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„Die Kunst ist frei und das bleibt sie auch“
Arne Braun: Ich gehe immer noch regelmäßig ins Kino oder besuche Konzerte von Bands. Diese Leidenschaft ist unverändert. Das schlägt sich auch in meiner politischen Arbeit nieder: Wir führen seit fast einem Jahr den Dialog POPLÄND. Im Bereich Filmpolitik ist das Land etwa mit Blick auf das neue Filmfördergesetz im Bund sehr aktiv. Kultur war immer Teil meiner Arbeit, ich habe schon als Regierungssprecher den Ministerpräsidenten kulturell beraten und begleitet – und in dieser Zeit im Staatsministerium das Veranstaltungsprogramm im Park der Villa Reitzenstein mitentwickelt. Für mich war der Austausch mit Kulturschaffenden immer eine gute Gelegenheit, den Blick zu weiten und Dinge anders zu betrachten.
Wie meinen Sie das?Nehmen wir die Staatstheater: Mir gefällt es sehr, wie Viktor Schoner die Staatsoper Stuttgart bespielt. Er kümmert sich nicht nur um klassische Oper und Repertoire, sondern arbeitet intensiv an der Idee, die Kunstform Oper in die Jetztzeit zu übersetzen. Bei der Inszenierung von Olivier Messiaen etwa über Franz von Assisi 2023 hat er sich gemeinsam mit dem Publikum sieben Stunden lang durch die Stadt bewegt – und hat diese an verschiedenen Orten erklingen lassen. Es war ein großes Vergnügen und ein gelungenes Beispiel dafür, wie Kultur eine große Kraft entwickeln kann, die in die Gesellschaft wirkt.
Neue Räume für die Kultur scheinen Ihnen am Herzen zu liegen…Ja, es geht es um die Kulturräume wie Theater, Kino und Eventlocations, aber auch um Räume, die erobert werden wollen, die eigentlich nicht für Kultur vorgesehen sind, etwa wenn im Park der Villa Reitzenstein das Internationale Trickfilmfestival über die Leinwand flimmert oder die bayrische Bläser-Punk-Kapelle LaBrassBanda auftritt: Die Band lässt die ersten Töne erklingen und 1000 Leute fangen an zu tanzen. Das hat was. Dadurch entsteht Gemeinschaft.
Trennen Sie Privates von Beruflichem?Nein, private und berufliche Interessen überschneiden sich. Ich gehe auf Konzerte, ins Kulturzentrum, in Museen, ins Ballett und liebe es, Menschen dabei zuzusehen, wenn sie Sachen machen, wenn Kultur entsteht. Dazu gehört besonders der ländliche Raum, um dort Kultur zu erleben und mit den Menschen ins Gespräch zu kommen. Dort ist kulturelles Engagement im besonderen Maße vom Ehrenamt getragen. Daher machen wir jetzt in den Osterferien unsere zweite „Tour de Länd“. Es ist mir wichtig, herauszufinden, wie Kultur in ländlichen Räumen funktioniert. Da gibt es ganz andere Möglichkeiten und Notwendigkeiten als in der Großstadt, die Kulturtreibenden haben zum Teil ganz andere Probleme. Daraus resultiert ein politischer Auftrag.
Also ein Traumjob?Ja, für mich ist der Job ein Privileg, Die Arbeit ist einerseits sinnlich, andererseits praktisch und pragmatisch. Dazu kommt, dass ich viele Sitzungstermine in Aufsichts-, Stiftungs- und Verwaltungsräten absolvieren muss. Das heißt dann Akten fressen, mich auf Sitzungen und Gespräche vorbereiten, Personalpolitik, Finanzpolitik. Das ist dann weniger glamourös, aber ist die Grundlage für professionelles Arbeiten und am Ende auch für kreatives Gestalten.
In den kommenden Jahren müssen viele Kulturbauten saniert werden, so auch das Opernhaus und Nebengebäude der Staatstheater Württemberg…Ja, und da steht noch einiges mehr ins Haus. Für die Sanierung der Oper braucht es ein Interim, im vergangenen Sommer haben wir uns für einen Entwurf entschieden. Daran werden sich die Planungen für die Maker City als ein neues Viertel anschließen. In der Innenstadt wird eine langwierige riesige Baustelle sein. Das ist auch ein Grund dafür, warum es nötig ist, das Kunstgebäude am Schlossplatz langfristig für Kunst und Kultur zu erhalten. Denn Oper und Ballett werden für längere Zeit aus der Innenstadt verschwinden. Und auch andere Kulturhäuser müssen bei den anstehenden Sanierungen präsent bleiben und brauchen das Haus dann womöglich. Die Stuttgarter Innenstadt definiert sich über Kultur.
Derzeit sind für Oper und Interim rund eine Milliarde veranschlagt. Wie erklären Sie den Menschen die hohen Kosten?Die Sanierung ist unausweichlich, dafür gibt es viele Gründe wie Denkmalschutz, Qualitätssicherung, Stadtentwicklung, aber auch allein aus Gründen der Arbeitssicherheit. Und wollen wir uns Kulturstadt nennen, brauchen wir ein zeitgemäßes Theater.
Nun steht das Internationale Trickfilmfestival Stuttgart (ITFS) an. Das Kunstministerium plant, mehr Verantwortung beim Veranstalter Film- und Medienfestival zu übernehmen. Wie das?Das ITFS war in eine schwierige wirtschaftliche Lage geraten, dazu kam Corona, dazu Publikumsschwund. Das war für mich Anlass, das ITFS zu stärken. Es ist eines der wichtigsten und größten Animationsfilmfestivals der Welt und ein starkes Aushängeschild für Baden-Württemberg. Wir haben auch den Gesellschafterbeitrag der Filmakademie erhöht, das hat echtes Potenzial, hier heißt das Motto: „Stärken stärken“. Die Messe FMX, die Businessplattform Animation Production Days und das ITFS ergeben zusammen ein stimmiges Bild vom Animationsstandort Stuttgart und Baden-Württemberg. Dazu kommt, dass die Filmakademie mit Jan Pinkava als neuem Leiter des Animationsinstituts eine Koryphäe gefunden hat – das Bild kann man nicht besser malen.
Aber viele hier ausgebildeten Filmemacher wandern ab…Eine zuletzt 2022 durchgeführte Umfrage unter Absolventen der Filmakademie hat ergeben, dass mehr als 32 Prozent ihren Lebens- und Arbeitsmittelpunkt in Baden-Württemberg behalten. Der Exodus ist also nicht so groß. Außerdem ist in dem Metier der Arbeitsort weitestgehend unabhängig davon, wo Filme produziert werden. Was wir aber schaffen müssen, ist, dass sich Firmen ansiedeln, die hier produzieren. Diese Strukturen werden durch die Programme der Medien- und Filmgesellschaft identifiziert und kreativ gefördert. Dabei müssen wir auch den Bereich Games mitdenken, weil das zur Animation gehört. Wir fördern junge Unternehmen. Es gibt hier eine starke vitale Szene und ein großes Potenzial.
Politiker betonen derzeit immer wieder, dass die Kultur in der aktuellen Demokratiekrise einen besonderen Stellenwert einnimmt. Sehen Sie das auch so?Unbedingt, wir leben in einer Zeit, in der eine sachliche Debatte immer schwieriger wird, es wird emotionalisiert und skandalisiert und endet oft unversöhnlich. Wir haben verlernt, einander zuzuhören und auf Argumente einzugehen, zivilisiert miteinander zu streiten. Kunst und Kultur können uns die Fähigkeit zurückgeben, diesen Diskurs zu führen, wieder ins Gespräch zu finden.
Heißt das, die Kultur soll nun alles richten? An ihr wird stets zuerst gespart…Über allem steht erst mal die Kunstfreiheit. Kultur ist für uns, für den Erhalt der Demokratie extrem wichtig, wir müssen uns dieser Verantwortung stellen. Die Demokratie stärkt die Kultur und damit quasi sich selbst. Deshalb: Kultur ist nicht „Nice to have“! Das gilt übrigens auch bei den anstehenden Haushaltsverhandlungen.
Wie ist der Umgang mit der AfD?Bei der Debatte zum Thema Green Culture vergangene Woche habe ich dargelegt, was wir alles machen zu Kultur und Klimaschutz. Es ging um den CO2-Rechner, Green Motion beim Dreh etcetera. Von der AfD kam ein Schrei: „Die Kunstfreiheit.“ So ein Unsinn. Die Kunst ist frei und das bleibt sie auch. Jedes Thema wird seitens der AfD durchdekliniert Richtung Flüchtlinge, Kriminalität. Das ist sehr mühsam. Aber wir wollen das nicht ignorieren und müssen uns damit inhaltlich auseinandersetzen.
Vermissen Sie als Staatssekretär etwas?Die politische Themenbreite ist etwas verloren gegangen, aber andererseits ist es auch toll, sich tief in ein Thema einarbeiten zu können. Und wenn ich damit ein wenig die Geschicke des Landes mitgestalten kann, ist das ein wunderbares Geschenk.
Das Gespräch führten Eva Maria Schlosser und Rafael Binkowski