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Luftfahrt

Architekt Carl Friedrich Meerwein entwarf die erste deutsche Flugmaschine

Im 18. Jahrhundert entwarf der Architekt Carl Friedrich Meerwein die erste deutsche Flugmaschine. Zwar ist unklar, ob der Ornithopter funktioniert hat, die technische Leistung des Erfinders schmälert das aber nicht.

Der Luftfahrtpionier Carl Friedrich Meerwein.

Stadtgeschichtliches Museum Emmendingen)

Emmendingen. Er hat mit Sicherheit dicke Hosen gehabt. Wie genau das Beinkleid aussah, in das Carl Friedrich Meerwein für den großen Tag geschlüpft ist, verschweigen die Quellen. Man darf jedoch annehmen, dass der Stoff sehr robust gewesen sein muss. Immerhin war eine Flügelkonstruktion daran befestigt, deren gesamte Oberfläche 12 Quadratmeter betrug.

Was dann geschah, ist bis heute umstritten. Ebenso wie das genaue Jahr. Wahrscheinlich war es 1784. Manche behaupten, der Versuch mit dem frühen Luftfahrgerät sei kläglich gescheitert, habe vielleicht sogar nie stattgefunden.

Eine alte Ausgabe der renommierten Encyclopedia Britannica dagegen vermerkt etwas anderes: Ganze 150 Meter weit sei der Wagehals aus Emmendingen mit seiner aeronautischen Hose gekommen. Erst dann soll die Luftpartie ein zwar schmutziges, aber vergleichsweise sanftes Ende im Misthaufen einer Gastwirtschaft gefunden haben. Falls der Lexikoneintrag aus England stimmt, wäre dem Tüftler der erste erfolgreiche Schwingenflug der Geschichte gelungen.

Hans-Jörg Jenne allerdings schüttelt den Kopf. Als Kurator des Stadtgeschichtlichen Museums im Emmendinger Markgrafenschloss hat er die betreffenden Dokumente intensiv studiert. „Meerwein behauptet an keiner Stelle, dass sein Flugversuch geglückt sei. Und er war gewiss nicht der Typ, der das verschwiegen hätte.“ Zudem gebe es namhafte Autoren der Zeit, die näher am Geschehen dran waren als die Mitarbeitenden der Encyclopedia Britannica.

„Warum erwähnen sie nichts dergleichen?“, fragt Jenne skeptisch. Dem Philosophen Johann Georg Schlosser etwa, der bis 1787 in Emmendingen lebte und Meerweins Vorgesetzter war, wäre die Überwindung der Schwerkraft gewiss eine schriftliche Würdigung wert gewesen.

Flugmaschine wurde nach den erhaltenen Plänen rekonstruiert

„Zum Stadtjubiläum 1990“, erinnert sich Jenne, „wurde die Flugmaschine nach den erhaltenen Plänen rekonstruiert.“ Den Nachbau in die Luft zu bringen schaffte dabei niemand. Dass dem Erfinder die technische Sensation vermutlich versagt blieb, mindere jedoch nicht seinen Rang in der Geschichte der Luftfahrt, wie Jenne hervorhebt. „Meerwein war kein naiver Fantast wie der Schneider von Ulm, sondern empirischer Forscher.“ Sein einziger Denkfehler, behaupten moderne Luftfahrt-Ingenieure, lag in der Beweglichkeit der Tragflächen. Mit starrer Mittelachse hätte der Apparat funktionieren können.

1737 in Leiselheim am Kaiserstuhl geboren, interessierte Meerwein sich früh für Naturwissenschaften. In Straßburg und Jena studierte er Mathematik, Physik, Landwirtschaft und „Civilbaukunst“, bevor er in die Dienste des Markgrafen von Baden trat. 1769 erfolgte seine Ernennung zum Landbaumeister in Emmendingen. Doch das architektonische Tagesgeschäft genügte dem Baubeamten nicht.

Mit dem Aufschwung der exakten Wissenschaften im 18. Jahrhundert setzte auch die Eroberung des Himmels ein. Dabei favorisierte Meerwein einen anderen Ansatz als die Brüder Montgolfier in Frankreich. Deren Heißluftballon, stichelte der Badener nicht ohne Chauvinismus, fliege gar nicht, sondern schwimme nur in der Luft. Er hingegen wolle sich keine Fische, sondern Vögel zum Vorbild nehmen. Systematisch erforschte der Techniknerd vom Oberrhein diverse Arten von Federvieh: Graureiher, Trappen, Feldhühner. „Besonders wichtig schienen ihm Wildenten, immer wieder hat er sie gefangen, gewogen und vermessen“, so Jenne.

Auf dieser Basis entstand dann der wohl erste deutsche Flügelapparat aus Leinenstoff und Lindenholz – ein so genannter Ornithopter, wie er bereits Leonardo da Vinci vorschwebte. Dass Meerwein die damals schwer zugänglichen Zeichnungen und Skizzenbücher des Renaissancegenies gekannt hat, gilt als unwahrscheinlich.

Ihm gelang die richtige Relation von Gewicht und Spannweite

Meerwein verfasste eine eigene Schrift über die Nachahmung des Flugs. Sie wurde ins Französische und Portugiesische übersetzt, was ihre Bedeutung unterstreicht. „Bahnbrechend“, sagt Jenne, „waren vor allem die Einblicke in die richtige Relation von Gewicht und Spannweite.“

Gut ein Jahrhundert später besann sich Otto Lilienthal auf die Vorarbeiten Meerweins und führte den ersten sicher dokumentierten Flug in Gleittechnik durch. Sein badischer Kollege war da bereits vergessen. 1810 starb Meerwein nach einem Sturz vom Pferd. Welch ein tragisches Ende für einen Luftfahrtpionier!

Meerwein war von Beruf ein gelernter Architekt

Im Hauptberuf gehörten Brücken und öffentliche Bauten zu seinem Aufgabengebiet: Der gelernte Architekt zeichnete insbesondere für das 1789/90 errichtete Emmendinger Neue Schloss verantwortlich. In dem klassizistischen Bau, der zunächst als Verwaltungszentrum und Sitz des Landvogts diente, befindet sich seit dem 19. Jahrhundert das Amtsgericht. Zu den weiteren noch erhaltenen Werken Meerweins gehören die evangelische Bergkirche im Freiburger Stadtteil Opfingen sowie das dortige Rathaus. 1802 veröffentlichte der Planer zudem ein Lehrbuch über den Gewölbebau.

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