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Karlsruhe kassiert Urteil gegen Klimaaktivisten
Karlsruhe. Drei Wochen Jugendarrest ohne Bewährung. So lautete das Urteil vom 27. Juni 2023, das das Amtsgericht Augsburg gegen den Ravensburger Umweltaktivisten Samuel Bosch fällte (Js 102285/23 jug). Es geht um eine Protestaktion im Oktober 2022. „Lohwald-Rodung trotz laufender Gerichtsverfahren? Frech!“ stand auf einem Transparent, das Mitstreiterin Laura Kiehne mit seiner Hilfe am Gebäude der Regierung von Schwaben in Augsburg angebracht hat.
Dafür seilte sich die 21-Jährige aus einem Bürofenster ab und hing an der Fassade, mit dem Spruch „Lohwald verhökern für 250 Euro? Frech!“ um den Hals. Die Umweltgruppe bezeichnete das als „satirische Kritik“.
Bundesverfassungsgericht hebt Urteil auf
Die Aktion sorgte für einen großen Medienrummel, nicht nur, weil die Polizei die Klimaaktivisten abführte. Staatsanwalt Lukas Peltsarszky klagte die Besetzer wegen übler Nachrede gegen Personen des politischen Lebens und Hausfriedensbruch an, forderte für Bosch sieben Monate Haft ohne Bewährung. Der 21-Jährige hatte dem damaligen Regierungspräsidenten Erwin Lohner Korruption unterstellt, weshalb der Strafanzeige erstattete. Die Richterin sah es letztlich als erwiesen an, dass die Angeklagten bei dieser Protestaktion das Regierungsgebäude besetzt und Lohner verunglimpft hätten. Das Landgericht bestätigte die Verurteilung. Drei Wochen Jugendarrest für Bosch, eine Woche für Kiehne. Kurz vor Ostern trat Bosch in der Jugendarrestanstalt Göppingen die Haft an.
Dann die unverhoffte Wendung: Am späten Abend des 4. April, eine Woche früher als geplant, wurde er vorzeitig entlassen – nachts um 23 Uhr. Am späten Nachmittag hatte das Bundesverfassungsgericht (BVG) das Urteil aufgehoben (1 BvR 820/24). Die Verurteilung verletze das Grundrecht des jungen Mannes auf Meinungsfreiheit. Die Karlsruher Richter gaben Bosch recht, der Verfassungsbeschwerde eingelegt hatte.
Bosch ist als Baumbesetzer im Altdorfer Wald nördlich von Ravensburg bekannt geworden. Die Aktivisten im Klimacamp, das im April 2021 eingerichtet wurde, wollen den Wald vor der Rodung zwecks Kiesabbau schützen. In Augsburg protestierten sie gegen die vorgezogene Teilrodung eines Bannwalds. Der Lohwald ist geschützt und darf nur abgeholzt werden, wenn es „zwingende Gründe des öffentlichen Wohls erfordern“, steht im bayrischen Gesetz.
Die Protestaktion in Augsburg entzündete sich an einer Genehmigung der Regierung von Schwaben., die es den Lech-Stahlwerken erlaubt, einen Teil des Lohwaldes zu roden, obwohl gegen die geplante Abholzung von 17 Hektar Klagen beim Bayrischen Verwaltungsgerichtshof anhängig sind.In Bezug auf den Regierungspräsidenten stand in der Pressemitteilung der Umweltaktivisten, er habe die Genehmigung nur erteilt, weil er aufgrund langjähriger Sponsoringgelder des Stahlwerksbesitzers mit diesem freundschaftlich verbandelt sei. Lohner sei korrupt, auch wenn hier vermutlich nur 250 Euro als Verwaltungsgebühr flossen. Der Stahlwerkschef werde den Rest „in Form freundschaftlicher Gefallen zahlen“.
Nach Meinung des Landgerichts Augsburg gebe es keinen grundsätzlichen Vorrang des Rechts auf Meinungsäußerung vor dem Recht auf Ehrschutz des Geschädigten. Der von den Umweltaktivisten erhobene Vorwurf sei „erheblich“ und würde zu massiven Konsequenzen führen, weshalb deren Recht auf freie Meinungsäußerung hinter das Recht des Geschädigten zurücktrete.
Das Amtsgericht Augsburg muss den Fall nun neu verhandeln
Dieser Auffassung folgte das Bundesverfassungsgericht nicht. Das Urteil verletze Bosch in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit. „Dass eine Aussage polemisch oder verletzend formuliert ist, entzieht sie nicht dem Schutzbereich des Grundrechts“, begründet das BVG. Die geäußerte Kritik an der Regierung von Schwaben sei eben nicht zum Zwecke privater Auseinandersetzung formuliert worden, sondern soll „zur Bildung der öffentlichen Meinung beitragen“, befand der Erste Senat.
Der Schutz der Meinungsfreiheit erwachse „gerade aus dem besonderen Schutzbedürfnis der Machtkritik“, auch wenn nicht jede ins Persönliche gehende Beschimpfung von Amtsträgern erlaubt sei. Ob die Bezeichnung „korrupt“ im Ergebnis tatsächlich von der Meinungsfreiheit gedeckt war, sei damit nicht entschieden. Diese Abwägung müsse im Gesamtkontext betrachtet werden. Das hätten beide Gerichte aber außer Acht gelassen. Das Amtsgericht muss nun neu verhandeln.
Für Bosch ist der Kampf für Klimagerechtigkeit so wichtig, „dass ich es okay finde, dafür in den Knast zu gehen“. Er werde sich davon nicht einschüchtern lassen, weil es wichtig sei dafür zu kämpfen, „dass die Existenzgrundlagen von Menschen und Umwelt nicht zerstört werden“.