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Wo die eher weniger bekannten Nationalsozialisten für ihre Kriegsverbrechen verurteilt wurden
Karlsruhe. In Nürnberg fanden die großen Prozesse gegen prominente Nazischergen statt, doch auch in anderen deutschen Orten wurde gegen deutsche Kriegsverbrecher prozessiert. Stellvertretend dafür stehen die Rastatter Prozesse, die im Herbst 1945 begannen. Die Rastatter Prozesse sind auch Gegenstand einer Sonderausstellung des Bundesarchivs, die derzeit und noch bis zum 26. April im Oberlandesgericht Karlsruhe zu sehen ist (siehe Infokasten).
„Schwerpunkt der Strafverfolgung waren vor allem die Verbrechen in den Zwangslagern wie etwa Natzweiler, dem einzigen Lager auf französischem Boden“, sagt die Rechtsassessorin Marlene Kottmann, die darüber ihre Doktorarbeit schreibt beim „Institut für Rechtsgeschichte und geschichtliche Rechtsvergleichung“ an der Albert-Ludwigs-Universität in Freiburg.
Die französische Militärverwaltung (Gouvernement militaire français) richtete im März 1946 in Rastatt ein Tribunal général ein. Dieses fungierte bis zu seiner Schließung im März 1956 aufgrund seiner Statuten als erstinstanzliches Gericht, Berufungsgericht, Kassationshof und Internationaler Gerichtshof für den gesamten Bereich der französischen Besatzungszone.
Nur die Hälfte der Todesurteile wurde auch vollstreckt
„Taten, die ein Mensch nicht begehen darf“, ist der Titel von Kottmanns Vortrag anlässlich der Sonderausstellung im Karlsruher Oberlandesgericht. Für diese NS-Verbrechen wurden in rund 20 Strafverfahren mehr als 2000 Angeklagte verhört und größtenteils verurteilt.
„Es gab allein in Rastatt 115 erstinstanzliche Todesurteile, 939 Begnadigungen und viele Langzeitstrafen“, sagt Kottmann. Von den verhängten Todesstrafen seien allerdings nur rund 60 vollstreckt worden, ein Teil der Urteile wurde wieder aufgehoben oder die Angeklagten waren gar nicht vor Ort“, sagt Kottmann.
Einer der Angeklagten war der Unternehmer Hermann Röchling, der sich zusammen mit vier Managern der Röchlingschen Eisen- und Stahlwerke verantworten musste wegen Verbrechen gegen den Frieden, Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Röchling war Kopf der deutschen Eisen- und Stahlindustrie. Er zählte zu den acht Großindustriellen des Rüstungsrats unter Albert Speer und war Leiter neuer NS-Organisationsformen.
Seit Mai 1942 war der Einsatz von Zwangsarbeitern in der Schwerindustrie mit seinem Namen verbunden: Mit den so genannten „Röchling-Transporten“ werden Tausende Menschen nach Deutschland verschleppt. Ein Bild in der Ausstellung vom Bundesarchiv zeigt beispielsweise den Transport von Frauen und Männern vom Kiewer Hauptbahnhof. In Deutschland wurden sie ausgebeutet, misshandelt und nicht selten zu Tode gebracht.
Für Röchling schien das alles normal zu sein. „Mit anderen Worten: Es ist die Formel, während des Krieges ist alles erlaubt oder der Zweck heiligt die Mittel“, die auch Hermann Röchling im Verlauf einer Sitzung zum Ausdruck brachte, indem er sagte, der Stärkste hat Recht“, steht auf einer der Schautafeln. Es ist ein Zitat des Tribunal Général vom 25. Januar 1949, das die Haltung des hochrangigen NS-Funktionärs auch nach dem Krieg noch zeigt.
Unabhängigkeit der Justiz durch französische Richter
„Das Gute ist, dass es unabhängige französische Richter waren, die hier urteilten“, sagt Marlene Kottmann. Deshalb habe auch der Dienstgrad bei den jeweiligen Verurteilungen keine Rolle gespielt, betont die Rechtsassessorin.
Weil Röchling vor dem Tribunal général zunächst ein relativ mildes Urteil erhält, geht die Generalstaatsanwaltschaft in Revision. In dem Berufungsurteil des Tribunal Supérieur von 1949 wird das Strafmaß dann deutlich verschärft und Röchling zu zehn Jahren Haft, Einziehung seines Vermögens und Aberkennung der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt.
„Den Alliierten verdanken wir nicht nur die Befreiung, sondern auch die juristische Aufarbeitung“, sagt Jörg Müller, Präsident des Oberlandesgerichts Karlsruhe. Und erklärt zugleich, warum gerade jetzt und vor allem hier in Karlsruhe die Ausstellung gezeigt wird, wo es doch gar kein rundes Datum dazu gibt.
„Einerseits liegt Rastatt im Regierungspräsidium Karlsruhe, andererseits gibt es viele aktuelle Anlässe: das Erstarken rechter Kräfte in einer Zeit, wo der Holocaust als ‚Vogelschiss‘ verharmlost und über die Vertreibung von Millionen diskutiert wird“, sagt Müller. „Diese Gedanken fressen sich immer tiefer in die Mitte unserer Gesellschaft hinein.“
Ausstellung wurde vom Bundesarchiv organisiert
Die Sonderausstellung über die Rastatter Prozesse, die bis zum 26. April im Oberlandesgericht Karlsruhe gezeigt wird, dokumentiert auf 20 Stellwänden die Prozessgeschichte und die Rolle der Besatzungsmächte. Zugleich zeigt sie, dass die Verbrechen auch hier im Land und in der Region geschahen, so etwa im KZ-Außenlager KZ Natzweiler oder auf der Schwäbischen Alb. Die Ausstellung wurde vom Bundesarchiv konzipiert und organisiert.