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Wie der Bürokratieabbau Freiheit und Risiko schafft
Stuttgart. Die Entlastungsallianz, ein Bündnis aus acht Kommunal-, Wirtschafts- und Finanzverbänden und der Landesregierung, hat viel Arbeit: Über 300 Ansätze für Bürokratiebeseitigung haben Experten beider Seiten identifiziert. Ein Drittel werde aktuell diskutiert. Diesen Stand referierte Städtetagspräsident Frank Mentrup als Grundlage für das Stadtgespräch am Mittwoch.
Akteure haben sich Vertraulichkeit versprochen
Dabei ging es weniger um Einzelpunkte, die Allianz hatte sich Vertraulichkeit versprochen, sondern um die Folgen des Bürokratieabbaus für die Verwaltung – und um deren Risiken. Mentrup, SPD-Oberbürgermeister in Karlsruhe, hob die Chance von schnelleren Bebauungsplanverfahren hervor, doch könne das niedrigere Bürokratisierungsniveau zu Niederlagen vor Gericht führen.
Ermessensentscheidungen erfordern eine neue Fehlerkultur
Die Folgen einer geringeren Regelungsdichte sind Ermessensentscheidungen. Deren Fehleranfälligkeit erfordere in den Rathäusern eine neue Fehlerkultur, erklärte C ornelia Petzold-Schick, grüne Oberbürgermeisterin von Bruchsal. Bürger missverstünden Bürokratieabbau oft als Chance, eigene Interessen durchzusetzen. Petzold-Schicks Beispiel waren die Nachbar-Anhörungen im Baurecht, bei deren Wegfall Projekte leichter realisierbar seien, berechtigte Nachbar-Interessen aber unbeachtet blieben.
Erste Ergebnisse der Entlastungsallianz
Auch Dieter Salomon , einst grüner OB Freiburgs und jetzt Vorsitzender des Normenkontrollrats, wies auf die Zweischneidigkeit des Bürokratieabbaus hin, etwa bei der Heraufsetzung von Wertgrenzen bei Ausschreibungsverfahren, einem der ersten Ergebnisse der Entlastungsallianz . Das verringere den Aufwand für Auftraggeber erheblich und erleichtere Vergaben. Allerdings waren aus Sorge vor Korruption die Wertgrenzen zuvor niedrig gehalten, der Gesetzgeber hatte hier ein wichtiges Ziel verfolgt.
Vereinfachung und Goldplating
Klar, Salomon stellte sich als Chef der IHK Südlicher Oberrhein auf die Seite der Vereinfacher: Er bezeichnete das Verhältnis Land – Kommunen als das eines Gouvernantenstaats, bei dem das Land die Kommunen wie unmündige Kinder behandle. Beispiele kamen in der Diskussion zuhauf, etwa das Hinweisgebergesetz, das von einem Misstrauen gegenüber den Kommunen zeuge, so der Einwurf des Gernsbacher Bürgermeisters Julian Christ (SPD). Nur eine Umsetzung von EU-Recht, erwiderte die Grünen-Abgeordnete Swantje Sperling, womit der Begriff des Goldplating, der Lust an der Übererfüllung europäischer Standards, aufgerufen war.
Partner auf Augenhöhe
Als mündige Partner dürfte der Gesetzgeber Kommunen beim Erprobungsparagrafen betrachtet haben. Für die gesetzlich geregelte Flexibilität bei der Kinderbetreuung gab es viel Lob, Städtetag-Geschäftsführer Ralf Broß bezeichnete die Regel als Blaupause für große Entscheidungen . Auf solche lenkte Moderator und Chefredakteur des Staatsanzeigers Rafael Binkowski das Gespräch auch bei einem anderen Thema, der Kommunalwahl, die neuen Regeln folgt.
Bürger entfremden sich von den Gemeinderäten
Der Skepsis des Parteifreundes Mentrup beim passiven Wahlrecht für 16-Jährige, „Stadträte zweiter Wahl“, entgegnete der SPD-Abgeordnete Sascha Binder, dass die Gleichberechtigung junger Räte mit dem Erreichen der Volljährigkeit schnell hergestellt sei. Die FDP-Abgeordnete Julia Goll beklagte eine Entfremdung der Bürger zu den Ratsrepräsentanten. Bürgerbeteiligung gehe immer, die Bereitschaft zur Kandidatur sei gering.
Höchstzahlverfahren stößt auf Kritik
Kritik kam am Zählmodus auf. Das Höchstzahlverfahren nach Sainte-Laguë/Schepers bevorzugt kleinere Listen und zersplittere die Ratslandschaft. Das erleichtere die Entscheidungsfindung nicht gerade, so OB Mentrup. CDU-Landtagsmitglied Ulli Hockenberger kündigte je nach Ergebnis am 9. Juni eine Revision der Regel durch die CDU an.