedelt, ist das nicht oft eine schwierige Lage?Ich vergleiche es gerne mit einem Hamburger. Wir sind wie der Patty in der Mitte. Ohne ihn schmeckt es nicht. (lacht).
Beispiel Flüchtlingsunterbringung: Das Justizministerium sucht händeringend Erstunterkünfte (LEA), was ist Ihre Aufgabe in diesem Prozess?Wir erhalten derzeit viele Angebote von Gewerbeimmobilien, wir sichten diese vorab. Meine Kolleginnen und Kollegen schauen sich diese vor Ort an. Wenn ein Standort grundsätzlich geeignet ist, erfolgt eine stufenweise, vertiefte Prüfung zusammen mit Vermögen und Bau. Insgesamt greifen viele Stellen bei der Flüchtlingsunterbringung ineinander: Das Karlsruher Regierungspräsidium etwa hat die Aufgabe, Flüchtlinge landesweit zu verteilen. Wir betreiben die Erstaufnahmeeinrichtungen, die in unserem Regierungsbezirk liegen. Und nehmen dort unter anderem die Registrierung der Flüchtlinge vor.
Die Kommunen sind nicht begeistert bei Anfragen für neue LEAs, auch hier sitzen Sie als Regierungspräsidium oft zwischen allen Stühlen, oder?Die Notwendigkeit sehen viele, oft scheitert es an den Gegebenheiten vor Ort. Ziel ist es, durch den Ausbau der Kapazitäten steigende Zugänge abzupuffern. Wir gehen grundsätzlich mit viel Augenmaß vor. So haben wir zum Beispiel im vergangenen Jahr über Weihnachten die Geflüchteten in den LEAs gelassen, damit der Druck auf die Landkreise zumindest vorübergehend etwas reduziert wird.
Die Verwaltungsreform 2005 von Erwin Teufel hat die Regierungspräsidien gestärkt und die Sonderbehörden eingegliedert. Hat sich das bewährt?Ich denke ja. Wir sind wichtiges Scharnier und transportieren die Leitlinien der Politik in die Fläche. Wir betreuen zum Beispiel beim Thema Hochwasser die Abwicklung der 29 Förderprogramme sowie die Verwaltung der Sonderhilfen des Landes in Abstimmung mit den Kommunalen Landesverbänden. Das koordinieren wir und unterstützen gezielt – nicht nur beim Bereich Hochwasser, sondern beispielsweise auch bei den Landesgartenschauen. Oder nehmen Sie die 200 Euro Energiepreispauschale für Studierende. Wie kommt die Pauschale zu den Betroffenen? Da wir landesweit eine Zuständigkeit bei Bafög-Anträgen haben, wurde das Geld dann über uns ausgezahlt.
War die Corona-Pandemie ein Beispiel dafür, dass man bündeln musste?Genau, damals haben wir die Corona-Verdienstausfälle ausbezahlt. 139 000 Entschädigungsanträge gingen bis Ende 2022 bei uns ein – landesweit waren rund 382 000. In einer solchen Notlage zeigt sich, dass der Staat die Strukturen schaffen kann und handlungsfähig ist. Es klappt nicht alles, das will ich sicher nicht behaupten, aber ich finde es wichtig mehr darauf zu schauen, dass unser Staat an ganz vielen Stellen funktioniert.
Die Stuttgarter Regierungspräsidenten von Manfred Bulling über Udo Andriof oder Johannes Schmalzl waren sehr politische Personen, wie würden Sie ihr Amt einschätzen?Ich sehe mich durchaus als politischen Menschen, war zuvor ja Abgeordnete. Aber als Behördenchefin bin ich zuallererst Recht und Gesetz verpflichtet, und ich sehe uns durchaus als Ermöglichungsbehörde. Wir können nicht alles ermöglichen, aber wir bemühen uns um Lösungen. Die Bürgerinnen und Bürger können sich darauf verlassen, dass sie in einem Rechtsstaat mit verbindlichen Reglungen leben – und wir diese anwenden.
Das Gespräch führte Rafael Binkowski.