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OB Peter Boch: „Die Bürger wollen Ergebnisse sehen“
Peter Boch : Ohne Disziplin funktioniert die Ausbildung im Ballett nicht, die sehr prägend für mich war. Disziplin und Leidenschaft braucht es auch im Polizeiberuf, im Personenschutz und als Oberbürgermeister. Als Polizist habe ich gelernt, mich auf unterschiedliche Menschen und Situationen einzulassen.
Im Pforzheimer Gemeinderat gibt es zehn Fraktionen und Gruppierungen. Wie organisieren Sie Mehrheiten?Mehr denn je ist Kompromissbereitschaft gefragt. Wenn ein Parlament, ein Gemeinderat, immer mehr Fraktionen bekommt, wird die Mehrheitsfindung in solchen Gremien extrem schwierig. Deswegen fand ich es großartig, dass unser letzter Haushalt mit einer deutlichen Zweidrittelmehrheit verabschiedet wurde.
Das Land und die Stadt wollten eine Erstaufnahmeeinrichtung, der Gemeinderat hat das 2023 abgelehnt. Hätte eine LEA Pforzheim nicht viele Vorteile gebracht?Momentan haben wir eine Zuweisung, die stur nach Quote stattfindet, die aber nicht die Gegebenheiten vor Ort berücksichtigt. Pforzheim ist eine Stadt mit über 140 Nationen, über 30 Prozent reinem Ausländeranteil über 58,5 Prozent Menschen mit Migrationshintergrund. Das muss man berücksichtigen. Als Oberbürgermeister muss ich aber Lösungen anbieten. Deshalb habe ich das Thema zur Diskussion gestellt, ein LEA-Privileg hätte uns geholfen, die eigenen Plätze für die Erst- und Anschlussunterbringung stark zu reduzieren. Für mich ist das Thema aber erledigt. Gleichzeitig habe ich beim Neujahrsempfang gesagt, dass ich keine Hallen mehr schließen werde. Die Menschen haben dafür kein Verständnis.
Warum haben Sie sich nicht über den Ratsbeschluss hinweggesetzt?Man muss eine Idee einbringen, aber dann auch aushalten, wenn sie abgelehnt wird. Einen Beschluss gegen den Willen vor Ort durchzudrücken, ist die schlechteste aller Varianten. Das hältst du auf Dauer in einer Gesellschaft nicht aus.
Wie gehen Sie mit der AfD im Rat um?Eine aktive Zusammenarbeit gibt es nicht. Die Beschlüsse kommen mit oder ohne Stimmen der AfD zustande. Wichtig ist, dass in einem Gremium mit so vielen unterschiedlichen Meinungen sachorientierte Politik im Vordergrund steht.
Probleme lösen ist das beste Rezept?Ich nehme ein Beispiel, das neu zu bauende Hauptbad , über das emotional diskutiert wurde. Die Bürger wollen Ergebnisse sehen. Hier wird nicht gefragt, wer wann zugestimmt hat. Entweder hat der Gemeinderat eine Entscheidung getroffen oder nicht. Die gibt es nun, es soll ein neues Bad gebaut werden.
Der Galeria-Standort wurde kürzlich geschlossen. Was kann die Stadt hier tun?Seitdem klar ist, dass der Standort geschlossen wird, suchen wir das Gespräch mit allen Beteiligten. Das Gebäude gehört einem internationalen Fonds. Dort erstmal die Interessenslagen herauszufinden, ist schwierig. Momentan haben zwei Investoren Interesse an dem Gebäude. Als Stadt haben wir die Lenkungsmechanismen im Bereich des Baurechts. Für uns ist ein Gesamtkonzept wichtig.
Wenn Sie drei Wünsche frei hätten, was sollte in das Gebäude rein?Ich hätte in den unteren Etagen gerne Handel, gerne Bekleidung. In den oberen Etagen sollte es Dienstleistungen geben, aber auch Wohnungen, denn eine Innenstadt braucht Menschen, die dort leben. Das Gebäude muss zudem aufgewertet werden. Wahrscheinlich werden Lichthöfe eingestanzt werden müssen und die Fassade muss neu gestaltet werden.
Zumal Pforzheim nicht übermäßig mit heller Architektur gesegnet ist.Die Auswirkungen der Zerstörung sind im Stadtbild noch sichtbar. Damals war das Ziel, den Leuten schnell Wohnraum anzubieten. Heute haben wir andere Möglichkeiten, wir wollen die Innenstadt erlebbar machen. Durch unsere Stadt fließen drei Flüsse! Gebäude müssen architektonisch ansprechend sein, damit die Leute in der Innenstadt flanieren.
Muss dann das ein oder andere Auto der Innenstadt fernbleiben?Die Frage, wie wir uns in Zukunft fortbewegen, wird spannend werden. Ein Elektroauto benötigt genauso einen Stellplatz wie ein Verbrenner. Wir verändern die Zerrennerstraße , eine Hauptverkehrsachse in der Innenstadt, komplett. Die Fahrspuren werden verengt, so dass Platz für den ÖPNV und das Fahrrad entsteht. Man merkt aber, dass ein überwiegender Anteil der Menschen immer noch mit dem Pkw in die Stadt fährt. Hier die richtigen Angebote zu machen, ist eine anspruchsvolle Aufgabe.
Die Schmuckindustrie in Pforzheim ist bekannt. Was ist von der Goldstadt übrig?Früher hatte wir fast 18 000 Beschäftigte in der Schmuckindustrie, jetzt sind es um die 1600, gleichwohl wird fast 60 Prozent des deutschen Schmucks hier produziert. Die Industrie hat den Wandel extrem gut vollzogen. Das Thema ist für uns als Goldstadt nach wie vor identitätsstiftend.
Sie haben drei Kinder. Wie kriegen Sie Beruf und Familie unter einen Hut?In ewiger Dankbarkeit an meine Frau. Ich versuche an den Wochenenden Zeit für die Familie zu finden, aber den Job des Oberbürgermeisters könnte man rund um die Uhr machen. Dass die Kinder aber im Büro im Rathaus sind, funktioniert nicht, das habe ich schnell gemerkt. Auf kurzen Besuch kommen sie aber gerne vorbei, das klappt sehr gut.
Das Gespräch führten Rafael Binkowski und Philipp Rudolf