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Essay

Eine Deutschlandkoalition ist nicht alternativlos

Eineinhalb Jahre vor der Landtagswahl ist es zu früh für eine Verengung der Diskussion um Bündnisse, konstatiert Michael Schwarz in seinem Essay.

Hans-Ulrich Rülke (links) und Andreas Stoch könnten Mitglieder einer Deutschlandkoalition sein.

Marijan Murat)

2026 wird aller Voraussicht nach in der Landespolitik ein neues Kapitel aufgeschlagen. Dann wird nicht nur die Regentschaft des Winfried Kretschmann enden, sondern möglicherweise auch die der Grünen. Die Vorzeichen sind eineinhalb Jahre vor der Wahl mit Händen zu greifen.

CDU-Partei- und Fraktionschef Manuel Hagel tourt gerade, obwohl noch nicht einmal offiziell zum Spitzenkandidat ausgerufen, mit einem Kennenlern-Format durchs Land, das von echtem Wahlkampf kaum zu unterscheiden ist. FDP-Fraktionschef Hans-Ulrich Rülke führt, wo er auch geht und steht, das Wort von der schwarz-rot-gelben „Deutschlandkoalition“ im Munde und betont unentwegt, wie gut Hagel und er miteinander können. Auch SPD-Partei- und Fraktionschef Andreas Stoch scheint für eine Koalition mit den beiden bereit zu sein, selbst wenn ihn inhaltlich mehr mit den Grünen verbindet.

Gründe gibt es dafür einige: das allzu herrschaftliche Gebaren des Ministerpräsidenten, speziell im Umgang mit der Opposition; der Führungswechsel in der CDU, bei dem Thomas Strobl, auf den sich Kretschmann blind verlassen konnte, in die zweite Reihe rückte; aber auch der sich anbahnende Machtwechsel in der Landes-FDP. Der Landesvorsitzende Michael Theurer verlässt das Schiff, das zumindest auf Bundesebene erheblich Schlagseite hat und wechselt auf den gut dotierten und krisensicheren Posten eines Bundesbank-Vorstands. Alles andere als ein Nachfolger namens Hans-Ulrich Rülke wäre eine Riesenüberraschung.

Mit ihm würde sich die Landes-FDP neu positionieren. Eine Koalition mit den Grünen, für die Theurer vor einigen Jahren noch warb, ist für Rülke zwar nicht prinzipiell ausgeschlossen, aber eindeutig zweite Wahl. Lieber möchte er sie in die Opposition schicken – samt ihrem möglichen Frontmann Cem Özdemir.

Das liegt auch daran, dass Hans-Ulrich Rülke noch stärker als Michael Theurer ein Vertreter des FDP-Wirtschaftsflügels ist. Zentrale Anliegen sind für ihn die strikte Einhaltung der Schuldenbremse und die Lichtung des Subventionsdschungels. Zum Thema Bürgerrechte sagt er deutlich weniger.

Und auch auf Bundesebene spielen urliberale Themen wie Datenschutz längst nicht mehr die Rolle wie noch vor Jahrzehnten. Spätestens seit Guido Westerwelle bestimmen dort die Wirtschaftsliberalen den Kurs. Wobei der erste Bruch ja von 1982 datiert: Damals endete die sozial-liberale Koalition in Bonn, die 1969 mit dem Versprechen angetreten war, mehr Demokratie zu wagen.

Dabei hätte alles auch anders kommen können. Die Ampel in Berlin ist vor drei Jahre mit einem ähnlichen Motto angetreten: mehr Zukunft wagen. Und anfangs fühlt es sich ja auch wie eine Liebesheirat an. Doch dann kamen Krieg und Krise und spätestens seit dem Heizungsgesetz traut man sich nicht mehr über den Weg. Man ist nur noch zusammen, weil Neuwahlen den Absturz in die Bedeutungslosigkeit bedeuten könnten – insbesondere für die FDP.

Wäre diese Erzählung eine andere, hätten es Hagel und Rülke mit ihrem Pas de deux nicht so leicht. Dann wären vielleicht auch aus der CDU und FDP stärker Stimmen zu vernehmen, die sich für ein Offenhalten der Frage, mit wem man 2026 zusammengehen könnte, aussprechen. So aber scheint alles auf „Deutschland“ hinauszulaufen.

Das ist in dieser Verengung bedauerlich, denn die vergangenen acht Jahre haben gezeigt, dass Grüne und Schwarze das Land regieren können, auch wenn man sich oft weniger Streit und mehr Tempo gewünscht hätte. Doch immerhin streitet sich die Koalition in der Regel hinter verschlossenen Türen, was das Land angenehm vom Bund unterscheidet.

Möglicherweise ist die Zeit für ein Weiter-so aber auch abgelaufen. Hagel drängt es trotz seiner Jugend mit Macht an die Spitze. Und für Rülke ist 2026 womöglich die letzte Gelegenheit. Und beide ziehen eine Deutschlandkoalition vor, wobei Hagel ausdrücklich betont, dass er Schwarz-Grün nicht ausschließt. Gespannt sein darf man auf die Reaktion der Sozialdemokraten. Sie würden ja in erster Linie als Mehrheitsbeschaffer gebraucht. Ob Andreas Stoch da wirklich mitmacht? Und ob er das seinen Genossen schmackhaft machen kann?

In jedem Fall sind dies spannende Zeiten. Ob ein Dreierbündnis so unterschiedlicher Charaktere und Richtungen allerdings von Dauer ist, darf man – trotz wechselseitiger Sympathie der drei Hauptakteure – möglicherweise bezweifeln.

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