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Vergabetag

Praktiker wollen mehr Beinfreiheit bei Vergabe

Die Reformpläne von Bund und Land zum Vergaberecht stoßen auf Skepsis. Zu groß ist die Furcht, dass die Verfahren weiter verkompliziert werden. Praktikern ist eher nach Vereinfachung zumute, wie sich auf dem Vergabetag in Stuttgart zeigte. Der explodierende Aufwand lässt sich sehr gut an der Streichung eines kleinen Satzes in der Vergabeverordnung festmachen.

Auf dem Vergabetag diskutierten Luisa Pauge vom Gemeindetag, Stephan Engelsmann, Präsident der Ingenieurkammer, Vergaberechtlerin Beatrice Fabry von Menold Bezler und Peter Kalte, von der Gütestelle Honorar und Vergaberecht (v.l.).

Wolfgang Leja)

Stuttgart . „Das Vergaberecht ist aktuell Gegenstand intensiver politischer Überlegungen auf Bundes- und Landesebene“, sagte Michael Kleiner, Ministerialdirektor im Wirtschaftsministerium, auf dem Vergabetag in Stuttgart. Sein Ministerium arbeitet derzeitig an der Novellierung des Landestariftreue- und Mindestlohngesetzes. Die Pläne befänden sich derzeit in der Abstimmung mit den Regierungsfraktionen, sagte Kleiner und machte Hoffnung: „Das Thema Entbürokratisierung steht wieder weiter oben auf der Agenda.“

„Politische Zielsetzungen auf Herz und Nieren prüfen“

„Angesichts des Aufwands für Vergabestellen und für Anbieter sind wir im Wirtschaftsministerium der Auffassung, dass jede auch wünschenswerte politische Zielsetzung zunächst auf Herz und Nieren geprüft werden muss, bevor sie in ein vergaberechtliches Korsett gebracht wird“, versprach Kleiner. Er warnte davor, das Vergaberecht zu überfrachten.

„Es ist selbstverständlich, dass bei Beschaffungen oder Investitionen Lebenszykluskosten berücksichtigt, Rückwirkungen bedacht werden oder die Reparaturfähigkeit geprüft wird. Wenn alles aber selbstverständlich ist, warum muss es dann im Vergaberecht geregelt sein, wenn es in Teilen anderswo bereits geregelt ist?“

In das gleiche Horn stieß Bernd Düsterdiek vom Deutschen Städte- und Gemeindebund. Er warnte die Bundesregierung, mit dem geplanten Vergabetransformationspaket die Verfahren weiter zu verkomplizieren. Die Regierung wolle die umwelt- und klimafreundliche Beschaffung stärken. Da könne man grundsätzlich nichts dagegen sagen. Die Frage sei nur, wie sich das am Ende des Tages auswirken werde, sagte er.

Themen wie eine Lebenszyklusbetrachtung oder energieverbrauchsrelevante Aspekte seien längst in der Vergabeverordnung und an anderen Stellen niedergelegt. „Für Sekundärziele wie Umwelt- und Nachhaltigkeitsvorgaben ist das Vergaberecht nicht der geeignete Ort“, so Düsterdiek . Sie gehörten besser in Fachgesetze wie das Klimaschutzgesetz.

Städte- und Gemeindebund fordert praxisgerechte, handhabbare und einfache Regeln

Die Kommunen forderten Beschaffungsregeln, die „praxisgerecht, handhabbar und einfach“ sind. Sie brauchen „mehr Beinfreiheit“, weil sie vor „gewaltigen Aufgaben“ stehen, so Düsterdiek . Hierbei verwies er auf den Investitionsrückstand der Kommunen. Laut dem KfW-Kommunalpanel beträgt dieser über 166 Milliarden Euro.

Hinzu komme die sich zuspitzende Personalsituation, meinte Düsterdiek . „Bis zum Jahr 2035 werden in den kommunalen Verwaltungen fast 540 000 Personen ausscheiden. Das sind rund 30 Prozent des Personals“, sagte er. Das spreche dafür, die vergaberechtlichen Rahmenbedingungen spürbar zu vereinfachen.

Auch die Streichung des Paragrafen 3 Absatz 7 Satz 2 in der Vergabeverordnung ( VgV ) beschäftigt die Praktiker. Das war das Thema der Podiumsdiskussion, die es erstmals auf dem Vergabetag gab. Seit August 2023 müssen grundsätzlich alle ausgeschriebenen Planungsleistungen bei öffentlichen Vergabeverfahren addiert werden. Dies bedeutet, dass der Schwellenwert für die europaweite Ausschreibung von Planungsleistungen (221 000 Euro) deutlich früher als bisher überschritten wird.

Zeitverzögerungen im Verfahren und Rechtsunsicherheiten

Von der Streichung besonders betroffen sind kommunale Auftraggeber, sagte Luisa Pauge , Dezernentin beim Gemeindetag Baden-Württemberg. Sie hätten erheblich mehr Aufwand. „Wir haben dadurch Zeitverzögerungen im Verfahren, wir haben aber auch erhebliche Rechtsunsicherheiten“, sagte Pauge . Sie drängte darauf, den Verfahrensaufwand zu reduzieren, indem man die Schwellenwerte für Planerleistungen hochsetze.

Zustimmung dafür kam von Stephan Engelsmann, dem Präsidenten der Ingenieurkammer Baden-Württemberg: „Hier sollte man sich an den Schwellenwerten für die Bauleistung orientieren.“ Engelsmann fürchtet als Folge der Streichung eine „explosionsartige Zunahme“ europaweiter Ausschreibungen für Planungsleistungen. Und die sieht er skeptisch.

„Wir Planer haben grundsätzlich kein Problem mit dem Wettbewerb in einem Vergabeverfahren, das ist unser tägliches Geschäft. Aber erstens sind diese europaweiten Vergabeverfahren in der Tendenz nicht mittelstandsfreundlich, gerade kleine und mittlere Büros erfahren dadurch Benachteiligungen. Und zweitens kommen wir den übergeordneten gesellschaftlichen Zielen, nämlich wirtschaftlich und schnell zu bauen, mit dieser Vergaberechtsänderung ganz sicher nicht näher.“

Streichung des Paragrafen ist eine „Lose-lose-Situation“

Ferner gebe es bei Planungsleistungen keinen europäischen Anbietermarkt, gab er zu bedenken. „Als Ingenieur bewerbe ich mich nicht für die Planung eines Kindergartens in Griechenland oder Portugal. Das Ergebnis sei laut Engelsmann eine „Lose-lose-Situation“.

Beatrice Fabry , Fachanwältin für Vergaberecht bei Menold-Bezler , räumte ein, dass es mit der Streichung der Bestimmung nicht einfacher geworden sei, vergaberechtskonform auszuschreiben. Sie riet dazu, Spielräume im Vergaberecht zu nutzen, um Verfahren zu verschlanken. Zudem könnten Kommunen, da wo Personal fehle, um die Verfahren abzuwickeln, auf externe Experten wie Ingenieure und Architekten zurückgreifen. Ebenso könne eine interkommunale Zusammenarbeit hilfreich sein. Mehrere Gemeinden könnten Ausschreibungen gemeinsam durchführen oder eine zentrale Beschaffungsstelle schaffen.

Bei Peter Kalte, dem Geschäftsführer der Gütestelle Honorar und Vergaberecht in Mannheim, schlagen viele Fragen auf. „Kann ich die Pflicht zur Addition nicht einfach missachten?“, werde er etwa gefragt. „Da gebe ich Ihnen ein klares Nein“, sagte er. „Das nicht zu beachten, ist keine Lösung.“ Das werde spätestens vor der Vergabekammer klar.

Auch die Frage, was alles addiert werden muss, beschäftigt die Praktiker. „Der Geotechniker, der Gutachter, das Schadstoffgutachten – muss ich das alles addieren? Ein klares Ja. Es gibt keine Ausnahmeregelung mehr für Planungsleistungen – jetzt haben wir nur noch Dienstleistungen“, sagte Kalte.

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