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Engelbergtunnel

Ein stählernes Stützkorsett für den Kampf gegen den Anhydrit

An der A81 bei Leonberg befindet sich Baden-Württembergs längster und verkehrsreichster Autobahntunnel. Mehr als 120 000 Fahrzeuge passieren täglich den Engelbergbasistunnel in beide Richtungen. Derzeit wird hier auf engstem Raum und unter laufendem Verkehr saniert.

Direkt unter der Tunneldecke werden 25-Tonnen-schwere Stahlbetonträger befestigt.

Wolfgang Leja)

Leonberg . Der Alarmton ist ohrenbetäubend. Schritt für Schritt schiebt sich das eigens für die Montage von Deckenelementen entwickelte Baufahrzeug durch den Tunnel. Es hat einen dieser Kolosse aus Stahl und Beton geladen. Wie auf einer Hebebühne tanzen die Bauarbeiter um das 25 Tonnen schwere Konstrukt. Gleich werden sie es drehen und oben an der Decke des Tunnels einklinken.

„Über 60 dieser elf Meter langen Deckenelemente sollen einen Ring in der Röhre bilden, der die immensen Kräfte aus dem Berg aufnehmen soll. Jedes einzelne kann 1750 Tonnen Kraft aus dem Berg aufnehmen“, sagt Enrico Hinz, der als Projektleiter den Einbau für die Autobahn GmbH überwacht. „Jede Nacht werden zwei dieser 25 Tonnen schweren Elemente montiert“, sagt er.

In diesem Jahr wird der Engelbergtunnel 25 Jahre alt. Kein Alter für solch ein Bauwerk. Und mehr als ungewöhnlich, dass er jetzt bereits saniert werden muss. „Das liegt am Anhydrit“, erklärt Christine Baur-Fewson, die Direktorin der Autobahn GmbH Niederlassung Südwest. Der Name Anhydrit leite sich von den griechischen Wörtern „an“ und „hydor“ ab, was „ohne Wasser“ bedeute, erklärt sie. Denn Anhydrit enthält in seiner chemischen Struktur im Gegensatz zu Gips kein Wasser. Doch kommt Wasser dazu, quillt das in reiner Form durchsichtige und farblose Mineral und kann immensen Druck aufbauen. „Das alles hat man beim Bau des Tunnels Ende der 90er-Jahre schon gewusst“, sagt Baur-Fewson. Doch die drei Meter dicken Betonwände hielten dem Druck nicht stand. Bei der regelmäßigen Bauwerksprüfung habe man Risse festgestellt, erklärt Projektleiter Hinz. Im Laufe der Zeit entstanden auf einer Strecke von rund 180 Metern in der Weströhre und 170 Metern in der Oströhre gravierende Schäden, so der 46 Jahre alt Bauingenieur. Eine Sanierung war unabwendbar. Viele kritische Stimmen hatten einstmals davor gewarnt.

Die Ingenieure kamen zu dem Schluss, die Innenschale mit massiven Stahlträgern an der Decke und den Seiten zu verstärken. Ein kostspieliges Stützkorsett. Zumal bei der Gelegenheit beschlossen wurde, die komplette Tunnelbetriebstechnik zu sanieren. Den Bund kostet das insgesamt gut 130 Millionen Euro.

Keine Sperrung – der Verkehr sollte weiterhin fließen

Die Arbeiten begannen im September 2019 mit der Verstärkung der Fahrbahnplatte beider Tunnelröhren. „Die große Herausforderung ist, die Ertüchtigungsmaßnahmen unter Verkehr durchzuführen“, sagt Baur-Fewson. „Wir vollbringen hier einen regelrechten Spagat: Die Belastung für die Verkehrsteilnehmer und Anwohner einerseits auf ein Minimum zu reduzieren und andererseits die Maßnahmen so schnell und reibungslos wie möglich durchzuführen unter ständiger Gewährleistung der hundertprozentigen Tunnelsicherheit.“

Zwar hätten die Baumaßnahmen auch in kürzerer Zeit durchgeführt werden können, doch dann hätte man eine der beiden Röhren komplett sperren müssen. Mit täglichen Dauerstaus als Folge. Die Verantwortlichen entschieden sich, zwei Jahre länger zu bauen, aber mit permanent drei Fahrspuren pro Richtung.

Sieben Bauphasen und eine neue Sicherheits- und Betriebstechnik

Seit Januar 2021 hat die Autobahn GmbH des Bundes die bauliche und betriebstechnische Ertüchtigung des Engelbergbasistunnels vom Land Baden-Württemberg übernommen. Mit einem ausgeklügelten Bau- und Verkehrskonzept wollen die Experten sicherstellen, dass die Auswirkungen auf den Verkehr so minimal wie möglich gehalten werden. Dazu gehört auch, dass die Bauarbeiten rund um die Uhr, an sieben Tagen in der Woche stattfinden, sodass erforderliche Sperrungen nur nachts erfolgen. Doch ganz ohne geht es nicht. Täglich wird eine Tunnelröhre zwischen 22 und fünf Uhr komplett gesperrt.

Das ist die Stunde von Marcus Meiler. Der Ingenieur leitet das Projekt für die Baresel Tunnelbau Gesellschaft aus Leinfelden-Echterdingen, eine der drei Firmen der Arbeitsgemeinschaft, die das Vorhaben realisieren. „Baresel macht hier alles, was mit Stahl und Beton zu tun“, sagt er. Täglich ab 22 Uhr ist er mit seinem 20-köpfigen Team zur Stelle. „Meine Leute sind zehn Tage da und haben dann vier Tage Pause“, sagt er.

Nachts, bei Kälte. Ein Job für echte Kerle. Meiler bleibt entspannt: „Das sind keine extremen Bedingungen für uns“, winkt er ab. „Das hier ist ja kein Tunnelbau, das ist nur Ingenieurbau“, sagt er. „Meine Leute kommen alle aus dem Tunnelbau. Dort sind die Bedingungen viel härter: oft schlechte Luft, wenig Licht und viel Schmutz. Der Engelbergtunnel ist dagegen eine saubere Geschichte“, findet er.

Marcus Meiler ist ein alter Hase. Der 57-Jährige arbeitete weltweit auf Baustellen etwa in Nepal, Schottland, Kanada und Marokko. „Ich war viel unterwegs. Der Tunnel ist nie vor der Haustür. Das ist unser Geschäft.“ Nur am Wochenende ist er zu Hause in der Nähe von Ingolstadt. „Unter der Woche wohne ich hier.“

Projektleiter Hinz ist auf dem Weg ins Baubüro guter Dinge. Die Sanierung werde glatt laufen, ist er optimistisch. Und die Kosten? Könnten die nicht aus dem Ruder laufen, wo es doch am Bau gewaltige Kostensteigerungen gab?

Der Bauingenieur winkt ab. „Wir haben mit der Arge einen Festpreis vereinbart. Preissteigerung müssen die Firmen auffangen.“ Auf der Kostenseite rechnet Hinz also nicht mit Überraschungen. „Wir gehen davon aus, dass Ende 2025 alle Maßnahmen abgeschlossen sind.“ Und der Anhydrit? Ist die Gefahr wirklich gebannt? „Die nächsten hundert Jahre muss die Konstruktion schon halten“, sagt der Ingenieur.

Tunnel war einst Teil der Reichsautobahn

Der erste Engelbergtunnel wurde am 5. November 1938 nach einer Bauzeit von drei Jahren dem Verkehr übergeben. Er war Teil der Reichsautobahn-Strecke 39. Mit einer Länge von 318 Metern und zwei Röhren war er der zweite Autobahntunnel Deutschlands. Während des Zweiten Weltkriegs diente er ab 1944 als Fabrik für den Flugzeugbauer Messerschmitt AG. Damals wurde eine Vielzahl von Rüstungs-Produktionsanlagen unter die Erdoberfläche verlagert. Kurz vor Kriegsende wurden die Maschinen demontiert und die Röhren gesprengt.

Von 1946 bis 1950 wurde die erste Röhre wiederhergestellt, 1960/1961 die zweite. Der heutige Engelbergbasistunnel ist das Nachfolgebauwerk des alten Engelbergtunnels aus dem Jahr 1938. Der von 1995 – 1999 erbaute neue Basistunnel liegt etwa 60 Meter unter dem alten Scheiteltunnel.

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