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Georg Heinrich von Langsdorff: Der badische Forscher, der die Welt umsegelte
Freiburg/Lahr. Mitten im Dschungel erwischt es ihn. Vielleicht Fleckfieber, vielleicht Malaria. Georg Heinrich von Langsdorff muss seine Amazonas-Expedition abbrechen. Physisch geschwächt und unter Gedächtnisstörungen leidend, kehrt er in die Heimat zurück. 1852 stirbt der Mann, der das Zeug gehabt hätte, ein zweiter Alexander von Humboldt zu werden, in Freiburg.
„Im Gegensatz zu seinem berühmten preußischen Kollegen konnte er die umfangreichen Aufzeichnungen seiner jahrelangen Forschungsreisen weder auswerten noch darüber publizieren“, sagt Wolfgang G. Müller. Der Sozialwissenschaftler und frühere Oberbürgermeister von Lahr hat sich intensiv mit dem Abenteurer beschäftigt. Als Sohn eines Oberamtsmanns verbrachte Langsdorff einen Teil seiner Jugend in der Schwarzwaldstadt. „Mich faszinieren sein Wissensdurst, sein körperliches und geistiges Durchhaltevermögen sowie sein akribischer Fleiß“, verrät Müller.
Am 18. April 1774 wird Langsdorff im rheinhessischen Wöllstein geboren. Während des Medizinstudiums in Göttingen knüpft er Kontakte nach Russland. Eine Position als Leibarzt eines österreichischen Generals führt den frisch Promovierten aber zunächst nach Lissabon.
Langsdorff nimmt an der ersten russischen Weltumseglung teil
Die Portugiesischkenntnisse erweisen sich auch bei einem der Anschlussjobs als nützlich. Ab 1803 nimmt Langsdorff an der ersten russischen Weltumseglung unter Adam Krusenstern teil. Brasilien zählt zu den ersten Stationen der Reise.
„Das Land muss Langsdorff nachhaltig begeistert haben“, glaubt Müller. „In einem Brief nach Sankt Petersburg schwärmt er von der tropischen Flora und Fauna, aber auch von der Gastfreundschaft der Menschen.“ Nachdem er die Krusenstern-Expedition vorzeitig verlassen hat, wird er Mitglied der Kaiserlichen Akademie der Wissenschaften in Sankt Petersburg. Und der Zar ernennt den Mediziner zum russischen Generalkonsul in Rio de Janeiro.
Neben den Amtsgeschäften widmet sich Langsdorff in Brasilien botanischen und ethnografischen Studien und verfolgt bevölkerungspolitische Ideen im damals noch portugiesischen Hoheitsgebiet. „Er kannte Pläne der Kolonialregierung“, so Müller, „die Entwicklung Brasiliens durch die gezielte Immigration von Handwerkern, Bauern und Gewerbetreibenden voranzubringen.“
Der Generalkonsul entscheidet sich dann, selbst eine Auswandererkolonie zu gründen. Besonders im badischen Ortenaukreis wirbt er Migrationswillige an, die auf seinem Landgut Mandioca bei Rio siedeln sollen. Ein armer Bauer, stellt Langsdorff in Aussicht, könne am Zuckerhut schnell „zu einem großen Gutsbesitzer werden“. Knapp 90 Europaüberdrüssige folgen dem Glücksversprechen. Einer von ihnen ist Karl Drais, der Erfinder des Ur-Fahrrads, der es indes nur fünf Jahre im Palmenparadies aushält. Auch andere kapitulieren vor feuchter Hitze, Moskitos oder Tropenkrankheiten. Der versprochene ökonomische Erfolg bleibt für die allermeisten aus.
Am Ende verkauft Langsdorff Mandioca an den Staat. Nicht zuletzt, um Zeit für sein ehrgeizigstes Lebensprojekt zu gewinnen: die Erkundung der Amazonas-Region, die zu den letzten weißen Flecken der damaligen Weltkarte gehört. Von 1822 bis 1829 erkundet er Menschen-, Tier- und Pflanzenwelt des gigantischen Stroms. Seine Aufzeichnungen sind ein in seiner Heimat lange unbeachtet gebliebener Wissensschatz. „Weil Langsdorff im Auftrag des russischen Zaren Alexander I. stand“, erläutert Müller, „wurde das gesamte Material der Expedition, also Notizen, Geräte und Präparate, nach St. Petersburg verschifft.“ Auch der Nachlass befindet sich in russischen Archiven.
Trotz der ungeschriebenen Amazonas-Bücher lebt der Name Langsdorff in der literarischen Welt weiter, was an den „Bemerkungen auf einer Reise um die Welt in den Jahren 1803 bis 1807“ liegt. .
Der Schriftsteller Herman Melville wurde von Langsdorff inspiriert
Zu den emsigsten Lesern gehörte unter anderem der Schriftsteller Herman Melville. Langsdorffs Passage über zwei desertierte Südsee-Matrosen inspirierte den Amerikaner zu seinem Roman-Erstling „Taipi“. Und auch in Melvilles Opus Magnum „Moby Dick“ wird der Weltenfahrer aus Lahr anerkennend zitiert.
Langsdorff war auch Pionier der Fliegenpilzforschung
Auf der russischen Halbinsel Kamtschatka bot sich Langsdorff die Gelegenheit, medizinische, naturkundliche und ethnografische Interessen zu verbinden: Er wurde zum Pionier der Fliegenpilzforschung. Die indigene Bevölkerungsgruppe der sibirischen Korjaken verzehrte die rot-weißen Waldgewächse traditionell als Rauschmittel. Dabei erkannte der Arzt, dass die narkotisierenden Substanzen in aktiver Form über die Nieren ausgeschieden werden.