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Hildenbrand: „Das Bürokratie-Argument überzeugt mich nicht“
Oliver Hildenbrand: Ja, denn das Grundgesetz muss ja in allen Bereichen durch weitere Gesetzgebung konkretisiert werden. Für den privatrechtlichen Bereich haben wir seit 15 Jahren das AGG, das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz des Bundes. Wir haben aber eine Schutzlücke für die staatliche Ebene, die wir mit dem Landesgleichbehandlungsgesetz jetzt schließen wollen. Damit konkretisieren wir das Versprechen auf Gleichbehandlung, das unser Grundgesetz allen Menschen gibt. Denn das gilt selbstverständlich auch auf dem Bürgerbüro oder dem Polizeirevier.
Gibt es konkrete Anlässe für das Gesetz?Wo Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen und Haltungen zusammenkommen, müssen wir grundsätzlich auf Gleichbehandlung achten. Deshalb setzen wir Grüne uns schon lange für dieses Gesetz ein.
Die Kommunalverbände haben beim Ministerpräsidenten geklagt, dass sie einen Bürokratieaufwuchs durch das Gesetz fürchten, etwa wegen Vorkehrungen gegen Schadenersatzansprüche.Ziel des Gesetzes ist, das Gleichbehandlungsversprechen einzulösen. Und es ist ja im Interesse aller, in einer Gesellschaft ohne Diskriminierung zu leben. Das bekräftigen auch die Kommunalverbände. Dass das Gesetz den Kommunen viel Arbeit machen wird, glaube ich nicht. Denn Arbeit entsteht nur da, wo das Prinzip der Gleichbehandlung nicht eingehalten wird. Daher überzeugt mich das Bürokratie-Argument nicht.
Die Kommunalverbände sorgen sich um das Missbrauchspotenzial, das die Beweislastumkehr berge, etwa durch Demokratieverächter, die so Verwaltungshandeln blockieren.Das Wort Beweislastumkehr ist zum Kampfbegriff geworden, der aber nicht zutrifft. Denn es handelt sich um eine Beweiserleichterung, die sich im AGG seit 15 Jahren bewährt hat. Diese Regelung soll lediglich das Informationsgefälle zwischen Behörde und Bürgerschaft ausgleichen. Und ich frage alle, die dieses Argument ins Feld führen: Sollen uns etwa Demokratieverächter daran hindern, ein ganz zentrales Versprechen unserer Verfassung einzulösen? Ich sage ganz klar: Nein!
Wegen der Schadenersatz- und Schmerzensgeldregel befürchten Kommunalverbände Klagen und sprechen von einer Amerikanisierung des Rechtssystems.Ich würde eher von einer Europäisierung sprechen, weil wir mit dem Gesetzentwurf europäische Normen auf Landesebene umsetzen.
Im Vergleich zum ersten Landesgleichbehandlungsgesetz in Berlin fehlt das Verbandsklagerecht. Woran liegt das?Wir haben das Berliner Gesetz nicht abgeschrieben, sondern ein Gesetz für Baden-Württemberg gemacht. Dazu war es notwendig, uns mit dem Koalitionspartner zu verständigen. Allen Unkenrufen zum Trotz ist über das Gesetz kein Koalitionsstreit ausgebrochen. An diesem Gesetz haben alle sehr diszipliniert gearbeitet. Nun ist es in der Anhörung, wir werden es im Landtag vermutlich bis zur Jahresmitte verabschieden.
Trotzdem kommt vom Koalitionspartner Kritik, so vom Landwirtschaftsminister.Wir haben klare Vereinbarungen im Koalitionsvertrag und ich erlebe den Koalitionspartner als sehr vertragstreu. Im Übrigen: In der Anhörung können alle Anregungen zum Gesetz abgeben, auch Verbände für diskriminierte Menschen. Darauf bin ich besonders gespannt, denn Diskriminierung und Rassismus verschwinden nicht einfach so. Wir müssen strukturelle Maßnahmen ergreifen und dafür die Betroffenen anhören.
Diese werden sicher die Verbandsklage ins Spiel bringen.Es ist kein Geheimnis, dass auch ich mir ein Verbandsklagerecht vorstellen könnte. Aber wir brauchen einen Gesetzesentwurf, auf den wir uns als Koalition verständigen können. Die positive Botschaft an das Bündnis für ein Landesantidiskriminierungsgesetz aber bleibt: Es ist ein großer Erfolg, wenn Baden-Württemberg als erstes Flächenland ein Gleichbehandlungsgesetz erhält.
Das Berliner Gesetz verlangt Präventionsmaßnahmen. Warum wollen Sie den Aktionsplan nicht in Ihr Gesetz schreiben?Wir wollen ja, dass Gleichbehandlung nicht bloß im Gesetz steht, sondern umgesetzt und gelebt wird. Für mich ist deshalb der Landesaktionsplan gegen Diskriminierung und Rassismus, der aktuell erarbeitet wird, genau der richtige Ansatz. Das Landessozialministerium beteiligt viele Akteure daran und stößt damit einen breit angelegten Prozess an.
Der Entwurf ist nicht geschlechtergerecht formuliert. Sorgt das Antidiskriminierungsgesetz für Diskriminierung?Ich glaube, es ist uns gelungen, eine diskriminierungssensible Haltung an den Tag zu legen. An vielen Stellen werden geschlechterneutrale Begriffe verwendet, aber noch nicht an allen. Deshalb schaue ich mir das gerne noch einmal an.
Das Interview führte Peter Schwab
Woran sich die Kommunalverbände stören
Der Städte-, der Gemeinde- und der Landkreistag stehen hinter dem Ziel der Gleichbehandlung, lehnen aber ein Landesgesetz dazu ab. Das haben sie Ende Januar in einem Brief an Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) formuliert. Sie erinnern den Regierungschef an die Entlastungsallianz, vor deren Hintergrund das Gesetz entbehrlich erscheine.
- Kommunale Verwaltungen hielten sich bereits ohne einen spezialgesetzlichen Auftrag an die grundgesetzlich geforderte Gleichberechtigung.
- Gegen Verstöße gebe es ausreichende Rechtsmittel.
- Mehr Klagemöglichkeiten und verschuldensunabhängige Haftungsregeln erschwerten Entscheidungsprozesse, weil diese auf Gleichheitsfragen zentriert werden.
- Schadenersatzansprüche plus die Beweislasterleichterungen für den Kläger führe das öffentliche Recht an die Schmerzensgeldkultur des amerikanischen Rechtssystems heran.
- Die Beweislast aufseiten des Staates könnte etwa Reichsbürger dazu verleiten, das Gesetz zur Behinderung der Verwaltung zu missbrauchen.
- Der Entwurf zeige Misstrauen gegenüber der Verwaltung.
Betroffenenverbände fordern mehr Tatbestände gegen Diskriminierung
Genau das verneint Andreas Foitzik vom Bündnis für ein Landesantidiskriminierungsgesetz. Es gehe nicht um Schuldzuweisung, sondern um Sensibilisierung für Gleichbehandlung. Die Gesetzesidee begrüßt das Bündnis, doch mit etlichen Details ist es unzufrieden.
- So ist ihm die Sechs-Monats-Frist zu kurz, innerhalb der eine Diskriminierung gemeldet werden muss.
- Die Ombudsstelle, die zwischen Bürger und Verwaltung vermittelt, hat im Gegensatz zum Berliner Gesetz keine Ansprüche auf Auskunft und Akteneinsicht. Die Stelle kläre aber viele Fälle, die gar nicht vor Gericht landen, so Foitziks Beobachtung aus der Hauptstadt.
- Dagegen hält er die Aufgabe der Stelle, den Staat gegenüber ungebührlichen Bürgern zu vertreten, für systemwidrig.
- Schließlich pocht das Bündnis darauf, das Körpergewicht als Diskriminierungsgrund aufzugreifen.