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Timur Özcan im Interview: „Junge Menschen wollen beteiligt werden“
Timur Özcan: Weil es an politischer Bildung fehlt. Junge Menschen wollen beteiligt werden, das ist die Aufgabe der demokratischen Parteien. Versäumen sie das, stoßen andere politische Strömungen in die Lücke und werben junge Menschen für sich ab. Das geschieht nicht immer faktenbasiert und zeigt deutlich, warum politische Bildung so wichtig ist.
Sie sprechen von der AfD, die trotz Skandalen besser bei Wahlen als Ihre SPD abschneidet. Warum ist das so?Der AfD geht es nicht um die Inhalte. Auf Gemeindeebene wirbt sie gerade nicht mit kommunalen Themen. Die Unzufriedenheit springt von anderen politischen Ebenen über.
Wenn die Unzufriedenheit mit der Bundespolitik aufs Kommunale ausstrahlt: Welchen Anteil hat die SPD-geführte Ampelregierung von Kanzler Olaf Scholz?Da müssen wir relativieren. In Walzbachtal haben wir nach der Wahl bei 18 Räten zwei von der AfD. Es hat keinen kompletten Umschwung gegeben . Unzufriedenheit gibt es in der Demokratie außerdem ja immer.
Die Opposition weist der Ampel einen großen Anteil an der Unzufriedenheit zu.Es ist einfach, das aus der Opposition heraus zu kritisieren, ohne es besser machen zu müssen. Allerdings bitte ich auch um Verständnis, dass ich da nicht als SPD-Mitglied, sondern als Bürgermeister spreche.
Umso leichter müsste es Ihnen fallen, Ihre Kritik zu adressieren.Deshalb habe ich den offenen Brief an die Bundesregierung unterzeichnet, um deutlich zu machen, dass es an politischer Bildung fehlt. Ich selbst habe nicht durch die Schule, sondern erst im Studium Kommunalpolitik kennengelernt.
Warum adressieren Sie den Brief nicht an das für Bildung zuständige Land?Wir brauchen eine einheitliche Strategie der politischen Bildung für alle Schüler in Deutschland. Der Bund kann durch Gesetze und Förderprogramme die Bildungslandschaft stärken und innovative Ansätze fördern, die dann die Länder übernehmen können. Politische Bildung ist eine nationale Aufgabe. Demokratie und Grundrechte betreffen die gesamte Gesellschaft. Der Bund kann sicherstellen, dass politische Bildung in ganz Deutschland wichtig ist.
Bei der Kommunalwahl konnten 16-Jährige erstmals mit passivem Wahlrecht teilnehmen. Warum reicht das nicht?Das volle Wahlrecht mit 16 Jahren ist ja nur ein Teil eines Puzzles mit ganz vielen Teilen. Auch für das Wahlrecht braucht es politische Bildung. Das wollen wir von der Kommunalverwaltung vermitteln. Wir zeigen den Schülern unserer Grundschulen bei einer Führung, was im Rathaus geschieht. Im Ratssaal stellen wir eine Gemeinderatssitzung nach und üben damit ohne Formalien, bei verschiedenen Meinungen Kompromisse zu finden. Das macht Spaß und ist effektiv.
Welchen Beschluss Ihres Jugendgemeinderates haben Sie zuletzt umgesetzt?In Walzbachtal verzichten wir auf einen Jugendgemeinderat. Das Engagement Jugendlicher lässt sich besser mit Projekten als mit einem zeitlich begrenzten Amt wecken. Mit dem Jugendforum, bei dem junge Menschen unterschiedlichen Alters zusammenkommen, haben wir einen Bikepark eingerichtet. Außerdem mussten die jungen Leute den Rat von einem Calisthenics-Park überzeugen. Jetzt haben wir einen Geräteparcours, wo man mit dem eigenen Körpergewicht Fitness trainieren kann.
Wie soll der Bund konkret unterstützen?Wir brauchen Förderprogramme für Jugendprojekte. Kommunen bekommen immer mehr Aufgaben, der Bund gleicht das finanziell aber zu wenig aus. Ich denke nur an die Ansprüche auf Ganztagesbetreuung. Hier brauchen wir mehr Unterstützung, um für demokratierelevante Ideen finanzielle Freiräume zu haben. Konkret ist das bei uns der Calisthenics-Park. Der ist zwar gebaut, aber ohne Spenden wäre er gescheitert. Wir diskutieren in Walzbachtal über einen Basketballplatz. Und die Sanierung der Sanitärräume in den Schulen steht an.
Was bringt ein Basketballplatz für das demokratische Verständnis?Junge Menschen sollen sich für Projekte einsetzen und Selbstwirksamkeit erfahren: Wenn ich mich selbst einbringe, kann ich Zukunft gestalten. Erlebte Demokratie darf nicht am Geld scheitern.
Die Schulsanierung ist eine Pflichtaufgabe. Schüler haben einen Anspruch darauf und müssten darum nicht kämpfen.Wir wollen Wünsche Jugendlicher berücksichtigen, die über die bloße Pflichterfüllung hinausgehen. Demokratie heißt Volksherrschaft, und junge Leute mit ihren Wünschen und Ideen gehören da einfach dazu.
Sie beklagen in dem Brief geringeres Interesse an politischen Ämtern. Städte erleben das Gegenteil. Zahlreiche Listen sorgen dort für zersplitterte Räte.Wir müssen Städte und kleine Gemeinden unterscheiden. In Städten leben mehr Menschen, der politische Organisationsgrad ist viel ausgeprägter bis hin zu den Jugendorganisationen der Parteien. Das haben wir hier alles nicht. Selbst die CDU als stärkste Partei hatte es schwer, in Walzbachtal ihre Liste zu füllen.
Aufstiegsversprechen und Chancengleichheit löst der Staat immer seltener ein. Sollte man nicht daran arbeiten?Ein elementares Puzzleteil ist die Chancengleichheit von jungen Menschen. Sie wollen ihre Zukunft gut gestalten durch Bildung, unbefristete Arbeitsplätze und sichere Renten. Menschen mit weniger Geld zu fördern, darf nicht am Haushalt scheitern.
Zur Person
Verwaltungsstudium an der Ludwigsburger Hochschule, bei der Mannheimer Polizei im Planungs- und Führungsstab, seit 2019 Bürgermeister der 10 000-Seelen-Gemeinde Walzbachtal: Timur Özcan hat mit seinen 33 Jahren schon viel erreicht. Der Kurpfälzer stammt aus einer türkisch-deutschen Familie. Von sich reden machte Özcan mit seiner Aktion „ Rent a Bürgermeister “, für die er den Staatsanzeiger-Award gewonnen hat. Bei der Kreistagswahl zog Özcan mit dem besten Ergebnis an gleichwertigen Stimmen seiner SPD-Fraktion in den Kreistag ein.