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Justiz

Eine fiktive Allee für den Phantomjurist Friedrich Gottlob Nagelmann

Der Erfinder dieses Namens ist unbekannt. Friedrich Gottlob Nagelmann ist ein fiktiver deutscher Verfassungsjurist, ein Phantomjurist, den es so vermutlich nie gegeben hat. Dem wurde aber im Jahr 1986 ein Straßenschild auf dem Hof des Gerichtsgebäudes in Baden-Baden gewidmet, außerdem findet er in rechtswissenschaftlichen Publikationen Erwähnung und er ist auch Gegenstand satirischer Abhandlungen.

In Baden-Baden wurde 1986 eine „Allee“ nach dem Phantomjurist benannt.

Werner Frasch)

Baden-Baden. Zwischen der euphemistisch als „Grüne Einfahrt“ bezeichneten vierspurigen Bundesstraße B 500 und der Rückseite der Bürogebäude von Staatsanwaltschaft und Polizeirevier in der Baden-Badener Weststadt gibt eine überkandidelt als „Allee“ klassifizierte Sackgasse die eingeschränkte Zufahrt frei zu wenigen schattigen und somit begehrten Parkplätzen im Vorhof von Landgericht und Amtsgericht.

Ihr Namenspatron Friedrich Gottlob Nagelmann – laut einer Infotafel im Jahr 1889 geboren und unter anderem „badischer Patriot von Gesinnung“, später „Erster Wiss. Mitarbeiter des BverfG“ sowie „deutscher Forstrechtler von Rang“ – dürfte keinem Otto-Normalverbraucher bekannt sein, kein Adressenverzeichnis und schon gar nicht Google Earth listet den Namen.

Und selbst die Kenner der baden-württembergischen Landesgeschichte passen bei einer Nachfrage nach Nagelmann – und dabei genießt der Geehrte doch einen sagenhaften Ruf in Justizkreisen vornehmlich bei höheren Rängen mit einem Hang zum Humor.

Bei der Enthüllung des Straßenschildes 1986 war Prominenz anwesend: vorneweg Oberbürgermeister Walter Carlein, Bundesverfassungsgerichts-Präsident Wolfgang Zeidler und sein Vorgänger Ernst Benda griffen unter Beifallsbekundungen zahlreicher heiter-ironisch gestimmter Gäste zur Schere, durchschnitten das rote Band und gaben die Fahrbahn für den Verkehr frei.

Und zahlreiche amüsierte Teilnehmer dieses außergewöhnlichen Festaktes bestaunten Luftballons, die mit dem verhüllenden Tuch im Schlepptau himmelwärts schwebten.

Haben Roman Herzog und Ernst Benda den Namen erfunden?

Erst zwei Jahre vorher waren einige Geheimnisse um diesen weitgehend Unbekannten gelüftet worden. Top-Juristen, mit Roman Herzog und Ernst Benda sogar Präsidenten des Bundesverfassungsgerichts, kamen 1984 dem Phänomen Nagelmann auf die Spur, wenn sie nicht gar insgeheim seine Existenz ins Werk setzten. Trotz reicher literarischer Produktion blieb der merkwürdige Allround-Wissenschaftler seinen juristischen Kollegen lange Zeit ein Rätsel. Ihre mühsam gewonnenen Erkenntnisse schlugen sich schließlich in einer voluminösen Gedächtnisschrift mit mehr als 500 Seiten nieder, erschienen im Wissenschaftsverlag Nomos mit Sitz in der kurstädtischen Waldseestraße: für einen Juristen eine weitaus höhere Ehre als die Namenspatenschaft für eine Straße.

Friedrich Gottlob Nagelmann hat das Kaiserreich, die Weimarer Republik, den Nationalsozialismus, schließlich die Bundesrepublik und vielleicht sogar die Wiedervereinigung erlebt und damit wie manch anderer Karrierejurist Anpassungsfähigkeit an wechselnde politische Verhältnisse bewiesen – so sehen es seine Biographen und Lobschreiber.

Über seine letzten Lebensjahre ist wenig bekannt, hier besteht noch eine Forschungslücke. Die Spuren verlieren sich 1959, als er nach einem Besuch bei seinem Verleger in Baden-Baden nicht mehr an seinen Karlsruher Wohnort zurückkehrte. Er sei, so heißt es, Jahre später qualvoll gestorben. Ein Frosch sei ihm im Halse stecken geblieben.

Diesen sonderlichen Juristen umgeben Geheimnisse zuhauf. Niemand weiß, ob er überhaupt gelebt hat. Er ist, soviel steht fest, eine „Kopfgeburt“ ironiebegabter Juristen, die selbst vor schwarzem Humor nicht zurückschreckten. Sie waren davon überzeugt, in ihren Kreisen müsse ein „Typ Nagelmann“ wenigstens als Geist präsent sein, wenn ein solcher nicht wirklich existierte.

Damit gehört Nagelmann zu jener Spezies längst ausgestorbener Phantome, die in den 50er und 60er Jahren des letzten Jahrhunderts nicht nur die Bonner Amtsstuben bevölkert haben. Sie sind zur Projektionsfläche menschlicher Eitel- und Sonderbarkeiten geworden.

Examen mit der ironischen Note „besonders befriedigend“

Seine ersten praktischen Berufserfahrungen hat Nagelmann nach dem mit der selten vergebenen Note „besonders befriedigend“ bestandenen ersten juristischen Examen als Referendar bei der deutschen Kolonialverwaltung in Ostafrika gemacht und dort sein Erstlingswerk über die Musik der Ovambo verfasst.

Die Abhandlung „Jagdrecht im Stadtwald“ hingegen ist aktueller denn je angesichts zunehmender Populationen von Wölfen und Luchsen in heimischen Wäldern. Sein Werk „Der Parlamentarier als Störenfried – für mehr Ordnung im Bundestag“ könnte sich als prophetisch erweisen. Die These Nagelmanns zur Rechtsvergleichung findet sich im Werkzeugkasten jedes Juristen, der etwas auf sich hält: „Manches ist anders, manches genauso.“

Unser Wissen über Nagelmann besteht – nach heutigem Sprachgebrauch – aus Fake News. Man könnte auch „höherer Blödsinn“ dazu sagen. Der Unterschied ist nicht gravierend. Wer meint, Juristen seien humorlos, irrt. Ihn bringt ein Spaziergang durch die Nagelmann-Allee garantiert auf andere Gedanken.

Die Nagelmann-Allee in Baden-Baden als Tatort

Die Nagelmann-Allee hat einmal Eingang in ein amtliches Dokument gefunden in der Tatortbeschreibung eines Urteils des Verwaltungsgerichts Karlsruhe im Jahr 2022. Ein Rechtsanwalt hatte sein Fahrzeug dort auf einem Behindertenparkplatz abgestellt und wurde deshalb abgeschleppt. Es folgte eine Rechnung über 200 Euro. Der Fall wurde bis zum VGH Mannheim geführt, betroffen war schließlich ein Jurist , führte jedoch nicht zum Erfolg des Falschparkers.

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