Aalen erlebt ersten virtuellen Bürgerdialog im Metaverse
Aalen . Vorne auf dem Podium spricht Oberbürgermeister Frederick Brütting und begrüßt die Anwesenden. Hinter ihm ist eine schöne Berglandschaft zu sehen. In der hintersten Reihe kann ich ihn schlecht hören. Kein Problem – kurzerhand teleportiere ich mich in die erste Reihe. Jetzt ist er lauter zu hören. Neben mir schwebt das Porträtbild mit dem Namen des stellvertretenden Pressesprechers der Stadt Aalen, Stephan Dürr. Herzlich willkommen im Metaverse, dem ersten Bürgerdialog der Stadt Aalen mit VR-Technologie. Sobald man sich die VR-Brille aufsetzt, befindet man sich in einer anderen Welt.
Kombibad als Thema für den Pilotversuch
Thema ist das neue Kombibad, das gerade für 58 Millionen Euro gebaut wird. Der Avatar, also das digitale dreidimensionale Abbild, von Architekt Ernst Ulrich Tillmanns steht neben dem OB. Ebenso der von Alexander Fink. Er ist Innovation Manager beim größten deutschen IT-Systemhaus Bechtle. Es ist ein Experiment, man will die neue Technik ausprobieren, Erfahrungen sammeln – ein Vorbild für diese neue Form des Bürgerdialogs hat die Stadt nicht gefunden. Die Große Kreisstadt im Ostalbkreis ist mit diesem Format mindestens deutschlandweit eine der ersten.
Pressevertreter bekommen im Besprechungsraum des Rathauses kurz vor Beginn eine VR-Brille leihweise gestellt. Wir geraten kurz ins Grübeln, denn wir können unsere realen Notizen im virtuellen Raum ja gar nicht sehen. Die Kollegin hofft, nicht aus Versehen auf den Tisch zu kritzeln. Zuhause haben sich rund 50 Interessierte angemeldet. Ins Metaverse kommt man mit jeder handelsüblichen VR-Brille. Meine eigene Sehhilfe-Brille stört nicht, ich ziehe das Teil nach einer kurzen Einweisung wie einen Helm über den Kopf und justiere sie mit einem Drehrädchen. Das Systemhaus Bechtle unterstützt die Stadtverwaltung mit einigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die meisten sind vor Ort, andere schalten sich als Helfer ebenfalls virtuell dazu.
- Nein 51%, 35 Stimmen35 Stimmen 51%35 Stimmen - 51% aller Stimmen
- Ja 41%, 28 Stimmen28 Stimmen 41%28 Stimmen - 41% aller Stimmen
- Mir egal 7%, 5 Stimmen5 Stimmen 7%5 Stimmen - 7% aller Stimmen
Unterwegs im Metaverse
Später schlendere ich durch die Räume, entdecke Infotafeln mit Bildern zum Kombibad, die ich wie eine Galerie durchklicken kann. Vor einer anderen Wand steht der OB-Avatar mit einer Pressekollegin, gemeinsam schauen sie sich einen virtuellen Rundgang durch das Kombibad an und unterhalten sich dabei. Egal, von welchem Ort man heute teilnimmt, im Metaverse kommen alle mit ihren Avataren zusammen und können sich wie in einer Konferenz unterhalten und gemeinsam Dinge anschauen. Gegenüber steht der Professor-Avatar von Dr. Markus Weinberger von der Hochschule Aalen, der mit seiner Masterstudentin das Projekt wissenschaftlich begleitet. Viele Stimmen sind zu hören, manche erscheinen näher, als die Avatare eigentlich sind. Ein konzentriertes Gespräch ist an dieser Stelle schwierig – vermutlich sind die Mikrofone der Besucher unterschiedlich empfindlich eingestellt. So ist nicht immer klar, wer gerade redet.
Zurück im Auditorium. Architekt Tillmanns‘ Avatar stellt mittlerweile das Kombibad vor. Hinter ihm ist seine Präsentation zu sehen. Auch Tillmanns selbst hat in diesem Moment ebenfalls eine VR-Brille auf, sieht also ebenfalls weder seine echten Notizen oder seine Präsentation. Eine neue Situation für alle. Ich teleportiere mich an unterschiedliche Sitzplätze und stelle fest, dass die Stimmen aus den beiden kleinen Lautsprechern der Brille immer aus der richtigen Richtung zu hören sind. Drehe ich den Kopf, bleibt die Stimme dort, wo der Sprecher scheinbar steht. Teilnehmer können später auch Fragen stellen. Sie sollen sich dazu in die „Frageecke“ stellen, um das zu signalisieren. Nicht alle finden sofort den Weg dahin. Manche kämpfen mit ihrem stummgeschalteten Mikrofon. Immer wieder sprechen auch einige gleichzeitig.
Anstrengender und lehrreicher virtueller Bürgerdialog
Eine Stunde später. Ich schwitze etwas unter der Brille und fühle mich erschöpft. Mir gegenüber am Tisch sitzt nun der echte Oberbürgermeister und wirkt zufrieden. Im Metaverse lasse sich auch für Menschen aus Aalen, die vorübergehend beruflich bedingt woanders wohnen, sehr gut eine Nähe herstellen. „Für uns als Stadtverwaltung ist es wichtig, technologisch vorne dabei zu sein“, sagt Brütting. Zeiss Vision produziert die Linseneinsätze für die VR-Brille von Apple und die Hochschule in Aalen war immer auch eine für optische Anwendungen und Visualisierungen. Da habe es gut gepasst, dass Bechtle auf Aalen mit der Idee zugekommen sei. Anders als bei einer Teamskonferenz haben die Avatare eine ganz andere Nähe hergestellt. „Man sieht, wer einen anschaut, wer sich am Kopf kratzt oder applaudiert“, beschreibt Brütting das Gefühl, als er „vorne“ stand und gesprochen hat. Und manche Avatare seien so realistisch gestaltet gewesen, dass er sofort erkannt habe, welche Person dahintersteckt. „Das ist etwas anderes, als nur eine flache Kachel vor sich zu haben“, sagt er. Chancen sieht er für dieses Format vor allem bei Bauprojekten, um so auch für Bürgerbeteiligung zu sorgen. Gerade auch die junge Generation wachse mit VR auf. „Wir sollen auch dort ansprechbar sein“, sagt Brütting.
„Für einen ersten Gehversuch bin ich zufrieden“, zieht Brütting sein Fazit. Jetzt müsse die Anmeldung noch vereinfacht und daran gearbeitet werden, dass noch mehr Dialog stattfinden kann. Der Ansporn für eine Fortsetzung sei auf jeden Fall da. „Die Stadt wächst auch im Metaverse weiter“, sagt Brütting.