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Essay

Der Wirtschaftsstandort Deutschland braucht einen Ruck

Vor 27 Jahre hielt der damalige Bundespräsident Roman Herzog seine berühmte Ruck-Rede. Die darin getroffene Analyse der Lage in Deutschland und seine Schlussfolgerungen würden auch auf die heutige Situation von Wirtschaft und Gesellschaft passen.

Der frühere Bundespräsident Roman Herzog bei seiner berühmten Ruck-Rede im Berliner Hotel Adlon. Herzogs Analyse könnte auch auf die heutige Lage in Deutschland gemünzt sein.

dpa/Andreas Altwein)

Die Wirtschaft lahmt, die Zahl der Insolvenzen häufen sich und selbst bekannte Konzerne wie ZF, SAP oder Bosch bauen Tausende von Stellen ab. Stillstand in der Wirtschaft wird von einer trägen Politik befeuert, die sich im Kleinklein aufreibt. Dabei besteht akuter Handlungsbedarf in vielen Bereichen: Überbordende Bürokratie, marode Infrastruktur, schlechte Bildungsstätten und ein krankes Gesundheitssystem sind nur einige Beispiele.

„Was ist los mit unserem Land? Im Klartext: Der Verlust wirtschaftlicher Dynamik, die Erstarrung der Gesellschaft, eine unglaubliche mentale Depression – das sind die Stichworte der Krise. Sie bilden einen allgegenwärtigen Dreiklang, aber einen in Moll.“ Diese Zustandsbeschreibung fasst die aktuelle Lage gut zusammen. Sie ist jedoch 27 Jahre alt. Damals hat Bundespräsident Roman Herzog (CDU) den Deutschen ins Gewissen geredet.

Die Politik sitzt in ihrem ideologischen Laufstall fest

Die Transformation in großen Teilen der Wirtschaft, der Klimawandel, das Ende der friedlichen Zeit in Europa erscheinen als Einschnitte ohne Vergleich. Doch man denke nur an Ölkrise, Massenarbeitslosigkeit, Ende von Kohle und Stahl, die wirtschaftlichen Folgen der Wiedervereinigung, die Finanzkrise oder millionenfache Zuwanderung. Alles Ereignisse, die unser Land schwer erschüttert haben. Bewältigt wurden sie, weil die Haltung „weiter so“ durch mutiges Handeln ersetzt wurde. Und allen Prüfungen ist gemein, dass die Gemeinschaft, das Problem gestemmt hat. Manchmal war sogar der Wille größer als der Erfolg. Man denke nur an das gescheiterte „Bündnis für Arbeit“.

Wieder erleben wir Stillstand allenthalben. Die Politik sitzt in ihrem ideologischen Laufstall fest. Das mag hier und da wahlstrategisch Sinn machen, doch das Land bringt das nicht weiter. Im Gegenteil: Der Erfolg der Populisten belegt, dass die Bürger mehr erwarten. Die Menschen erwarten Lösungen, konstruktives Miteinander und eine Perspektive. Fundamentalopposition und kleinkariertes Kaputtreden von Koalitionsabsprachen haben dem Ansehen der Politik und dem Land insgesamt erheblich geschadet.

Unzufriedenheit in der Wirtschaft hat bedenkliches Maß erreicht

Inzwischen hat die Unzufriedenheit in der Wirtschaft ein bedenkliches Maß erreicht. Denn die aktuellen Hürden wie Bürokratie, Energiekosten oder Fachkräftemangel hemmen ein Wachstum, das in anderen Ländern stattfindet. Das bedeutet: Dort werden Waren und Dienstleistungen gekauft und erbracht, die noch bis vor kurzem von deutschen Unternehmen kamen. Vor allem der Mittelstand macht über die Verbände Druck. Die schlagen inzwischen merklich harschere Töne an. Doch leider hören die Adressaten nicht zu oder verstehen die Dramatik nicht.

Allerdings müssen sich die Unternehmen auch fragen lassen, ob manche Entwicklung nicht verschlafen wurde und ob Verlagerungen ins Ausland langfristig wirklich hilfreich sind. Ohne Arbeitsplätze gibt es auch keine Verbraucher und somit kein Markt. Von der Verantwortung gegenüber dem Land ganz zu schweigen.

Dieses Land hat schon viele Krisen gemeistert

Die aktuelle Krise ist bei den meisten Bürgern noch nicht angekommen. Massenarbeitslosigkeit droht nicht, weil die Betriebe derzeit jeden halten, so lange es nur geht. Denn es fehlen Fachkräfte allenthalben. Das führt allerdings zu Fehlentwicklungen. Immer mehr Betriebe klagen über spontane Krankmeldungen über ein oder zwei Tage. Junge Bewerber stellen hohe Ansprüche an Freizeit. Karriere ist uninteressant. Ganz im Gegensatz zu den Altersgenossen in Asien oder USA. „Innovationsfähigkeit fängt im Kopf an, bei unserer Einstellung etwa zu neuen Techniken, zu neuen Arbeits- und Ausbildungsformen, bei unserer Haltung zur Veränderung schlechthin“ hat Roman Herzog schon vor einem Vierteljahrhundert festgestellt.

Die Bremsklötze sind bekannt. Also kein Erkenntnis- sondern ein Umsetzungsproblem. Vor 27 Jahren rief der Bundespräsident den Deutschen zu, was aktueller ist denn je: „Die Welt ist im Aufbruch, sie wartet nicht auf Deutschland. Durch Deutschland muss ein Ruck gehen! Wir müssen Abschied nehmen von liebgewordenen Besitzständen. Alle sind angesprochen, alle müssen Opfer bringen, die Großen mehr, die Kleinen weniger – aber es müssen auch alle mitmachen.“ Dieses Land hat schon viele Krisen gemeistert. Auch die Zeit um die Jahrtausendwende. Das sollte Mut machen. Oder um Herzog zu zitieren: „Wir können etwas gestalten und sogar etwas verändern, wenn wir nur wollen.“

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