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Friedrich-List-Biografie

Friedrich List: Liberaler Patriot, Eisenbahnpionier und visionärer Ökonom

Der liberale Feuerkopf Friedrich List machte steile Karriere im Dienst des Königs von Württemberg. Diese endete jäh, im August 1824 kam er sogar in Haft. Danach ging er in die USA – und kehrte hochdekoriert nach Europa zurück. Er gilt als Eisenbahnpionier und visionärer Ökonom.

Ölgemälde von Lists Tochter Caroline Hövemeyer 
nach der Lithografie Kriehubers, einer Büste und 
ihrer Erinnerung, 1889 (Heimatmuseum Reutlingen). Foto: Heimatmuseum Reutlingen

Heimatmuseum Reutlingen)

Reutlingen. Vor 200 Jahren, im August 1824, bekam die berüchtigte Festung Hohenasperg, das württembergische Staatsgefängnis, wieder einmal einen prominenten Insassen: Friedrich List, der als aufmüpfiger Staatsdiener in Ungnade gefallen war. Das war, zusammen mit der bereits 1822 erfolgten Verurteilung, der er sich zunächst durch Flucht nach Straßburg, Kehl und schließlich in die Schweiz entzogen hatte, ein Wendepunkt in seinem Leben. Denn das Anliegen der Regierung war es, den unbequem-umtriebigen Feuerkopf loszuwerden, indem man ihm als Alternative zur Haft das Exil anbot, möglichst weit weg, etwa in Australien. List entschied sich schließlich für die USA – und verließ die württembergische Heimat auf Dauer.

Geboren 1789, als die französische Revolution begann, gestorben 1846, zwei Jahre bevor die bürgerliche Revolution 1848 fast den gesamten europäischen Kontinent erschütterte, ist der Nationalökonom Friedrich List – „Bürger, Patriot und Visionär“, so der Titel einer neuen Biografie von Roland Brecht – bis heute der berühmteste und zumal wirkungsmächtigste Sohn Reutlingens.

List war ein vielseitig begabter Tausendsassa. Mit 15 Jahren tritt der Spross einer Handwerkerfamilie als Schreiberlehrling in Blaubeuren in den württembergischen Verwaltungsdienst ein. Er macht Karriere, gewinnt prominente Gönner wie die Reformminister Freiherr von Wangenheim und Karl von Kerner. Mit 28 wird List zum ersten Professor der neugegründeten Fakultät für Staatsverwaltungswissenschaft in Tübingen berufen, die künftig die Beamten fundiert akademisch ausbilden soll, und heiratet kurz darauf. 1819 gründet er den „Allgemeinen Deutschen Handels- und Gewerbeverein“, den ersten deutschen Unternehmerverband der Neuzeit. Ziel ist es, die innerdeutschen Zollgrenzen zu überwinden und einen Binnenmarkt zu schaffen.

Die „Reutlinger Petition“ führt zu seiner Verurteilung und Haft

Daneben wird List auch politisch aktiv. „Die Öffentlichkeit ist die Sonne des politischen Lebens“, sagt List selbst – und diese sucht er auch zeitlebens. Er wird bald als Abgeordneter für Reutlingen in den württembergischen Landtag gewählt, den der als fortschrittlich geltende König Wilhelm I. (1816 – 1864) einberuft.

Doch mit der auch vom Bürgermeister der Stadt unterstützten „Reutlinger Petition“ und ihren 40 Forderungen für eine liberale Reform von Verwaltung und Wirtschaft verscherzt sich List bald darauf die Gunst des Königs – mit den genannten Folgen. Verzicht auf die württembergische Staatsbürgerschaft und Auswanderung im Gegenzug für die Freiheit? List nimmt an.

Durch seinen Bekannten und Mentor, den Marquis de Lafayette, einen Helden der amerikanischen wie der französischen Revolution, findet er in den USA gastliche Aufnahme und Kontakt zu höchsten Kreisen. List reüssiert und wird durch Beteiligung an Kohle- und Eisenbahnunternehmen für einige Zeit wohlhabend. 1830 erhält er die amerikanische Staatsbürgerschaft, wird zudem zum Konsul ernannt. Nunmehr im Besitz diplomatischer Immunität, kehrt List zurück nach Europa und später auch nach Deutschland.

Bei längeren Aufenthalten in Paris freundet er sich mit Heinrich Heine an, auch Clara und Robert Schumann ist die Familie List eng verbunden. List wird 1834 geistiger Urheber und Mitarbeiter des Rotteck-Welckerschen Staatslexikons, einer der wichtigsten Schriften des deutschen Frühliberalismus. Sein Hauptwerk, „Das nationale System der Politischen Ökonomie“, entsteht 1841 – im Jahr, in dem er auch die Staatsbürgerschaft Württembergs zurückerhält, ohne dorthin zurückzukehren.

List befürwortet den Nationalstaat auch aus wirtschaftlichen Gründen

„Jede Nation hat ihre eigene politische Ökonomie“, so List; alles Wirtschaften ist für ihn in einen sozialen und kulturellen Kontext eingebettet – ein Satz der ihn zum Begründer der historischen Schule der Nationalökonomie macht. Einen Nationalstaat hält er auch aus wirtschaftlichen Gründen für sinnvoll. Im Mittelpunkt seiner Überlegungen, so schreibt Brecht, „stehen die produktiven Kräfte: als Quelle des Reichtums und Motor des Fortschritts“.

Heute allgemein bekannt ist List als Befürworter der Deutschen Zollunion und eines freien Binnenmarkts, Verfechter des Schutzzollgedankens und Pionier des Eisenbahnwesens. Eisenbahn und Industrialisierung, das sind für ihn siamesische Zwillinge; für beides setzte List sich unermüdlich ein, als Publizist, Planer und Macher. Er startete Kampagnen für den Aufbau eines deutschen Eisenbahnnetzes, entwirft unter anderem für Bayern und Sachsen und die Strecke Mannheim – Basel Pläne. Mutig, kontaktfreudig, von enormer Energie und Überzeugungskraft, ist er ein umtriebiger Netzwerker, mitunter aber schroff und streitbar. Obwohl er viele Vorhaben anstieß, besaß er nie dauerhaft eine gesicherte wirtschaftliche Existenz.

Zeugnisse seines bewegten, unsteten Lebens sind insgesamt 33 Umzüge auf zwei Kontinenten: „Er hat die Welt tatsächlich gesehen und praktisch erlebt“, schreibt sein Biograf Brecht. Lists rege, rastlose Tätigkeit und hohe Produktivität bezeugen neben der Gründung und Herausgabe mehrerer Zeitungen und Zeitschriften und die Mitarbeit am Staatslexikon auch rund 800 Aufsätze zu verschiedensten Themen.

Seine ökonomische Theorie trägt später in Ostasien reiche Früchte

Ein enormes Pensum, bedenkt man, dass dies meist gleichsam nebenbei erfolgte. Denn „das konkrete Handeln hatte für List immer Vorrang“, schreibt Brecht.

Er hat sich mehrfach als Unternehmer versucht, mit wechselndem Erfolg. Als sich viele Projekte zerschlagen und seine wirtschaftliche Lage prekär wird, versiegten Energie und Lebenswillen des gesundheitlich ohnehin angeschlagenen 57-Jährigen: Er beging 1846 in Kufstein Suizid.

Was bleibt? „List politisierte die Ökonomie und popularisierte sie zugleich“ schreibt Brecht. Man dürfe in ihm „ohne Weiteres einen Vordenker der Sozialen Marktwirtschaft sehen.“ Dabei habe List, anders als meist die angelsächsische Ökonomie seit Adam Smith, Politik und Wirtschaft stets zusammengedacht und eine aktive staatliche Industriepolitik befürwortet – wie sie über hundert Jahre später etwa Japan und Südkorea erfolgreich praktiziert haben.

„Während die klassisch-liberale Theorie, sicherlich methodisch verfeinert und inhaltlich differenziert, aber in den Kernbotschaften im Grund unverändert, die Lehre an den Universitäten und Akademien bis heute bestimmt, wird reale Wirtschaftspolitik à la List gemacht“, schreibt Brecht.

Eine Gedenkmedaille für List in einer Aufnahme aus dem Jahr 1964. Auf der Rückseite ist die Fassade seines Geburtshauses in Reutlingen zu sehen. Foto: dpa
Auf der Rückseite der Gedenkmedaille ist die Fassade seines Geburtshauses in Reutlingen zu sehen. Foto: dpa

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