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„Glaub an dein Land“ – Manuel Hagel beim CDU-Sozialflügel
Gerlingen. Der ältere Herr neben mir stammt ursprünglich aus Ostpreußen, gehört dem „Olympiajahrgang“ an – kam also 1936 zur Welt – und ist seit 60 Jahren in der CDU. Der andere Herr am Tisch hat einst Thomas Strobl so lange bearbeitet, bis dieser sich dafür einsetzte, dass auch die Nachkriegsgeneration von der Mütterrente profitierte, was den Herrn bis heute mit Stolz erfüllt. Und auch alle anderen, die hier sitzen, können sich noch lebhaft an jene Zeiten erinnern, da ihre Partei wie selbstverständlich Baden-Württemberg regierte, allenfalls noch unterstützt von einem deutlich kleineren Koalitionspartner.
Nun ist das auch schon 13 Jahre her und deshalb ruht ihre Hoffnung auf dem jungen freundlichen Herrn mit dem zugewandten Lächeln, der jetzt, da sich die Teller leeren, seine Abschiedsrunde macht. Er sei der künftige Ministerpräsident, darf Manuel Hagel hören und wehrt sich nicht allzu vehement dagegen.
Doch der Chef der Landespartei und der CDU-Fraktion im Landtag von Baden-Württemberg muss weiter. Noch ein Termin an diesem verregneten Samstag. Heute morgen war er schon bei den Russland-Deutschen. Doch für die CDA, die sich in einem Tagungshotel in Gerlingen trifft, lässt er sich Zeit: Schließlich liegen Manuel Hagels politische Wurzeln nicht nur bei der Mutterpartei, sondern auch bei dessen Sozialflügel, der Christlich-Demokratischen Arbeitnehmerschaft.
DGB-Chef an CDU: Die Brandmauer „ist Ihre historische Aufgabe“
Dort hat am Vormittag noch ein anderer gesprochen, der bestimmt kein CDU-Parteibuch hat, sondern ein rotes. Kai Burmeister, seit 2022 Landesvorsitzender des Deutschen Gewerkschaftsbundes, hat eine spezielle Aufgabe für die Christdemokraten mitgebracht: Die Brandmauer zur AfD müsse halten, „das ist Ihre historische Aufgabe“, ruft er den Delegierten zu. Aber er sei guter Dinge, dass dies auch so kommt, schließlich hätten sich Hagel und sein Vorgänger an der Landesspitze, Thomas Strobl, beim CDU-Parteitag im November in Reutlingen in dieser Hinsicht eindeutig geäußert.
Dann tritt Christian Bäumler ans Pult, der den Sozialflügel der Union im Land seit 1998 führt und in Gerlingen mit 55 von 61 abgegebenen Stimmen im Amt bestätigt wird. Bäumler nimmt – sehr untypisch für eine Partei, die sich sonst vorzugsweise in Hinterzimmern streitet – nie ein Blatt von der Mund. Zuletzt hatte er Friedrich Merz den Marsch geblasen, als dieser von den Asylbewerbern schwadronierte, die sich bei uns die Zähne richten ließen, während der deutsche Kassenpatient keinen Termin mehr bekomme.
In Gerlingen geht es um Themen, die vielleicht nicht jeden interessieren, aber doch alle, die sozialpolitisch unterwegs sind: Arbeitsschutz etwa und Tarifbindung. Auf diesen Feldern müsse sich endlich etwas tun, schreibt er der Landesregierung, also auch seiner CDU, ins Stammbuch. Beim Arbeitsschutz sei kein Bundesland so schlecht aufgestellt wie Baden-Württemberg. Und bei der Tarifbindung, also bei der Frage, ob öffentliche Auftraggeber nur Aufträge an Firmen vergeben, die Tarif zahlen, sei man sich in der CDU „eigentlich einig“. Jetzt müsse man nur noch bei der Ministerin nachsetzen – gemeint ist Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut, die bekanntlich ebenfalls der CDU angehört.
Dann greift Bäumler die Europawahlergebnisse auf. Bei Beamten und Selbstständigen liege die CDU bei 35 Prozent. Doch bei den Arbeitern liege man Kopf an Kopf mit der AfD. „Im Westen sind wir die Arbeitnehmerpartei, im Osten ist es die AfD“, resümiert er. „Da müssen wir aufpassen, dass uns da nichts wegbricht.“
Hagel: Politik muss die Ängste der Menschen ernstnehmen
Und dann kommt derjenige, die mit 17 Jahren eine Lehre bei der Sparkasse begann, mit 19 Jahren in die CDA eintrat und seit drei Jahren die Landtagsfraktion und seit einem halben Jahr die Landespartei führt. Manuel Hagel, so führt Bäumler ein, habe etwas Anständiges gelernt. Und habe schon als Sparkassenmitarbeiter einen Blick für die Nöte der Menschen gehabt, von denen jeder Zweite am Monatsende kein Geld mehr auf dem Konto hatte.
Manuel Hagels Thema an diesem Samstag ist die CDU als Volkspartei. Und dass er nicht nur der CDA, sondern auch der Mittelstands- und Wirtschaftsunion angehöre. Die Union müsse sich auf ihre drei Wurzeln besinnen, die katholische Soziallehre, den Konservatismus und den Ordoliberalismus.
Früher habe sich ein Facharbeiter in seiner Heimatstadt Ehingen noch ein Haus bauen können, wenn die Frau dazuverdient. Doch diese Zeiten seien vorbei. Es sei die Aufgabe der Politik, Ängste der Menschen ernstzunehmen – vor Arbeitsplatzverlust, vor sozialem Abstieg. Gleichzeitig beklagt Hagel, dass das Bürgergeld die Fleißigen benachteilige.
Man müsse als Partei in der Lage sein, einmal getroffene Entscheidungen infrage zu stellen, fährt er fort und nennt als Beispiel die Rückkehr zu G9. Hagel greift die Forderung nach einem neuen Tariftreue- und Mindestlohngesetz auf. Und er warnt vor einer Einschränkung des Streikrechts.
Er lasse sich nicht auf eine Diskussion ein, was nun rechts oder links sei. Doch eines sei klar: „Mit solchen Extremisten“ – gemeint ist die AfD – „trinken wir nicht einmal einen Espresso.“ Der CDU könne man das Land anvertrauen und „ohne Christdemokraten fehlt die Stimme der Vernunft“, sagt derjenige, in dem viele im Saal schon den nächsten Ministerpräsidenten sehen. „Glaub an dein Land“, ruft er den Delegierten zu und erntet langen, lautstarken Applaus.