Netzausbau

Strom speichern mit Schweinehälften

Die Energiewende erfordert milliardenschwere Investitionen in die Netze. Denn in das System sind 7,5 Millionen wetterabhängige Anlagen zu integrieren. Die Energieversorger müssen dabei Störungen vermeiden, die in der Wirtschaft große Schäden anrichten können. Die EnBW will sich mit „selbstheilenden Netzen“ dagegen absichern. In Ulm nutzt man einen Schlachthof, um Einspeisespitzen abzufedern.

Ein Mitarbeiter der Netze BW arbeitet an einer intelligenten Umspannstation der Netze BW.

dpa/Uli Deck)

Ulm. „Ein Stromausfall kann in Unternehmen schon ab der ersten Sekunde große Schäden verursachen“, sagt Klaus Eder, der Chef der Stadtwerke Ulm. „In immer mehr Betrieben spielen Digitalisierung und Leistungselektronik eine wesentliche Rolle. Die Systeme sind auf eine konstant zuverlässige Stromversorgung angewiesen“, erläutert er. Das gilt gerade für die Region Ulm, wo sich immer mehr Hightech-Unternehmen aus Raumfahrt, Quantencomputing, Biotechnologie und KI ansiedeln.

Stromausfälle kommen in Deutschland zwar im Schnitt nur alle zwei bis drei Jahre vor. Doch dann fällt die Versorgung statistisch gesehen über 54 Minuten aus. Passiert es nachts, kriege man manchmal gar nichts mit, räumt Martin Konermann, Geschäftsführer Technik des Netzbetreibers Netze BW ein.

Störungen sollen sekundenschnell überbrückt werden

Die Energie Baden-Württemberg (EnBW) strebt deshalb „Selbstheilende Netze“ an. Störungen sollen dank digitalisierter Systeme künftig sekundenschnell überbrückt werden. Der Karlsruher Konzern hat jetzt einen Pilotversuch im Allgäu rund um das Umspannwerk Leutkirch gestartet. Die Erkenntnisse sollen dann auf andere Regionen übertragen werden. „Wir erfinden uns hier ein Stück weit neu“, erläutert Dirk Güsewell, im EnBW-Vorstand verantwortlich für die Systemkritische Infrastruktur. „Dafür gibt es keine Blaupause.“ Die Modernisierung gleiche einer Operation am offenen Herzen, weil das parallel zum laufenden Betrieb geschehe, so sagt er.

7,5 Millionen wetterabhängige Anlagen sind ins Netz zu integrieren

Für Konzerne ebenso wie Stadtwerke wird die Beanspruchung der Netze immer komplexer. Aus einem Verbund von bisher rund 500 Großkraftwerken wird ein System in das 7,5 Millionen wetterabhängige Anlagen im niedrigen Spannungsbereich einspeisen. Ohne digitale Lösungen bis an die Kapillarenden, ist das nicht zu bewältigen. Mit Informationen in Echtzeit können die Stadtwerke Ulm schnell Einspeisespitzen erkennen und versuchen, die überschüssige Energie zu nutzen – auch zu Gunsten der Kunden. „Strom speichern mit Schweinehälften nennen wir das“, stellt Eder lachend fest und fügt hinzu: „Wir versorgen beispielsweise einen Schlachthof mit erneuerbarem und günstigem Strom aus Stromüberschüssen. Der kühlt das Fleisch dann auf 40 Grad Minus herunter“. Steigen mit der Nachfrage auch die Tarife, schaltet der Schlachthof die Kühlaggregate ab, bis dort wieder die Mindesttemperatur von minus 18 Grad herrscht. „Eine Win-Win-Lösung“, freut sich Eder.

Eder, der auch Vorsitzender der VKU-Landesgruppe Baden-Württemberg ist, misst den Kommunen eine besonders Rolle zu, weil hier die Versorgung mit Strom, Wasser und Wärme oft in einer Hand liege. „Wir pumpen beispielsweise unsere Trinkwasser-Hochbehälter dann voll, wenn viel erneuerbarer Strom zur Verfügung steht. Auch die Ulmer Wärmeversorgung könne mit dem Stromnetz verbunden werden.

Branche muss Investitionen von 1,2 Billionen Euro stemmen

Intelligenten Lösungen wie in Ulm sind aus Sicht der Fachleute wichtig, damit die Versorgungsinfrastruktur mit der wachsenden Komplexität mithalten kann. Doch dafür braucht es gewaltige Investitionen. Von 1,2 Billionen Euro ist die Rede. „Wir gehen davon aus, dass 90 Prozent der Umspannwerke und 60 Prozent der Leitungen im Verteilnetz ausgebaut und erweitert werden müssen,“ erklärt Güsewell. Die EnBW hat das am Beispiel einer Großstadt wie Freiburg mit 235 000 Einwohnern durchgerechnet: Um Klimaneutralität zu erreichen sind 700 Millionen Euro für den Netzausbau nötig. Bei einer Stadt mit 87 000 Einwohnern wie Konstanz müssten etwa 200 Millionen Euro investiert werden.

VKU-Chef Eder setzt deshalb hinter die ehrgeizigen Plänen der Landesregierung – Klimaneutralität bis 2035 – ein Fragezeichen: „Wir kommunalen Unternehmen stehen hinter der Energiewende, dafür benötigen wir den notwendigen regulatorischen Handlungsspielraum, die finanziellen Mittel und das Personal und Material, um diese Aufgabe umzusetzen. Der Zeitplan bis 2035 ist deshalb sehr ambitioniert.“

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