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„Es fehlt an politischer Führung, die Chance wurde nicht genutzt“
Andras Hofer : Ich fand die Vorschläge nicht so überzeugend (lacht). Das Rosensteinquartier wird irgendwann begonnen, wenn die IBA vorbei ist, der Masterplan Neckar wird seit Jahrzehnten diskutiert. Den Wilhelmsplatz in Bad Cannstatt hat uns der Gemeinderat in die Krippe gelegt. Doch wir haben gesehen, dass dort im Zeitrahmen der IBA nichts möglich ist.
Also keine Visionen für Stuttgart?Andreas Hofer: Die IBA ist ein regionales Projekt. Sich für den Stuttgarter Schlossplatz zu verkämpfen, ist nicht Aufgabe einer IBA. Wir konzentrieren uns wie andere Bauausstellungen eher auf bisher unterbelichtete Orte, wie Kreuzberg in Berlin oder Wilhelmsburg in Hamburg. Das sind die spannende Felder.
Die Welt hat 1927 auf Stuttgart und die Weißenhof-Siedlung geblickt. Worauf soll die Welt 100 Jahre später blicken?Andreas Hofer: Inhaltlich versuchen wir eher das Gegenteil des Weißenhofs. Die Moderne trennte als Antwort auf die Industrialisierung die Funktionen, wir wollen sie wieder zusammenbringen. Der Weissenhof inspiriert uns aber auch 100 Jahre später noch mit seiner Schlagkraft, dem Mut und seiner Entschiedenheit. Karin Lang: Die Weißenhof-Siedlung wurde innerhalb eines Jahres gebaut, mit eigenem Betonwerk auf dem Areal, und teilweise wurden baurechtliche Fragen erst nach Fertigstellung geklärt. An diesen Pioniergeist sollten wir heute wieder anknüpfen.
Wie sehen Sie Stuttgart und die Region architektonisch aufgestellt. Viele sagen, sie sei disfunktional …Andreas Hofer: Ich komme aus Zürich, das etwa gleich groß ist wie Stuttgart ist. Natürlich hatten wir die Zerstörung im Krieg und die folgenden Verkehrsplanungen nicht. In den letzten Jahrzehnten war die Stadtentwicklung durch Deindustrialisierungsprozesse geprägt. Hier musste Stadt neu erfunden werden. Diesen Druck gab es in Stuttgart nicht.
Dennoch ist Stuttgart eine Stadt, in der die Bauwirtschaft prägend ist …Unbedingt, Stuttgart ist eine Kapitale des Ingenieurwesens und der Architektur. Auch des Konflikts, denken Sie an den Streit zwischen der Moderne und der konservativen Schule um Bonatz und an die Kontroverse um die Staatsgalerie von James Stirling.wie der Staatsgalerie mit James Sterling, dazu der klassizistische Gegenpol wie der Bonatzbau. Und natürlich Lederer-Ragnarsdóttir- Oei, eines der besten Architekturbüros weltweit, dem eine Synthese beier Pole gelungen ist. Es gibt viele viele kluge Leute, die aber nicht zum Zug kommen.
Woran liegt das?Karin Lang: Ich bin gebürtige Stuttgarterin, habe Architektur studiert, war sehr lange in der Bauverlagsbranche als Geschäftsführerin tätig. Die IBA ist eine spannende Herausforderung. Wir wussten, dass es kein Sonntagsspaziergang wird. Zu Beginn mussten wir Steine aus dem Weg räumen, inzwischen sind es Felsbrocken. Was natürlich auch mit den multiplen Krisen zu tun hat. Manchmal mangelt es aber auch an Mut.
Wo denn zum Beispiel?Karin Lang : Man kann angesichts der Krisen in Schockstarre verfallen, oder innovativ neue Wege gehen und in neue Geschäftsmodelle investieren.
Müsste diese Stadt angesichts der großartigen Architekten, Ingenieure und Baubüros nicht ganz anders aussehen?Andreas Hofer: Das hat einen positiven Grund. Man könnte es Wohlstandsverwahrlosung nennen. Alle europäischen Städte, von Paris bis Kopenhagen, hatten schmerzhafte Transformationsprozesse zu bewältigen, weil Industriebrachen durch Deindustrialisierung entstanden sind.
Während hier die Automobilwirtschaft erfolgreich und stilprägend ist?Andreas Hofer: Ja natürlich. Aber man ist in einer Geiselhaft des Automobils. Der Hafen in Stuttgart und das Mercedeswerk in Untertürkheim sind eben in Betrieb, es gibt keine Brachen wie die Hamburger Hafencity, die man transformieren kann. Dazu kommt, dass es nur eine kleine Stadtlage gibt, und man schnell in ländlich geprägte Vororte ausschweift.
Also, wo liegen denn die Felsbrocken, die Ihnen im Weg stehen? Wer blockiert?Andreas Hofer: An den aktuellen Krisen kann es nicht liegen. Die Probleme diskutiert man seit 30 Jahren. Es gibt eine Unsicherheit, mit architektonischen und städtebaulichen Fragen umzugehen.Stuttgart 21 als gesellschaftliches Drama, das ein Sensibilität für Stadtentwicklung produziert hat. Gleichzeitig sagen viele Bürger: „Um Himmels Willen, lasst uns jetzt mit Stadtumbau in Ruhe!“
Liegt es auch an der schwäbischen Mentalität, sparsames Understatement?Andreas Hofer: Ich glaube grundsätzlich nicht an Mentalitäten, sondern an Lebensumstände. Das Einfamilienhaus war wirtschaftlich erschwinglich und wurde gebaut. Karin Lang: Ich persönlich glaube an Mentalitäten. Ich war lange Zeit in Berlin und München. Dort habe ich eine höhere Eloquenz erlebt und mehr Mut, Dinge auszuprobieren. In Stuttgart und der Region erkennt man manche Chancen zu spät. Obwohl wir hier große, weltweit bekannte Unternehmen haben. Aber auch bei diesen gibt es viel Understatement.
Im Stuttgarter Schloss sitzen Beamte, versteckt man seine Juwelen?Karin Lang: So etwas wäre in München oder in Berlin vollkommen undenkbar. Das Marketing habe ich dort auf eine völlig andere Art und Weise erlebt. Vielleicht ist es also doch eine Mentalitätsfrage?
Könnte der IBA der Game Changer sein, der die Mentalität ändert?Karin Lang: Eine Bauausstellung kann niemals die Mentalität ändern. Wir wollen aber mit Beispielen Mut machen, wie das Leben, Arbeiten und Wohnen in gemischten Quartieren in der Zukunft aussehen könnte. Die Chance, eine IBA mit internationaler Strahlkraft zu Gast zu haben, wurde nicht überall ausreichend erkannt. Andreas Hofer: In zehn Jahren kann man punktuell Dinge zeigen, die später Strahlkraft entfalten. Das kann man jetzt noch nicht abschätzen.
Es gibt aber die Weißenhofsiedlung als Leuchtturm, die wenig vermarktet wird.Karin Lang : Die Frage ist, wie man mit diesem Denkmal umgeht. Es besuchen jedes Jahr 30 000 Menschen, aber es gibt bis heute kein Besucherzentrum, in dem man sich orientieren kann, oder ein Café, einen fixen Anlaufpunkt für die Besucher. Andras Hofer: Es wurde bis weit in die 80er Jahre sogar noch darüber diskutiert, ob man das Ensemble nicht doch besser abreißt.
Fehlt Bewusstsein für Bausubstanz? In Stuttgart wurden die meisten historische Gebäude nach 1945 zerstört.Andreas Hofer: Die Diskussion über Nachhaltigkeit, Wertschöpfung und Wertigkeit hat erst vor einigen Jahren begonnen. Bis dahin gab es immer noch die Mentalität: Wir sind eigentlich im Wiederaufbau, jetzt wollen wir schnell günstig und zweckmäßig aufbauen, das Alte kann weg.
Fehlt es an politischer Führung?Andreas Hofer: Aus unserer Perspektive ja. Viele hatten gedacht, die IBA könnte ein Anlass sein, über den eigenen Schatten zu springen. Das hat nur in kleineren Kommunen funktioniert, wie etwa Backnang, Schorndorf oder Salach, weil die IBA hier die Städte und Gemeinden bei Großprojekten unterstützen konnte. Karin Lang: Wir sind daher sehr froh, dass wir als IBA in der gesamten Metropolregion Stuttgart arbeiten. Andreas Hofer: Die Landeshauptstadt mit ihrer großen Verwaltung braucht die IBA nicht für Alltagsprojekte. Aber sie hätte die Chance nutzen können, die verhakten Prozesse zu entwirren. Gemeinsam Vollgas zu geben, das ist nicht passiert.
Fehlt Ihnen auch eine politische Vision des Stuttgarter Oberbürgermeisters?Andreas Hofer: Ja gut, ich erwarte von einem Oberbürgermeister keine Stadtentwicklungs-Visionen, dafür gibt es ja eine IBA. Aber er hätte auf mich hören können (lacht) . Einfach Dinge ermöglichen und nicht verhindern. Das hätte mir schon gereicht. Ich hatte zum Weißenhof viele Ideen, wir haben in zehn Workshops drei Jahre diskutiert. Am Ende hieß es nur: Was wollt ihr da oben? Denkmalschutz, da geht nichts. Das war das Ende jeder Diskussion.
Das hat Sie richtig geärgert?Andreas Hofer: Es ist zu einfach sich hinter Normen und Regeln zu verstecken. Das fand ich zu billig, eine wahnsinnig schwache Position, die Verwaltungen natürlich nur allzu gerne einnehmen. Die Haltung „Das haben wir schon immer so gemacht“, verhindert hierzulande allzu vieles. Karin Lang: Gemeinsam geht es besser voran. Beim Besucherzentrum in der Weißenhof-Siedlung geht es voran, so dass wir 2027 die Menschen an diesem Ort willkommen heißen können. Und hier wollen wir zeigen, was dann in der Region Stuttgart realisiert wurde. Wir gehen von 40 bis 45 Projekten aus.
Was bleibt von der IBA 27 bestehen, worauf blickt man in 100 Jahren?Karin Lang: Es gibt großartige Beispiele für gemischte Quartiere. Wie funktioniert die produktive Stadt, das Zusammenleben? Den Themen, denen wir uns stellen müssen, sind doch Werthaltigkeit, der ressourcenschonende Umgang mit Materialien. Wir müssen keine Leuchttürme bauen.
Andreas Hofer: Du hast dich über den neusten Immobilienbrief geärgert, dort sieht die versammelte Immobilien-Intelligenz uns als Traumtänzer. Das ist die höchste Adelung, die wir bekommen können. (lacht) Offensichtlich arbeiten wir an Projekten, die die Fantasie der Provinziellen hier deutlich übersteigt.
Was ist denn Ihre Vision?
Andreas Hofer: Im Ernst: Die produktive Stadt, das ist ein großes Thema. Nach 100 Jahren fallen Arbeiten und Leben nicht mehr auseinander. Hier kann die Region Stuttgart mit ihrer produktiven Kraft wegweisend für die Stadtentwicklung der Zukunft sein.
Das Gespräch führten Rafael Binkowski und Peter Schwab
Der Intendant und die Geschäftsführerin
Andreas Hofer ist in Luzern geboren. Er studierte Architektur an der Schweizerischen Technischen Hochschule in Zürich. 2018 wurde er zum Direktor IBA 27 gewählt. In Zürich war er Partner im Planungs- und Architekturbüro Archipel. Er war als Berater und Projektentwickler für genossenschaftliche Wohnprojekte wie Kraftwerk1 tätig.
Karin Lang ist seit 2020 bei der IBA. Sie ist 1961 in Stuttgart geboren. Nach ihrem Architekturstudium in München ging sie zum WEKA Baufachverlag, wo sie Führungspositionen innehatte. Sie leitete den Fachverlag Ernst & Sohn und war Geschäftsführerin der Detail Business Information in München.