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Die 1920er-Jahre

Was unterscheidet die Gegenwart von der Weimarer Zeit?

Mit der Weimarer Republik zwischen 1918 und 1933 gab es erstmals eine Demokratie im Deutschen Reich. Die ersten zehn Jahre der Republik waren geprägt durch Turbulenzen, gewalttätige politische Auseinandersetzungen und Hyperinflation, aber auch durch Höchstleistungen in Wissenschaft und Kultur. Von Wolfram Pyta Von Wolfram Pyta

Deutschland erlebte in den 1920er-Jahren eine Blüte seines Geisteslebens. So wurde etwa der Schriftsteller Thomas Mann im Jahr 1929 mit dem Literatur-Nobelpreis ausgezeichnet für seinen Debütroman „Buddenbrooks“. Foto: dpa/Bifab

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Stuttgart. Der Blick auf die Weimarer Republik kann die Bundesrepublik aus Selbstzufriedenheit lösen und zu kritischer Selbstbefragung animieren. Diese solle aber nicht in einem Krisenmodus erfolgen, weil die Krisendiagnose bereits die normative Setzung impliziert, dass die politische Ordnung der Bundesrepublik existenziell gefährdet sei.

Daher ist ein vertiefter Blick auf die Weimarer Republik in den 1920er-Jahren erhellend, weil die erste deutsche Demokratie in diesem Jahrzehnt schwerste Herausforderungen zu bestehen hatte, an denen sich Gemeinsamkeiten, aber vor allem Unterschiede zwischen damals und heute herausschälen lassen.

Ein Hauptproblem der 1920er-Jahre bestand darin, dass in diesem Jahrzehnt die finanziellen Lasten des verlorenen Weltkriegs offenkundig wurden. Über die Höhe und die Zahlungsmodalitäten der von den Siegermächten verordneten Reparationen entbrannte eine heftige außen- und innenpolitische Auseinandersetzung, in deren Gefolge Deutschland im Jahr 1923 eine unvorstellbare Hyperinflation erlebte.

Im selben Jahr musste Deutschland seine außenpolitische Ohnmacht einräumen, weil französischen und belgische Truppen das wirtschaftliche Herzstück Deutschlands – das Ruhrgebiet – als politisches Druckmittel besetzten.

Doch entscheidend ist, dass Deutschland durch eine kluge Außenpolitik diese außenpolitische Isolierung überwand und Ende der 1920er-Jahre wieder zu einem gleichberechtigten Mitglied der Staatengemeinschaft geworden war.

Die Inflation von 1923 war eine der dramatischsten Geldentwertungen. Der Wert der Mark verfiel, ein US-Dollar entsprach 4,2 Billionen Mark. FOTO: IMAGO/FUNKE

Die Unterschiede zu heute springen dennoch ins Auge: In den 1920er-Jahren gab es keine wertegebundene Staatengemeinschaft wie EU oder Nato, die sich in den großen Fragen der Politik abstimmte. Immer noch bestimmte das Leitbild eines absolut souveränen Nationalstaats das politische Handeln. Innenpolitisch meisterte die Weimarer Republik in den 1920er-Jahren schwere Existenzkrisen. 1923 probten rechts- und linksradikale Staatsfeinde den Aufstand; politische Auseinandersetzungen waren in den gesamten 1920er-Jahren mit physischer Gewalt durchsetzt, die durch Wehrverbände auf die Straßen und in die Wahlkämpfe getragen wurde. Doch die Weimarer Republik wurde damit fertig, weil sich ihre Institutionen gerade in dem Krisenjahr 1923 bewährten.

Die Weimarer Republik war keine parlamentarische Demokratie: Allein der Reichspräsident bestimmte den Reichskanzler und war dabei nicht an ein Votum des Parlaments gebunden. Diese Konzentration der Entscheidungsmacht auf den Reichspräsidenten trug in den 1920er-Jahren erheblich dazu bei, dass die Republik alle schweren Krisen überstand, weil an ihrer Spitze mit dem aus Baden stammenden Friedrich Ebert ein durch und durch republikanisch gesinnter Präsident stand.

Politiker aus dem Südwesten trugen zur Stabilität bei

Ebert war ein Stabilitätsanker; und generell haben aus dem deutschen Südwesten stammende Politiker wie die Reichskanzler Konstantin Fehrenbach und Joseph Wirth ihren Beitrag zur Stabilisierung der Republik geleistet. Dies lag auch daran, dass in den Ländern Baden und Württemberg von den Stützen der Republik (Sozialdemokratie, politischer Katholizismus und Linksliberalismus) eine überparteiliche Konsenskultur gepflegt wurde, die auf die Reichspolitik ausstrahlte.

Dennoch war die erste deutsche Demokratie nicht auf Stein gebaut. Die politische Kultur war nicht so beschaffen, dass sich die Wertschätzung einer freiheitlichen Staatsordnung als politische Gesinnung fest in das deutsche Wahlvolk eingegraben hätte. Politische Kräfte auf der extremen Linken wie auf der extremen Rechten, die die liberale politische Ordnung erbittert bekämpften, erreichten bei Reichstagswahlen konstant zwischen 15 und 20 Prozent der Stimmen. Vor allem war im Jahr 1925 mit dem ehemaligen Generalfeldmarschall Paul von Hindenburg ein Reichspräsident vom Volk gewählt worden, der die Grundprinzipien einer liberalen politischen Ordnung nicht internalisiert hatte, und auf den daher in Krisenzeiten kein Verlass war. Dies sollte sich ab 1930 mit all seinen Konsequenzen zeigen – bis hin zu der von ihm vorgenommenen Ernennung Hitlers zum Reichskanzler im Jahre 1933.

Dass vor 100 Jahren die politische Ordnung in Deutschland nicht wirklich krisenfest war, hing auch mit der problematischen Abhängigkeit Deutschlands von ausländischem Kapital zusammen. Der Erste Weltkrieg hatte zu einer gigantischen Kapitalvernichtung geführt, die durch die Hyperinflation des Jahres 1923 noch gesteigert wurde.

Kapitalhilfe wurde von US-Privatbanken gewährt

Danach war Deutschland ein finanziell ausgezehrtes Land, dessen Staat und Wirtschaft dringend ausländische Kapitalhilfe benötigte, die ab 1924 vor allem von US-Privatbanken gewährt wurde. Diese Anschubhilfe kurbelte nicht nur Investitionen der öffentlichen Hand an, sondern trug auch dazu bei, dass die deutsche Wirtschaft ihre Innovationskraft vor allem in den Zukunftsbranchen Elektroindustrie, chemische Industrie, Fahrzeug- und Maschinenbau zur Geltung bringen konnte.

Deutschland knüpfte als Exportnation an die Zeit vor dem Ersten Weltkrieg an; das von Robert Bosch in Stuttgart gegründete Unternehmen verdankte seine Erfolge dem Export. Hinzu kam, dass Deutschland im Bereich der Grundlagenforschung und angewandten Forschung bei Naturwissenschaften und Technik Weltspitze war und blieb.

Doch die deutsche Wirtschaft konnte all diese Standortvorteile nur dann ausspielen, wenn sie durch den Zustrom US-amerikanischen Kapitals dazu in die Lage versetzt wurde. Daher wurde Deutschland von allen europäischen Industrienationen wirtschaftlich am stärksten getroffen, als ab Ende 1929 aufgrund einer schweren Rezession in den USA die Kredite zurückverlangt wurden. Denn der außeramerikanische Kapitalmarkt war Deutschland weitgehend verschlossen, weil seine Aktivierung an unzumutbare politische Auflagen geknüpft war. Die Unterschiede zur aktuellen Lage springen ins Auge: Heute ist Deutschland Motor einer europäischen Währungsunion, die eine der härtesten Währungen der Welt ihr eigen nennt.

Deutschland erlebte in den 1920er-Jahren eine Blüte seines Geisteslebens. In bildender Kunst, Musik, Theater, aber vor allem auf dem Gebiet der Literatur blieb Deutschland eine Kulturnation, die auch durch die Verbreitung ihrer Sprache weltweite Standards setzte. Es ist kein Zufall, dass am Ende der 1920er-Jahre Thomas Mann, der letzte Großschriftsteller deutscher Zunge, den Nobelpreis für Literatur erhielt.

Die deutschen Intellektuellen waren ein Standbein der liberalen Demokratie, während erhebliche Teile der Eliten aus Wirtschaft, Justiz und Verwaltung mit der Republik fremdelten. Sie liebäugelten mit einem dezisionistischen Politikverständnis, das autoritäre Entscheidungsprozesse favorisierte, wie sie sie in ihren jeweiligen Bereichen praktizierten. Auch hier ist der Kontrast zur heutigen Situation augenfällig, in der ökonomische Eliten für eine liberale Wirtschafts- und Gesellschaftsordnung einstehen.

Und noch ein Unterschied ist augenfällig: Die deutsche Gesellschaft der 1920er-Jahre war insofern homogen, als sie praktisch keine Zuwanderung von Nicht-Deutschen zu verzeichnen hatte. Daher war das Projekt einer ethnisch homogenen „Volksgemeinschaft“ tendenziell mehrheitsfähig: Deutsche jüdischen Glaubens, romtreue Katholiken und internationalistisch ausgerichtete Sozialdemokraten waren aus nationalistisch-völkischer Perspektive Deutsche unter Vorbehalt. Da man die Folgen der semantischen Vorbereitung einer völkischen Umgestaltung der Gesellschaft schon aus den 1920er-Jahren kennt, ist der zivilgesellschaftliche Protest dagegen heute weitaus stärker als 100 Jahre zuvor.

In den ersten Monaten des Jahres 1919 wurde die staatliche Ordnung durch bewaffnete Aufstandsversuche erschüttert. Das Bild zeigt Regierungstruppen bei der Niederschlagung des Märzaufstands in Berlin 1919. FOTO: IMAGO STOCK&PEOPLE

Über Wolfram Pyta

Wolfram Pyta ist Professor für Neuere Geschichte und Leiter der Abteilung für Neuere Geschichte am Historischen Institut der Universität Stuttgart. Seit 2001 ist er zugleich Direktor der Forschungsstelle Ludwigsburg, die sich der Erforschung der NS-Verbrechensgeschichte widmet. Seine Schwerpunkte in Forschung und Lehre sind unter anderem die Geschichte der Weimarer Republik und die Holocaust-Forschung. Für seine Biografie über Paul von Hindenburg erhielt er 2008 den Forschungspreis des Landes Baden-Württemberg für Grundlagenforschung. ( rik )

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