Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
Der Nachholbedarf an Ganztagsgrundschulen bleibt groß
Stuttgart. Das Vorhaben gleicht der Quadratur des Kreises: Das Kultusministerium will Städte und Gemeinden überzeugen, Grundschulen an sozialen Brennpunkten künftig grundsätzlich im Ganztag zu führen. Vorschreiben wiederum will das Land allerdings so wenig wie möglich, um keine Zahlungsverpflichtungen auszulösen. Regelmäßig erinnert Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) an die kommunale Verantwortung in der Bildungspolitik. Hinter den Kulissen wird um ein möglichst breit akzeptiertes Konzept zum Auf- und Ausbau von Ganztagsgrundschulen gerungen.
Viele organisatorische und finanzielle Fragen sind noch offen
Offiziell heißt es aus dem von Theresa Schopper (Grüne) geführten Kultusressort, dass „zuvörderst die Startchancen-Grundschulen in den Blick genommen werden“ und dass „zunächst verschiedene pädagogische, rechtliche, organisatorische und finanzielle Fragen zu klären sind“. So etwa zur Kooperation mit den Schulträgern, weil der Weg zu mehr Verbindlichkeit „nur mit allen Beteiligten eingeschlagen werden kann“.
Ähnlich unkonkret ist die Antwort auf die Frage nach dem Zeitplan. Bereits angedeutet wird allerdings, dass im Herbst nicht alle 153 Standorte, die vom Startchancen-Programm profitieren werden, auch in den Ganztag wechseln können.
Insgesamt sind in einer ersten Runde 222 Schulen zur Programm-Teilnahme aufgefordert. Schopper hat in einem Brief bereits erste Details erläutert, unter anderem, dass Mittel in der ersten Säule für Investitionen in Ausstattung und Gebäude fließen werden, in der zweiten für ein Chancenbudget und in der dritten für multiprofessionelle Teams.
Startchancen-Programm bietet laut Schopper gerade ländlichen Regionen Chancen
„Die zusätzlichen Ressourcen bieten die Möglichkeit, Schulentwicklung voranzubringen, die Qualität des Unterrichts zu steigern und die Herausforderungen der Zukunft zu meistern“, schreibt die Ministerin. Gelingen könne dies nur, wenn alle Akteure im Bildungswesen zusammenarbeiten. Dazu könnte, gerade in ländlichen Regionen, viel mehr als bisher für die Vorzüge eines vergleichsweise strengen Angebots geworben werden.
Denn der Nachholbedarf ist groß, auch über jene Schulen hinaus, die bis 2024 Geld von Bund und Land bekommen werden, um den Folgen von Armut und Migration besser begegnen zu können und ein Vierteljahrhundert nach der ersten PISA-Studie das Versprechen eines Aufstiegs durch Bildung auch in Baden-Württemberg einzulösen.
Bisher arbeiten, wie der frühere Lehrer Winfried Kretschmann kürzlich beklagte, nur fünf Prozent der Grundschulen nach den höchsten und damit erfolgreichsten pädagogischen Ganztagsstandards mit Verbindlichkeit und der Rhythmisierung von Unterricht und Betreuung. Nach den jüngsten Zahlen des Kultusministeriums zu einer Anfrage der SPD-Fraktion sind insgesamt, die flexibleren Angebote eingerechnet, weiterhin zwei Drittel der Schulen im Halbtagsbetrieb.
Ganztagsschule wurde gesetzlich erst spät im Südwesten geregelt
Das alles resultiert daraus, dass die Zeit einschlägiger Schulversuche im Südwesten Überlänge hatte. Marion Schick, Kultusministerin der letzten CDU/FDP-Landesregierung, wollte vor der Landtagswahl 2011 endlich eine gesetzliche Regelung auf den Weg bringen, scheiterte aber am Widerstand der eigenen Fraktion. Erst 2014 unter Grün-Rot kam dann die Schulgesetzänderung. Festgeschrieben wurde, weil Städte und Gemeinden, aber auch CDU und FDP massiv drängten, eine Wahlfreiheit. „Lassen Sie Hortbetreuung zu“, appellierte der damalige bildungspolitische Sprecher der CDU-Fraktion Georg Wacker an Kultusminister Andreas Stoch (SPD). Für die FDP-Fraktion kritisierte Timm Kern sogar die national und international längst als Erfolgsfaktor geltende Rhythmisierung von Unterricht und Betreuung. Er beschwor „die Gefahr, dass vieles dem Takt der Schule unterworfen wird und dabei unter die Räder gerät“.
Zehn Jahre später ist das Land nicht entscheidend weitergekommen. Aus der Antwort des Kultusministeriums auf die SPD-Anfrage geht hervor, dass die Zahl der Ganztagsschulen insgesamt sogar abnimmt. Was allerdings ausdrücklich nicht für das Angebot in den ersten vier Klassen gilt und damit zu tun hat, dass Verbünde und Zusammenschlüsse sich konstruieren sowie Hauptschulen infolge mangelnden Interesses schließen. Ganztagsgrundschulen gibt es immer mehr, ein Prozess, der noch weiter anhalten muss, weil ab 2026 der von Bund und Ländern vereinbarte bundesweite Rechtsanspruch für alle Erstklässler gilt.
Teilnahmepflicht besteht
B is zum Jahr 2034 sollen baden-württembergische Startchancen-Schulen mit insgesamt 2,6 Milliarden Euro unterstützt werden. Die ersten Standorte dafür sind bereits ausgewählt. Die Frist zur Meldung nach Berlin läuft in diesen Tagen ab. Grundlage für die Auswahl ist unter anderem die Zahl der Kinder mit Migrationshintergrund und aus sozial schwachen Familien. Wer benannt ist, so lauten die Regeln, der muss dann auch teilnehmen.