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Warum in Heilbronn eine reine Migrantenliste antritt
Heilbronn ist nach Pforzheim die Kommune mit dem höchsten Ausländeranteil im Land. Rund 29 Prozent der Einwohner haben keinen deutschen Pass, hier leben Menschen aus 150 Nationen. Im Gemeinderat aber sitzt derzeit nur eine Person, die nicht in Deutschland geboren wurde. Sie kommt aus der Schweiz.
Die Liste „Gemeinsam für unser Heilbronn“ will das bei der Kommunalwahl am 9. Juni ändern. Ausschließlich Frauen und Männer mit Migrationshintergrund, aus zehn Kulturkreisen, viele davon aus der Türkei, kandidieren auf den 40 Plätzen. Es dürfte eine der ersten rein migrantischen Wählervereinigungen bei einer Kommunalwahl im Südwesten sein. Die Bewerber betonen, dass sie überparteilich, überkonfessionell und aus der Mitte der Stadtgesellschaft sind. Die Liste ist die zehnte von insgesamt zwölf.
Der Anspruch auf politische Mitsprache sorgt für Unbehagen
Nicht nur in Heilbronn sind Menschen, die hierhergezogen sind oder deren Eltern aus anderen Ländern stammen, an den Ratstischen der 1101 Städten und Gemeinden deutlich in der Minderheit. Und das, obwohl 2022 in Baden-Württemberg rund 4,1 Millionen Menschen mit Migrationshintergrund lebten – rund ein Drittel der Bevölkerung.
Der Anspruch auf politische Mitsprache der Migranten sorgt bei so Manchem für Unbehagen. Kritiker in Heilbronn sagen, dass die Liste zu Wettbewerbsverzerrung führen würde, dass sie die Gesellschaft weiter spalte. Auch gibt es andernorts die Angst, dass mit dem Migrantenanteil ausländische Konflikte in den Gemeinderäten ausgelebt werden. Zurecht schrillen die Alarmglocken, wenn auf dem Ticket der SPD in Filderstadt Personen aus dem Umfeld der türkischen rechtsextremen Grauen Wölfe antreten.
Der Begriff „Remigration“ wurde empört zurückgewiesen
Das alles ändert nichts an der Tatsache, dass es auch auf die Perspektive von Migranten ankommt, um die Aufgaben der Zukunft zu lösen. Über Migration und Integration wird seit Jahren emotional debattiert – allerdings über die Köpfe der Betroffenen hinweg. Laut einer Umfrage im Auftrag des SWR nennen die Befragten das Thema „Geflüchtete und Integration“ als das zweitwichtigste bei der Kommunalwahl, noch vor dem Thema bezahlbarer Wohnraum.
Und kaum ein Begriff wurde im Frühjahr so empört zurückgewiesen wie die „Remigration“. Tausende gingen monatelang auf die Straßen, um für ihre ausländischen Mitbürger zu demonstrieren.
In der kommunalen Wirklichkeit ist es mit dem Schulterschluss nicht ganz so weit her. Migranten und Kommunalpolitik finden mitunter schwer zueinander. Auf den Listen der etablierten Parteien und Wählervereinigungen sind Namen ausländischen Ursprungs weit in der Unterzahl, auch wenn sich die Zahl 2024 zumindest in den größeren Kommunen erhöht haben dürfte. Doch selbst wenn sie auf Listenplatz eins einer Partei starten, heißt das noch lange nicht, dass sie auch gewählt werden.
Politik will Migranten gewinnen
Hinzu kommt, dass das anspruchsvolle Ehrenamt Personen mit ausländischen Wurzeln abschrecken kann – selbst wenn es an sie herangetragen wird. Migranten fehlt oft das Netzwerk und das Wissen, um sich vor Ort zu engagieren. So manch einer dürfte vor der Amtssprache Deutsch kapitulieren, noch dazu dem berüchtigten Verwaltungsdeutsch. Wer drei Stunden am Ratstisch sitzt, die Sitzungsvorlage und die Gemeindeordnung vor sich, der ist definitiv in Deutschland angekommen – und das gilt nicht nur für Migranten.
Seit Jahrzehnten will die Politik Migranten für die „kommunale Mitbestimmung“ gewinnen. In den 1970er-Jahren sollten gewählte Ausländerbeiräte für mehr Teilhabe an der Mehrheitsgesellschaft sorgen. Doch die Wahlbeteiligung war vielerorts derart niedrig, dass man die Mitglieder lieber selbst aussuchte.
Die Migrationsräte sind ein guter Einstieg
Seit 2015 gibt das Partizipationsgesetz den Integrationsrat und den Integrationsausschuss als mögliche Gremienform vor. Ob es diese vor Ort gibt, entscheiden aber die Kommunen selbst. Laut dem Landesverband der kommunalen Migrantenvertretungen gibt es in 53 Städten im Land eine solche Vertretung, viele Kommunen betreiben viel Aufwand dafür, auch die Stadt Heilbronn.
Die Migrationsräte sind zwar ein guter Einstieg in die Kommunalpolitik. Allerdings haben die Gremien oft nur eine beratende Funktion. Bürger, die wirklich etwas bewegen wollen, müssen in den Gemeinderat.