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Die Malerin Emilie Reinbeck führte den einflussreichsten kulturellen Salon Württembergs
Stuttgart. Was heute digitale Foren wie X oder Facebook sind, waren zu Goethes und Schillers Zeiten die Salons: Zwanglose Gesprächskreise, in denen man über Neuigkeiten aus Politik, Kultur oder Gesellschaft redete. Organisiert wurden diese Zirkel in privaten Wohnzimmern, wobei die Initiative von den Damen der Häuser ausging.
Da ihnen akademische Bildung verwehrt blieb, bot sich Frauen so eine der seltenen Gelegenheiten, am öffentlichen Diskurs teilzunehmen. Autorinnen wie Rahel Varnhagen oder Johanna Schopenhauer, die Mutter des Philosophen, etablierten sich auf diesem Weg als eigenständige Köpfe. Den einflussreichsten kulturellen Salon Württembergs führte die Malerin Emilie Reinbeck. 1794 kam die Tochter des Hofrats und Professors der Hohen Karlsschule August Hartmann in Stuttgart zur Welt.
Haus wird zum intellektuellen Hotspot der Residenzstadt
Nach ihrer Heirat mit dem Pädagogen Georg Reinbeck macht Emilie das gemeinsame Haus zu einem intellektuellen Hotspot der Residenzstadt. Bei Tee und Schnittchen trifft sich hier alles, was am Neckar Rang und Namen hat. Vom Sagensammler Gustav Schwab über den Arztdichter Justinus Kerner bis zum Hofbildhauer Johann Heinrich Dannecker. Sie alle schätzen die geistige Anregung, die ihnen die kuratierte Geselligkeit in der Stuttgarter Friedrichstraße bietet.
Während die Nachwelt Emilies Engagement als Netzwerkerin bis heute würdigt, werden ihre künstlerischen Verdienste oft vergessen. Dabei besaß sie mit dem Schwäbischen Klassizisten Gottlob Friedrich Steinkopf einen renommierten Lehrer, der besonders das Talent der Schülerin für die Landschaftsmalerei förderte.
Oft scheint es, als würden sich in Reinbecks frischen Naturszenen Eindrücke aus Italien mit der südwestdeutschen Heimat zu einer Idealwelt verbinden. Zugleich bringen Burgruinen oder Kreuze einen schwermütigen Unterton in die schwäbisch-mediterrane Heiterkeit. Letzteres geht vielleicht auf den Einfluss von Nikolaus Lenau zurück.
Der österreichische Weltschmerzpoet ist der glamouröseste der Schriftstellergäste im Salon. Er steht Emilie, die auch Texte von ihm illustriert, sehr nah, doch vermutlich bleibt die Beziehung der beiden rein platonisch. Der Spätromantiker schätzt die lebenskluge Schwäbin in erster Linie als Ratgeberin in seinen komplizierten Liebesaffären mit anderen Frauen.
Lenaus Krankheit warf einen schwarzen Schleier auf ihr Leben
Nachdem Lenau einen Nervenzusammenbruch erleidet, pflegt die Salon-Dame ihn zunächst bei sich daheim, ehe sie widerwillig der Verlegung in eine Anstalt zustimmt. Später verfasst Emilie einen ergreifenden Augenzeugenbericht über Lenaus Krankheit, die „einen schwarzen Schleier auf den Rest meines Lebens geworfen hat, den nur der Tod nehmen kann.“
Tatsächlich setzen ihr die tragischen Ereignisse schwer zu. Zwei Jahre darauf stirbt sie. Ihr Grab befindet sich auf dem Stuttgarter Hoppenlau-Friedhof. ( gl )