Themen des Artikels

Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen

Interview: Vergabereform

Staatsminister Florian Stegmann im Interview: Land macht Direktaufträge bis 100 000 Euro möglich

Landesbehörden und -betriebe sollen erheblich mehr Beinfreiheit bei der Auftragsvergabe von Liefer- und Dienstleistungen bekommen. Florian Stegmann, der Chef des Staatsministeriums, hat dazu die VwV Beschaffung eingedampft. Die Vorschläge dürften auch die Kommunen unter Zugzwang bringen.

Staatsminister Florian Stegmann ist als rechte Hand von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (beide Grüne) für den Bürokratieabbau zuständig.

Achim Zweygarth)

Staatsanzeiger: Herr Stegmann, Sie haben ein Entlastungspaket zum Bürokratieabbau geschnürt. Die Verbände sind nicht zufrieden, jetzt kommt noch eine Reform der Landesbauordnung und der Vergabeverordnung obendrauf. Ist das der große Wurf, auf den alle warten ?

Florian Stegmann: Ob das jetzt der große Wurf ist, müssen andere beurteilen. Wichtig ist, zu zeigen, dass die Regierung erfolgreich zusammenarbeitet. Dass wir die Themen, die wir uns gesetzt haben, abarbeiten. Nach dem Entlastungspaket von letzter Woche mit 100 Maßnahmen wurden heute im Kabinett noch einmal acht gewichtige Gesetzesvorhaben mit großem Entlastungspotenzial beschlossen.

Wo sehen Sie da die stärksten Punkte?

Die Reform der Landesbauordnung, die das Bauen und Sanieren spürbar erleichtern wird und uns schneller bezahlbaren Wohnraum bringen kann, ist schon ein richtig dicker Fisch. Aber auch mit der Landesagentur für Zuwanderung, unserer neuen Anlaufstelle, die auf Fachkräfteverfahren spezialisiert ist, werden wir die Ausländerbehörden massiv entlasten und die Verfahren für die Antragsteller erleichtern. Oder nehmen Sie das Landesmobilitätsgesetz und die neue Regelung zur digitalen Parkraumkontrolle – das schafft wichtige Personalressourcen für andere Bereiche. Und natürlich die neue Verwaltungsvorschrift Beschaffung.

Die Verwaltungsvorschrift VwV Beschaffung ist von 59 auf zwölf Seiten massiv gekürzt worden. Was ist das Ziel?

Sie regelt, wie die öffentliche Hand Aufträge vergibt. Über der Schwelle von derzeit 221 000 Euro wird das europäisch geregelt. Darunter greift die VwV Beschaffung. Ziel ihrer Überarbeitung war es, radikal neu zu denken. Der Weg dorthin, der war steinig, um es deutlich zu sagen. Wir reden ja von einer Verwaltungsvorschrift, die ursprünglich mal 59 Seiten hatte und wo alles bis ins letzte Detail geregelt war. Und zunächst war der regierungsinterne Entwurf sogar noch umfänglicher. Als der zur Anmeldung ins Kabinett kam, haben wir die Bremse eingelegt und die 59 Seiten auf zwölf Seiten runtergekürzt.

Können Sie uns sagen, wo Sie den roten Stift angesetzt haben?

Ja, es geht um drei grundlegende Änderungen: Anwenderfreundlichkeit, Verständlichkeit und Vertrauen. Nicht alles, was bereits anderswo geregelt ist, muss noch einmal in der Verwaltungsvorschrift wiederholt werden. Man muss davon ausgehen, dass der Bearbeiter in der Vergabestelle schnell an alle nötigen Informationen rankommt. Und wir vertrauen darauf, dass die Beschäftigten in der Landesverwaltung wissen, dass sie auch weiterhin wirtschaftlich beschaffen müssen.

Sie haben die Wertgrenzen angehoben.

Ja, wir wollen damit dem Anwender mehr Freiheiten einräumen. Bislang liegt die Wertgrenze für Direktaufträge bei 5000 Euro. Künftig wird sie auf 100 000 Euro angehoben. Die Wertgrenze für die Beschränkte Ausschreibung ohne Teilnahmewettbewerb lag bislang bei einem Auftragswert von 100 000 Euro. Diese haben wir radikal auf 221 000 Euro hochgesetzt. Das Gleiche gilt für die Verhandlungsvergabe. Die war bislang zulässig, wenn der Auftragswert 50 000 Euro nicht übersteigt. Auch hier gilt künftig 221 000 Euro.

Das bedeutet, dass mehr Aufträge ohne Wettbewerb direkt an Unternehmen vergeben werden können. Birgt das nicht die Gefahr eines Hoflieferantentums?

Da gilt für mich, was in vielen Bereichen gilt: Ich muss den Menschen etwas zutrauen. Natürlich kann es Missbrauch geben, den kann es aber auch in anderen Fällen geben. Es wäre ein Missverständnis zu glauben, dass Direktvergabe bedeutet, dass die Verwaltung nach Gutdünken Aufträge vergibt. Es gilt nach der Haushaltsordnung weiterhin der Grundsatz der Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit. Damit müssen weiterhin eine Markterkundung vorgenommen und Angebote eingeholt werden. Weiterhin ist in der Vergabeordnung festgelegt, dass bei Direktvergaben zwischen den beauftragen Unternehmen gewechselt werden soll. Einem Hoflieferantentum ist so ein Riegel vorgeschoben. Ob die erhöhten Wertgrenzen zu mehr Missbrauch führen, das werden wir Ende 2026 sehen, wenn wir die Maßnahmen evaluieren.

Auftragnehmer sind es gewohnt, dass Ausschreibungen veröffentlicht werden, zum Beispiel im Staatsanzeiger. Wie erfahren potenzielle Bieter künftig vom Bedarf der Landesverwaltung, wenn es vielfach nur noch Direktaufträge gibt?

Es sind auch weiterhin alle bisherigen Vergabeverfahren möglich. Die Neuregelung eröffnet den Beschaffungsstellen nur die Freiheit, ein angemessenes Verfahren für ihre Beschaffung zu wählen. Dort, wo öffentliche Ausschreibungen oder Verfahren mit Teilnahmewettbewerb einen Mehrwert bieten, werden sie auch weiterhin erfolgen. Bei kleinen und mittleren Aufträgen unter hunderttausend Euro war die Situation aber so, dass die Landesverwaltung aufgrund des bürokratischen Aufwands des formalen Verfahrens keine Anbieter mehr bekommen hat. Wegen eines Auftrags über 7000 Euro tut sich das kaum noch ein Unternehmen an, weil die Verhältnismäßigkeit nicht mehr gestimmt hat. Das neue Vorgehen entlastet also beide Seiten – Anbieter und Verwaltung.

Aber wie erfahren sie, dass die Landesbehörden etwas beschaffen wollen?

Schon bisher ist es ja so, dass eine öffentliche Ausschreibung oder auch ein Verfahren mit vorhergehendem Teilnahmewettbewerb vor allem dort zum Zuge kommt, wo der Verwaltung geeignete Unternehmen nicht bekannt sind. Das bleibt auch weiterhin möglich und wird genutzt werden. Klar, das kann man jetzt kritisieren und alle Gegenargumente anführen, aber das ist genau das, was ich immer wieder erlebe: Gibt es die Regelung, mokiert man sich über sie. Kaum ist die Regelung weg, heißt es, das ist zu viel Freiheit, die wir nicht ertragen. Sie können nicht Bürokratie abbauen und alles bleibt gleich. Jede einzelne Regelung, die wir haben, hat ihre Berechtigung. Und trotzdem müssen wir da ran.

Bei Liefer- und Dienstleistungen ab 100 000 Euro soll ein CO 2 -Schattenpreis veranschlagt werden, also ein Preis für jede über den Lebenszyklus der Maßnahme entstehende Tonne Kohlenstoffdioxid. Wie hoch ist der Aufwand, solch einen CO 2 -Schattenpreis zu ermitteln?

Dazu gibt es eine verlässliche und belastbare Hilfestellung des Umweltbundesamts: das Life Cycle Costing-Tool. Damit kann jeder nachschauen, was einzelne Produkte an Emissionen verursachen. Die Rechnungspflicht für den CO 2 -Schattenpreis gilt nur, wenn das Umweltbundesamt dieses Produkt mit Hilfestellung unterlegt hat. Das heißt umgekehrt, die Vergabestellen sollen nicht anfangen, selbst etwas zu berechnen.

Sie wollen Start-ups für öffentliche Aufträge mobilisieren. Wie?

Wir möchten unsere einzigartige Start-up-Landschaft in Baden-Württemberg stärken, indem wir uns als Ankerkunde anbieten. Denn das ist das Problem von Start-ups, sie verfügen nicht über etablierte Kunden. Und auch hier haben wir die Wertgrenze angehoben: Bis 221 000 Euro darf ohne formales Vergabeverfahren vergeben werden.

Das Gespräch führten Rafael Binkowski und Wolfgang Leja

Staatsminister Florian Stegmann (Mitte) im Gespräch mit Staatsanzeiger-Chefredakteur Rafael Binkowski (links) und Wirtschaftsredakteur Wolfgang Leja. Foto: Achim Zweygarth

Nutzen Sie die Vorteile unseres

Premium-Abos. Lesen Sie alle Artikel aus Print und Online für

0 € 4 Wochen / danach 189 € jährlich Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren

Lesermeinungen

Bitte loggen Sie sich ein, um zu kommentieren.

Lesen Sie auch