Themen des Artikels
Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen
FDP-Spitzenkandidat Andreas Glück: „Jede Stimme für die AfD ist eine verlorene Stimme“
Andreas Glück: Ja. Die Überarbeitung mit längeren Fristen bei der Medizinprodukteverordnung MDR wäre ohne mich vermutlich anders gelaufen. Sie wäre mit Beginn der Corona-Pandemie in Kraft getreten. Genau zu dem Zeitpunkt, als wir besonders froh waren, Hersteller von Medizinprodukten zu haben, wären diese mit Bürokratie überschüttet worden.
Das wäre vermutlich keine gute Idee gewesen. Das Gesundheitswesen war zu diesem Zeitpunkt ja bis zum Zerreißen gespannt.Deshalb habe ich der Gesundheitskommissarin einen Brief geschrieben, in dem ich betont habe, dass ich gerade auch vor dem Hintergrund meiner praktischen Erfahrung als Facharzt für Chirurgie ganz dringend Handlungsbedarf sehe. Knapp zwei Wochen später wurde mein Vorschlag von einer Mehrheit im Parlament beschlossen. Da war ich von meiner beruflichen Herkunft her genau der richtige Typ zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort.
Wie kam es eigentlich zu diesem Gesetz?Hintergrund war ja der Brustimplantate-Skandal in Frankreich. Da hat jemand was getan, was bereits verboten war. Aber statt bessere Kontrollen einzuführen, hat es die Kommission zum Anlass genommen, für jedes Medizinprodukt von der Schere über das künstliche Kniegelenk bis zur Herzklappe eine neue Zulassung zu verlangen. Das gilt auch für Produkte, die seit Jahren sicher im Einsatz sind. Eine Neuzulassung ist aber aufwendig und teuer. Gerade wir in Baden-Württemberg haben viele kleine Medizinproduktehersteller, die sich das schlicht nicht leisten können. Das heißt, dass in Zukunft bestimmte Medizinprodukte, etwa für die Kinderchirurgie fehlen werden. Die Kommission wollte die Patientensicherheit stärken. So erreicht sie das Gegenteil.
Das klingt nach einem Bürokratiemonster, nach einer EU, die am liebsten alles bis ins letzte Detail festlegen möchte. Haben Sie ein Rezept dagegen?Wir brauchen klarere Regeln und Zuständigkeiten. Wenn sich zu viele politische Ebenen um einen Sachverhalt kümmern, wird es schnell zu kompliziert. Die EU muss sich um die Dinge kümmern, die nur von Europa gelöst werden können. Neben Fragen der Migration, des Klimaschutzes, der Weiterentwicklung des Binnenmarkts ist das vor allem auch die wirtschaftliche Vernetzung in der Welt. Aber wenn wie jüngst bei der Gebäudeeffizienzrichtline EPBD verpflichtende Fahrradstellplätze beschlossen werden, dann ist eine gesamteuropäische Regelung unsinnig. Solche Dinge können viel besser in der Kommune entschieden werden. Da brauchen wir keine Regelung, die überall gilt – von Schweden bis Griechenland und Portugal.
Ursula von der Leyen hatte versprochen, für jede neue Regelung eine alte zu streichen: One in, one out.Da hält sie leider nicht Wort. Außerdem wäre erst dann wirklich etwas gewonnen, wenn für jede neue Regelung mindestens zwei gestrichen würden: One in, two out. Zudem setze ich mich für Gesetze mit einem Verfallsdatum ein. Diese können dann verlängert werden, wenn sie sich bewährt haben und wenn man sie noch braucht.
Ihre Fraktion hat Ursula von der Leyen vor fünf Jahren mitgewählt. Darf sie erneut mit Ihrer Stimme rechnen?Ich hatte schon 2019 Bauchschmerzen. Aber im Hinblick auf den damals drohenden Brexit wäre es für uns unverantwortlich gewesen, die Kommissionsspitze in dieser Zeit unbesetzt zu lassen. Seither hat mich Frau von der Leyen leider jedoch sehr oft enttäuscht. Über fünf Jahre hinweg hat sie sich grüner Politik angebiedert. Sie hat offensichtlich völlig vergessen, woher sie ursprünglich kommt.
Das heißt, Sie schließen eine Wiederwahl der deutschen Kommissionspräsidentin aus.Wir haben die Türe nicht zugeschlagen. Aber für mich ist klar: Da müsste erst richtig was an verbindlichen Zugeständnissen kommen, bevor ich mir vorstellen könnte, sie zu wählen.
Was werfen Sie ihr konkret vor?Sie hat zum Beispiel das jahrelang bewährte Prinzip der Technologieoffenheit einfach weggewischt. Stattdessen sollen Lieblingstechnologien subventioniert und Ungeliebtes verboten werden. Das ist falsch, weil es eben gerade nicht die Menschen in der Politik sind, die am meisten von Technik verstehen. Deshalb brauchen wir klare Ziele und Rahmenbedingungen, dürfen den Menschen aber nicht vorschreiben mit welcher Technologie sie diese Ziele erreichen sollen. Ich habe nichts gegen die Wärmepumpe und auch nichts gegen E-Mobilität. Aber ich habe was gegen deren Ausschließlichkeit. Die Bedingungen in der EU sind sehr unterschiedlich und was an der einen Stelle richtig erscheint, ist an anderer Stelle Unsinn.
Was wäre die Alternative? Wohin geht Ihrer Ansicht nach die Reise hin?Vielleicht stellt sich in Zukunft ja gerade heraus, dass es zum Beispiel ohne klimaneutrale, synthetische Kraftstoffe gar nicht geht. Vieles deutet schon heute darauf hin. Wir müssen uns auf Ziele verständigen, wenn es ums Klima geht – aber doch nicht auf den Weg.
Im neuen Europäischen Parlament zeichnet sich eine rechte Mehrheit ab. Stehen Sie für eine Zusammenarbeit mit Parteien wie den italienischen Postfaschisten oder den Schwedendemokraten zur Verfügung?Ich stehe diesen Parteien sehr kritisch gegenüber. Das bedeutet nicht, dass bei der konservativen EKR nicht auch vereinzelt vernünftige Leute sitzen. Richtig übel wird es aber bei der ID Fraktion rechts außen, wo ich eine Zusammenarbeit ausschließe. Die AfD ist übrigens so heftig unterwegs, dass sogar die Fraktion am äußersten Rand nicht mal mehr mit denen zusammenarbeiten will. Die beteiligen sich nicht an der inhaltlichen Parlamentsarbeit, an dem Aushandeln von Kompromissen. Das sollten auch jene Bürger wissen, die darüber nachdenken, die AfD zu wählen. Ihre Stimme ist eine verlorene Stimme gerade für das konservative Lager und somit eine indirekte Stärkung des linken Spektrums.
„Schauen Sie nicht jeden Morgen auf die Umfragen“, hat die FDP-Spitzenkandidatin für die Europawahl, Marie-Agnes Strack-Zimmermann, beim Bundesparteitag in Berlin allen Parteifreunden empfohlen. Wie gehen Sie damit um, dass die Liberalen bei der Sonntagsfrage bei drei bis fünf Prozent steht?Mich machen die Umfragen nicht verrückt, auch wenn ich mir natürlich wünschen würde, dass sie besser wären. Aber sie waren auch schon schlechter. Was für mich viel, viel wichtiger ist, sind unseren Wahlveranstaltungen. Diese sind ausgesprochen gut besucht und wir bekommen viele kritische Fragen, aber am Ende sind die Rückkopplungen fast durchweg positiv. Und ich bin überzeugt davon, dass wir als Freie Demokraten für die Europawahl echt gut aufgestellt sind.
Erstmals dürfen an der Europawahl auch die 16- und 17-Jährigen teilnehmen. Dort scheint die Präferenz für die AfD besonders ausgeprägt zu sein. War es ein Fehler, die Altersgrenze abzusenken?Nein, das war kein Fehler. Aber es zeigt auch, dass noch viel Aufklärungsarbeit geleistet werden muss. Es gilt noch viel näher an diese Altersgruppe heranzukommen, gerade auch über die Medien, die diese Altersgruppe bevorzugt. Wir müssen sie dort abholen, wo sie sind.
Die AfD setzt auf TikTok. Sie auch?Noch nicht. Kommt noch. In letzter Zeit bin ich verstärkt von Facebook auf Instagram umgestiegen. Das ist zumindest schon mal eine Altersgruppe weiter unten.
Sie waren von 2011 bis 2019 im Landtag und wirken seither für Europa. Was ist spannender, was erfüllender?Das kann man nicht so einfach sagen. Ich war unglaublich gerne Landtagsabgeordneter. In Stuttgart habe ich das politische Handwerk gelernt. Doch Europa stellt ganz andere Herausforderungen. Wir haben keine Regierungs- und keine Oppositionsfraktionen, sondern bei jeder Abstimmung wechselnde Mehrheiten. Das eröffnet unglaublich viele Chancen, macht es aber auch unglaublich kompliziert. Vor allen Dingen, weil wir aus unterschiedlichen Ländern und Kulturkreisen kommen.
Was müssen Sie den Kollegen erklären?Zum Beispiel, dass es kein Protektionismus ist, wenn ich mich für die duale Ausbildung als verpflichtenden Qualitätsstandard einsetze. Oder dass wir in Deutschland Volksbanken und Sparkassen haben, die mit den Großbanken, wie sie die Kollegen aus anderen Mitgliedsländern kennen, schwer zu vergleichen sind.