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Deutscher Juristentag 

Wie Juristen und Nicht-Juristen gemeinsam die großen juristischen Streitfragen angehen

Wo Recht auf Praxis und Alltag trifft: Beim 74. Deutschen Juristentag, der in Stuttgart stattfindet, werden wieder die großen juristischen Streitfragen der Zeit diskutiert. Die Empfehlungen finden Gehör in Politik, Gericht und Gesellschaft – auch Nichtjuristinnen und Nichtjuristen können sich einbringen.

Abstimmung beim 73. Deutschen Juristentag.

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Stuttgart. Er ist der größte und traditionsreichste rechtspolitische Kongress Europas: Der Deutsche Juristentag kommt seit 1860 regelmäßig zusammen. Unterbrochen nur vom Ersten Weltkrieg, dem Nationalsozialismus und der Corona-Pandemie ist er alle zwei Jahre in einer anderen Stadt zu Gast. Die 74. Ausgabe tagt vom 25. bis 27. September in Stuttgart, wo die Veranstaltung zuletzt 2006 stattfand.

„’Recht mitgestalten’ lautet das Motto der Deutschen Juristentage“, betont Judith Spiri, Geschäftsführerin des 74. Deutschen Juristentages. „Das Besondere: Juristinnen und Juristen aller Berufs- und Altersgruppen, aber auch interessierte Nichtjuristinnen und Nichtjuristen, gehen gemeinsam die großen juristischen Streitfragen unserer Zeit an.“

Bereits vor Gesetzgebungsverfahren könnten Rechtspraktikerinnen und Rechtspraktiker ihren Sachverstand einbringen, erläutert sie. Der Juristentag greife nicht nur Themen auf, die ohnehin auf der politischen Agenda stünden. Als unabhängiges Sprachrohr aller Juristinnen und Juristen zeige er dem Gesetzgeber den Reformbedarf auf.

Die Entschlüsse setzen seit vielen Jahren zahlreiche Impulse

In Stuttgart wird an sechs Fachthemen gearbeitet, über die Arbeitsergebnisse wird dann diskutiert und abgestimmt. „Daraus folgen Empfehlungen, die der Juristentag mit Mehrheit beschließt.“ Diese Beschlüsse würden regelmäßig gehört, von Politik wie Gerichten aufgegriffen und fänden Eingang in Gesetze und Urteile. „Die Tagungen setzten über die Jahre viele Impulse.“

Etwa 2012, als der Juristentag in München das Thema „Wutbürger“ im Zusammenhang mit S 21 aufgriff und sich dafür aussprach, die Öffentlichkeitsbeteiligung zu verbessern, so mehr Akzeptanz für Großprojekte zu schaffen. „Die Praxis und Gesetzgebung reagierte mit Planungsleitfäden, der ‚Politik des Gehörtwerdens’, runden Tischen und Gesetzesregelungen, die Öffentlichkeitsbeteiligung wurde gestärkt.“

Schon der erste Juristentag 1860 zeigt: Recht zeitgemäß weiterzuentwickeln ist seine DNA. Damals sei vor dem Hintergrund eines noch zersplitterten Rechts eine einheitliche Regelung des Zivilprozesses sowie ein gemeinsames deutsches Strafrecht und Obligationenrecht gefordert worden, sagt Spiri. Das habe eine Entwicklung in Gang gesetzt. Verabschiedet wurden 1877 die Reichsjustizgesetze mit einheitlichem Gerichtsverfassungsgesetz, die Zivilprozessordnung und die Strafprozessordnung.

1950 lief der Juristentag Sturm gegen das Ehe- und Familienrecht

„Auch in den Jahrzehnten danach war der Juristentag bei wichtigen Fragen seiner Zeit voraus“, unterstreicht die Richterin am Verwaltungsgerichtshof Stuttgart. Schon der Juristentag 1921 in Bamberg sei dafür eingetreten, die rechtliche Stellung des unehelichen Kindes und der ledigen Mutter zu stärken. 1950 in Frankfurt lief der Juristentag Sturm gegen das – trotz zwischenzeitlich Verfassung gewordenen Gebots der Gleichberechtigung – veraltete Ehe- und Familienrecht, forderte im Beamten- und Steuerrecht gleiche Rechte für Mann und Frau. Erfolgreich ging es weiter. Die Sonderveranstaltung beim Juristentag 1966 in Essen brachte die Königsteiner Entschließung: Sie prangerte die Gehilfen-Rechtsprechung an, also dass NS-Täter mit „auffallend niedrigen Strafen geahndet“ würden.

Auch die Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches wurde vorbereitet

Die Beschlüsse von 1968 in Nürnberg und 1970 in Mainz zur gesellschaftlichen Liberalisierung stießen nicht nur in Fachkreisen, sondern auch in der Öffentlichkeit auf Interesse: Das Strafrechtsreformgesetz von 1970 wurde maßgeblich initiiert, damit die Abschaffung der Strafbarkeit von sexuellen Handlungen männlicher Homosexueller und der „Kuppelei“. In Mainz legte man die Basis für das Eherechtsreformgesetz: 1976 wurde das Verschuldensprinzip durch das Zerrüttungsprinzip ersetzt.

Weitere prominente Beispiele sind die große Reform des Bürgerlichen Gesetzbuches zur Jahrtausendwende – in Münster vom 60. Deutschen Juristentages vorbereitet –, und die hybride Tagung 2020 in Hamburg und online mit dem höchst aktuellen Forum „Pandemie und Recht“ zu den Themen „Grundrechte in Zeiten der Pandemie“ und „Verteilung der Lasten der Pandemie“.

Digitale autonome Systeme, Online-Plattformen, Digitalunternehmen, Altersvorsorge und Demografie standen schließlich 2022 in Bonn im Fokus. „Und die Frage, wie wir zukünftig in unseren Städten leben und arbeiten wollen sowie um die Unabhängigkeit der Justiz“, so Spiri.

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