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Essay

Die Suche nach den Einwohnern muss ein Ende haben

Der Zensus hat erneut ein Minus an Personen ergeben. Für manche Städte ist das ein Problem, weil von den Einwohnerzahlen die Finanzmittel abhängen. Für die Volkszählung braucht es deshalb eine bessere Methodik, um die Daten zu erheben.

Für den Zensus 2022 gingen ehrenamtliche Erhebungsbeauftragte zu den Menschen und befragten sie nach ihrer Lebenssituation.

dpa/Daniel Karmann)

Ganz so schlimm wie im Jahr 2011 war es diesmal nicht. Nur 131 344 Personen weniger wurden durch den Zensus 2022 in Baden-Württemberg gezählt. Ein Grund zum Feiern ist das aber nicht. Denn die Art der Datenerhebung ist im digitalen Zeitalter nicht mehr zeitgemäß. Sie ist deshalb exemplarisch für die schleppende Verwaltungsdigitalisierung.

Tausende Register mit Meldedaten mussten mit Millionen von Stichproben abgeglichen werden. Das Ergebnis ist unter vielen Städten schon jetzt umstritten, zumal die Daten die Grundlage für die wichtigen Kommunalfinanzen bilden: Jeder Einwohner bedeutet für Kommunen bares Geld, denn daran sind die Leistungen für den kommunalen Finanzausgleich geknüpft. Städte wie Pforzheim und Heilbronn können sich über ein Einwohnerplus und damit mehr Geld freuen, anderen fehlt es jetzt – und das über zehn Jahre hinweg, weil die erhobene Zahl fortgeschrieben wird.

Das Ergebnis der Volkszählung hängt zu sehr vom Faktor Mensch ab

Das Ergebnis der Volkszählung hängt zu sehr vom Faktor Mensch und von der Qualität der Erhebungsstellen ab. Wie gut sind die Ehrenamtlichen geschult, um stichprobenartig die Einwohner zu zählen? Und auch der Zufall spielt eine Rolle, ob jemand auch zu Hause ist und den Befragern wohlgesonnen ist, wenn sie an der Tür klingeln.

Einige Städte wollen prüfen, ob sie Widerspruch gegen die Bescheide einlegen, wenn sie im September vom Statistischen Landesamt vorliegen. Doch das Ergebnis der Befragung nachzuvollziehen, könnte aufgrund des Datenschutzes schwer werden. Die Suche nach den verlorenen Einwohnern könnte vergebens sein.

Einen Einwohner-Schock wie 2011 wollten alle Beteiligten vermeiden. Die Kommunen haben 2022 einen immensen Aufwand betrieben: Noch mehr Ehrenamtliche sind losgezogen als 2011, um die Menschen in den Haushalten zu befragen. Das Land hat die Anzahl der Erhebungsstellen deutlich erhöht, von 44 auf 103. Die Stichproben in Baden-Württemberg stiegen von etwa 1,15 Millionen Personen auf rund 1,6 Millionen Personen an und es gab mehr Geld für das Mammutprojekt.

Und: Diesmal wurden auch in Städten und Gemeinden unter 10 000 Einwohnern eine Stichprobe genommen. Das führt allerdings dazu, dass nun auch in kleineren Kommunen Einwohner fehlen, beispielsweise in Jagsthausen (Kreis Heilbronn) sage und schreibe 14 Prozent.

Dennoch muss man fast von einem Erfolg sprechen

Dennoch muss man fast von einem Erfolg sprechen, dass in Baden-Württemberg der Rückgang der Einwohnerzahlen nur 1,2 Prozent betrug, während der bundesweite Durchschnitt bei einem Minus von 1,6 Prozent liegt. Beim Zensus 2011 lag der Rückgang im Südwesten noch bei 2,5 Prozent und damit deutlich höher als der damalige Bundesschnitt (minus 1,9 Prozent).

Grund für das Minus waren und sind vor allem weggezogene Ausländer, die sich nicht abgemeldet hatten. Länder mit hohem Ausländeranteil wie Baden-Württemberg sind von diesem Bevölkerungsschwund besonders betroffen. Tatsächlich leben in Deutschland fast eine Million Menschen aus dem Ausland weniger als bislang amtlich ausgewiesen. Das ist eine überraschende Zahl, die im Jahr der Landtags-, Kommunal- und Europawahlen nicht ganz unerheblich sein dürfte.

Die Registermodernisierung soll die Stichproben künftig überflüssig

Geht es nach dem Willen der Politik, sollte das Registermodernisierungsgesetz die Stichproben künftig überflüssig machen. Für den Zensus 2031 ist geplant, die Einwohnerzahlen direkt und ausschließlich aus den Registern der Kommunen zu ermitteln. Die Daten sollen weitestgehend automatisiert zusammengeführt sowie aufbereitet werden. Weil dann die aufwendigen Befragungen entfallen, könnten je Zensus rund 600 Millionen Euro gespart werden.

Doch Experten befürchten schon jetzt, dass doch wieder die Stichproben nötig sein werden. Die Bedenken sind berechtigt: Wie sollen die Register der Behörden so fit werden, dass sie von selbst die richtigen Zahlen ausspucken? Das ist nach dem aktuellen Zensus mit seinen vielen Korrekturen schwer vorstellbar. Und auch das Onlinezugangsgesetz zeigt, dass sich die Verwaltungsdigitalisierung massiv verzögern kann.

Vielleicht könnte der Zensus trotz allem der Anlass sein, die Suche nach den verschwundenen Einwohnern endlich zu beenden. Experten sehen in einem zentral geführten Register eine Möglichkeit, auch um die digitale Verwaltung voranzubringen. Das würde einen Paradigmenwechsel bedeuten und dafür braucht es den politischen Willen.

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