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Streuobstwiesen in Neidlingen

Streit um 30 Häuser oder 19 Obstbäume

Der Naturschutzbund hat vor dem Verwaltungsgerichtshof Einspruch gegen die Rodung von 19 Bäumen auf einer Streuobstwiese in Neidlingen gestellt. Die Gemeinde wollte dort im beschleunigten Verfahren nach Paragraf 13b Baugesetzbuch 30 Häuser bauen. Der Fall könnte Präzedenzwirkung im Umgang mit dem rechtswidrigen Paragrafen haben.

Neidlingens Bürgermeister Jürgen Ebler vor einem von 19 Streuobstbäumen. Auf dieser Wiese sollen 30 Häuser entstehen, doch der Naturschutzbund will die Bäume erhalten.

Ebler)

Neidlingen. Jürgen Ebler, parteiloser Bürgermeister von Neidlingen, ist wütend. Eigentlich waren für das Baugebiet Schießhütte alle Voraussetzungen da. Seit Jahren plant die Kommune auf 1300 Quadratmetern bis zu 30 Einfamilienhäuser, wohlgemerkt auf einer Streuobstwiese. Die Gemeinde hat den Bebauungsplan im beschleunigten Verfahren nach Paragraf 13b Baugesetzbuch (BauGB) im Jahr 2022 beschlossen.

Das Landratsamt Esslingen hat im März die Rodung der 19 Streuobstbäume genehmigt. Zuvor gab es eine umfangreiche naturschutzrechtliche Prüfung, mehr als es für das beschleunigte Bauen im Außenbereich notwendig ist, betont Ebler. Zudem wurden Ausgleichsflächen geschaffen. Denn der Paragraf 33a Naturschutzgesetz stellt Streuobstbestände ab 1500 Quadratmetern unter einen besonderen Schutz. Sie dürfen seit 2021 nicht bebaut werden, wenn der Erhalt des Bestands „im überwiegenden öffentlichen Interesse“ liegt.

Auf der Neidlinger Wiese stehen auf rund 4049 Quadratmetern 19 Bäume, bei denen es sich allerdings, so das Gutachten im Auftrag der Gemeinde, nicht um einen hochwertigen Streuobstbestand handelt.

Umweltverband moniert auch das beschleunigte Bauen

Insgesamt gebe es auf der Gemarkung mehr als 20 000 Streuobstbäume. „Wir haben 20 000 Bäume gegen 19“, bringt Ebler seine Sicht auf den Punkt. Mit dem neuen Wohngebiet will die rund 2000-Einwohner-Gemeinde alteingesessene Familien im Ort halten. Zudem sei die Nachfrage aus den Ballungsräumen Stuttgart und Esslingen hoch. Die Möglichkeiten für die Nachverdichtung seien, so Ebler, ausgeschöpft, alternative Fläche gebe es keine, weil die Kommune umgeben sei von Streuobstwiesen, Vogel- und Naturschutzgebieten. Zuletzt sei 2009 ein Wohngebiet mit 13 Plätzen entstanden.

Doch gegen das Go des Landratsamts zur Rodung der Streuobstbäume hat im Mai 2022 der Landesverband des Naturschutzbunds (Nabu) Widerspruch eingelegt – gegen alle Umwandlungsgenehmigungen des Landratsamts, auch die in anderen Kreis-Kommunen. Daraufhin hat Neidlingen im Februar 2023 einen Antrag auf Sofortvollzug gestellt.

Im August hat der Nabu beim Verwaltungsgericht (VG) Stuttgart dagegen einstweiligen Rechtsschutz beantragt. Darin monierte der Umweltverband die Anwendung des beschleunigten Bauens nach dem zwischenzeitlich gekippten Paragrafen 13b. Diesen Paragrafen hat das Bundesverwaltungsgericht im Juli für ungültig erklärt, weil das Bauen im Außenbereich ohne Umweltprüfung nicht mit Unionsrecht vereinbar sei.

Nabu will Rügefrist für Paragraf 13b nun vor dem VGH klären

Im Fall Neidlingen hatte das VG Stuttgart Ende Oktober die Genehmigung für die Rodung der 19 Streuobstbäume bestätigt: Das Interesse an der Schaffung des Wohnraums überwiege das des Baumerhalts. Was den Paragrafen 13b angeht, sei die Frist nach Paragraf 215 Baugesetzbuch abgelaufen, in der der Bebauungsplan hätte gerügt werden können.

Doch die Argumente der Stuttgarter Verwaltungsrichter lässt der Rechtsanwalt des Verbands Dirk Teßmer nicht gelten. Der Nabu will nun im Eilverfahren die Entscheidung vor dem VGH prüfen lassen. Die Rügefrist beziehe sich nur auf eine fehlerhafte Anwendung von Vorschriften des BauGB, so Teßmer. Das sei hier aber gerade nicht der Fall, da die Gemeinde ja eine Vorschrift des BauGB angewandt hatte. Der Mangel, dass Vorschriften des BauGB gegen Europarecht verstoßen, unterliegen der gesetzlichen Rügefrist nicht. Zudem konnte der Nabu die im Juli höchstrichterlich geurteilte Feststellung der Rechtslage nicht bereits im April geltend machen. Bis dahin galt ja noch ein gegenteiliges Rechtsverständnis.

Laut Teßmer kann der Fall Signalwirkung für Hunderte andere Gemeinden haben, die nach Paragraf 13b geplant hatten. Ob der VGH das im Eilverfahren entscheidet, werde sich zeigen müssen. Das vom Bundestag angestrebte Heilverfahren greife frühestens im Laufe des Jahre 2024.

Bürgermeister Ebler wird noch Geduld brauchen. Fast zeitgleich mit der Beschwerde vor dem VGH ging ein Schreiben bei der Verwaltung ein, wonach das Regierungspräsidium Stuttgart die Genehmigung des Landratsamts prüft. Dieses Verfahren ruht bis zur Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs.

Heilverfahren für gekippten Paragrafen 13b auf dem Weg

Der Bauausschuss hat vergangene Woche dem Deutschen Bundestag vorgeschlagen, die Heilungsvorschrift als Nachfolgeregelung des Paragraf 13b Baugesetzbuch einzuführen.

Der Gemeindetag begrüßt das: „Es ist gut, dass der Bundesgesetzgeber hier die Heilungsvorschrift auf den Weg bringt, die notwendig ist, um zahlreiche Städte und Gemeinden, insbesondere aber Familien und Bauwillige vor einer ‚mission impossible‘ beim Wohnungsbau zu bewahren. Diese Änderung muss nun schnell greifen und in die Verwaltungspraxis eingeführt werden“, so Präsident Steffen Jäger.

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