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Baustoff Lehm

Lehm als Baustoff: Ein Tausendsassa für die Architektur der Zukunft

Einst war Lehm auch hierzulande der Baustoff Nummer eins. Mit dem Aufkommen anderer Materialien wie Glas, Stahl und Beton geriet er fast in Vergessenheit. Seit einiger Zeit wird er als nachhaltiges Baumaterial, aber auch als trendiges Stilmittel wiederentdeckt. Auch das Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen sieht sein Potenzial und lobt einen Preis aus.

Der Neubau der Alnatura-Hauptzentrale in Darmstadt, entworfen von dem Büro Haas, Cook, Zemmrich/STUDIO 2050 setzt Maßstäbe im Lehmbau.

Roland Halbe)

Stuttgart. Der neue Innovationspreis Lehmbau BW soll beispielhafte Lehmbau-Projekte im Land sichtbar machen (siehe Kasten). „Das Wissen über die Anwendung des Baustoffs Lehm wird seit Jahrhunderten kultiviert, sein Potenzial für nachhaltiges und generationengerechtes Bauen ist riesig. Mit dem Innovationspreis Lehmbau wollen wir diesen Schatz heben und den Baustoff Lehm aus der Nische holen“, sagt Andrea Lindlohr (Grüne), Staatssekretärin im Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen, das den Preis auslobt.

Das Land lud bereits 2023 Fachleute zum Lehmbauforum ein

Vorausgegangen war der Initiative im Mai 2023 ein Lehmbauforum mit Fachleuten aus der Branche. Das Thema: die vielfältige Anwendung des nachhaltigen Baustoffs etwa als Lehmputz, Lehmplatten oder Lehmsteine. „Es gibt in keinem anderen Land so viele Hersteller von Lehmbaustoffen wie in Deutschland“, sagt dazu Martin Haas vom Architekturbüro Haas, Cook, Zemmrich – STUDIO2050 mit Sitz in Stuttgart.

Auch Haas war beim Forum mit dabei. „In den vergangenen zehn Jahren hat sich hier viel getan“, sagt er. Mittlerweile gibt es DIN-Normen, ebenso wie Regeln. „Das ist ähnlich wie beim Bierbrauen. Bei uns besteht eine Pflicht zur Volldeklaration und ein Verbot von chemisch wirksamen Stabilisatoren“, sagt Haas.

Die Architekten beschäftigen sich seit über zehn Jahren mit dem Baustoff Lehm. Angefangen hat es 2013 mit der Konzeption des Neubaus der Alnatura-Hauptzentrale in Darmstadt. Die dreigeschossige Halle mit einer Fläche von über 10 000 Quadratmetern wurde 2018 fertiggestellt. Ihr äußeres wie inneres Erscheinungsbild bestimmt eine Stampflehmfassade. „Stampflehm ist die Königsdisziplin. Man verwendet den Aushub, den man vor Ort vorfindet, bringt ihn in eine Schalung und stampft ihn dann“, so Haas. Dafür arbeiteten die Architekten mit Martin Rauch, dem in Europa wohl bekanntesten Lehmbauexperten, zusammen. Mit seinem Unternehmen Lehm Ton Erde hat dieser beim Bau von zahlreichen Gebäuden mitgewirkt, etwa auch beim bislang größten Lehmbauprojekt, dem Ricola-Kräuterzentrum von Herzog & de Meuron in der Schweiz.

Lehm ist nicht nur regional verfügbar und lässt sich zu 100 Prozent wiederverwerten, sondern kann Feuchtigkeit gleich gut aufnehmen wie abgeben,  Wärme speichern und sorgt für ein gutes Raumklima, aber auch für eine gute Raumakustik.

Lehm wirkt auf Betrachter unmittelbar ästhetisch ansprechend

Der vielleicht größte Effekt, den der Baustoff bei der Umsetzung habe, sei, so Haas, dass sich zwischen Gebäude und Nutzer sofort eine Verbindung aufbaue. „Die Oberfläche des Lehms hat eine naturgegebene Schönheit, die die meisten Menschen als angenehm empfinden“, sagt der Architekt. „Das Stabile, Dauerhafte, Natürliche liefert keine akademische Ästhetik, die man erst lernen muss, sondern eine große Grundästhetik, die jeder versteht.“

Trotzdem: Moderne massive Lehmgebäude sind in Deutschland selten. Architektinnen und Architekten wie Anne Heringer machen sich vor allem mit Lehmbauten in Spanien, Bangladesch oder Ghana einen Namen. Eines der ersten und wenigen Gebäude in Lehmbauweise in Deutschland seit 100 Jahren ist die Kapelle der Versöhnung in Berlin, die bis 2000 gebaut wurde. Entworfen von Peter Sassenroth und Rudolf Reitermann, wurde auf den Fundamenten des Chorraums der Versöhnungskirche von Rauch ein Raum in Stampflehmbauweise errichtet, umrahmt mit Balken aus Holz.

Aber auch im Land gibt es weitere neue Beispiele, etwa das Wohnhaus aus Holz, Lehm und Stroh in Pfaffenhofen bei Heilbronn des jungen Architekturbüros Atelier Kaiser Shen mit Sitz in Stuttgart. Oder der Neubau des Gemeindezentrums der evangelisch-freikirchlichen Gemeinde Karlsruhe mit seinem sakralen Hauptraum aus Stampflehmwänden.

Lehm als Dämmputz im Innenbereich ist für Denkmale ideal

Carmen Mundorff, Geschäftsführerin der Architektenkammer Baden-Württemberg, setzt beim Baustoff Lehm für die Zukunft indes eher auf den Innenausbau: „Die große Aufgabe, die jetzt vor uns liegt, besteht darin, den Bestand energetisch zu sanieren.“ Besonders bei Denkmalen müsse das im Innenraum passieren. „Hier sind Dämmputze aus Lehm die bessere Alternative zu anderen Materialien“, so Mundorff. „Das ist eine gute Entwicklung zur richtigen Zeit.“

Staatssekretärin Andrea Lindlohr und das Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen wollen das Potenzial des Baustoff Lehms betonen.

Neuer Preis für Lehmbau-Projekte

Die Landesregierung hat sich zum Ziel gesetzt, Nachhaltigkeit im baden-württembergischen Wohnungsbau zu fördern. Um herausragende Lehmbau-Projekte im Land sichtbar zu machen, schreibt das Land in diesem Jahr erstmals den neuen Innovationspreis Lehmbau BW aus. Gesucht werden Bauprojekte, die im Zeitraum vom 1. Januar 2019 bis zum 31. Mai 2024 im Land realisiert wurden. Interessierte können sich bis 31. Juli ausschließlich per E-Mail bewerben. Für den Doppelhaushalt 2023/2024 wurden für den Innovationspreis Lehmbau BW Fraktionsmittel in Höhe von insgesamt 100.000 Euro zur Verfügung. Das Preisgeld beläuft sich auf insgesamt 40000 Euro, über die Anzahl der Auszeichnungen und die Höhe des jeweiligen Preisgeldes entscheidet die Jury, in der Mitglieder aller Fraktionen sowie aus den Bereichen Technik, Architektur und Handwerk vertreten sein.

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