Themen des Artikels

Um Themen abonnieren und Artikel speichern zu können, benötigen Sie ein Staatsanzeiger-Abonnement.Meine Account-Präferenzen

Interview

EnBW-Chef Schell: „Mehr Tempo für die Energiewende“

Seit rund einem Jahr führt Andreas Schell den drittgrößten Energiekonzern Deutschlands. Die EnBW investiert kräftig in die Energiewende. Von 2021 bis 2025 allein vier Milliarden Euro. Schell fordert dennoch mehr Tempo - und einen gesellschaftlichen Schulterschluss für den konsequenten Ausbau der Erneuerbaren.

„Über 80 Prozent unserer Investitionen finden hier in der Region und in Deutschland statt“, sagt Andreas Schell. Seit knapp einem Jahr ist der 54-jährige Maschinenbaueringenieur Vorstandschef der EnBW in Karlsruhe.

EnBW)
Staatsanzeiger: Herr Schell, Sie sind Maschinenbauer, was ist das Besondere, einen Energiekonzern zu führen?

Andreas Schell: Bereits in meinen vorherigen Positionen habe ich mich stark um die Themen Nachhaltigkeit und Energieerzeugung gekümmert. Es war eine einmalige Chance, in die Energiewirtschaft zu wechseln, und das im Krisenjahr 2022 und zu einem Zeitpunkt, wo wir in Deutschland vor dem größten Transformationsprojekt unserer Zeit stehen, der Energiewende. Es ist für mich die Möglichkeit, ein erfolgreiches und gut aufgestelltes Unternehmen zu führen und die Energiewende mitzugestalten.

Was reizt Sie an der Energiewende?

Die Energiewandlung war immer schon meine Leidenschaft. Ich habe meine Karriere in Stuttgart bei Daimler angefangen und habe im Bereich alternative Fahrzeugantriebe an Elektrofahrzeugen und der Brennstoffzelle gearbeitet. Danach war ich in den USA bei einem Zulieferer in der Luftfahrtbranche tätig, wo ich mich mit der elektrischen Energieversorgung von Flugzeugen beschäftigte. Was mich bewogen hat, in die Energiewirtschaft einzusteigen, hat auch mit meinen beiden Söhnen und letztlich einer Generationenfrage zu tun: Das, was wir heute tun oder nicht tun, entscheidet über das Wohl der nächsten Generationen. Das sollten wir bei der ganzen Diskussion, egal wie schwierig und wie komplex die Energiewende ist, nicht außer Acht lassen.

Die Wirtschaft klagt über die höchsten Energiepreise weltweit. Können Sie da Hoffnung machen, dass sie wieder auf ein tragbares Niveau sinken?

Ich habe für diese Sorgen Verständnis. Ich habe den Großteil meiner Karriere in Unternehmen verbracht, in denen Energiepreise als Kosten eine große Rolle spielten. Man muss auch ehrlich sagen, dass die Energiepreise auch früher schon ein Kostenblock in der Bilanz waren. Jetzt sind sie durch die Krise im Jahr 2022 weiter gestiegen. Statt über vage Hoffnungen zu sprechen, möchte ich auf das tägliche Geschehen an der Strombörse verweisen: Wenn wir dort ein Überangebot an Wind- und Solarstrom haben, dann sehen wir, dass die Preise entsprechend niedrig sind. Das spricht dafür, dass wir den Weg jetzt entschlossen weitergehen müssen – den konsequenten Ausbau der Erneuerbaren Energien.

Das heißt, mehr Windräder, mehr Photovoltaik damit die Preise sinken?

Um die Energiewende voranzubringen, müssen wir sechs Top-Themen angehen. Wir müssen die erneuerbaren Energien ausbauen und zugleich gas- und später wasserstoffgestützte Kraftwerke errichten. Mit dem Ausbau der Erneuerbaren brauchen wir ein Backup-System. Denn wir brauchen auch dann Leistung, wenn Wind und Sonne keinen nennenswerten Beitrag liefern. Wir müssen die großen Stromautobahnen, ausbauen – auch damit wir Strom besser innerhalb Europas verteilt bekommen. Und wir müssen an die Verteilnetze ran, denn dort findet praktisch der gesamte Ausbau der Erneuerbaren statt. Und fünfter Punkt: Wir müssen die Schnittstelle zu unseren 5,5 Millionen Kundinnen und Kunden digitalisieren und intelligente Messsysteme installieren. Wir müssen in der Lage sein, große Lasten zeitabhängig zu steuern, etwa um Elektrofahrzeuge dann zu laden, wenn es ein Überangebot an erneuerbarem Strom gibt und die Preise niedrig sind. Das wird Menschen motivieren, ihren Verbrauch am Angebot an Energie auszurichten. Das sechste Top-Thema ist die Transformation der Erdgasinfrastruktur hin zu Wasserstoff.

Ist die EnBW so aufgestellt, dass sie den Finanzbedarf dafür stemmen kann?

Grundsätzlich stehen uns wie jedem Unternehmen drei Wege der Finanzierung offen: Eigene Erträge, Finanzpartnerschaften und der Zugang zum Kapitalmarkt. Grüne Anleihen etwa sind für uns ein wichtiges Thema. Aber um an sie heranzukommen, mussten wir uns als Unternehmen klar positionieren. Aus dem Grund haben wir Anfang des Jahres den Plan zum Ausstieg aus der Kohleverstromung bis 2028 bekanntgegeben. Davor wurden wir von manchen Kapitalgebern mit unserem hohen Anteil an Kohle kritisch betrachtet. Jetzt gibt es ein Bekenntnis zur Klimaneutralität bis 2035 – unter der klaren Prämisse, dass die oben genannten Themen bis dahin abgearbeitet sind.

Sie können sich also vorstellen, auch auf dem Anleihemarkt stärker zu agieren?

Ja, im Rahmen dessen, was wir uns an Fremdkapital leisten können. Wir müssen aber auch als Nation über neue Wege nachdenken, wie wir die Energiewende finanzieren. Es gibt Schätzungen von Beratungsgesellschaften, dass sie rund 800 Milliarden Euro bis 2030 kosten wird. Es muss auf jeden Fall unser Anspruch sein, möglichst viel davon durch privates Kapital zu adressieren. Dazu brauchen wir Rahmenbedingungen, die es Kapitalgebern ermöglichen, in die Energiewende zu investieren. Es muss für Investoren klar sein, dass ihr Investment sicher ist.

Manche werden schon nervös wie etwa Stefan Wolf, der Chef des Arbeitgeberverbands Gesamtmetall, der den Grünen im Land ein Scheitern der Energiepolitik vorwirft. Es gebe zu wenig Windkraftanlagen und regenerative Energien. Und zugleich heiße es, man müsse raus aus der Kohle – ohne Ersatz zu haben. Ist diese Kritik berechtigt?

Eine Entweder-oder-Mentalität, die wir oft in unserer Gesellschaft haben, führt an vielen Stellen zu einer Polarisierung und auch zu einer unnötigen Emotionalisierung von Themen. Fakt ist, dass wir beim Ausbau der Erneuerbaren vorankommen. Ist das schnell genug? Nein, wir brauchen mehr Beschleunigung. Es dauert zum Beispiel nach wie vor sechs bis sieben Jahre, bis wir einen Onshore-Windpark von der Projektskizze bis zur Umsetzung bekommen. Das ist für die viertgrößte Wirtschaftsnation der Welt nicht das Tempo, das wir anstreben sollten.

Das besagte Deutschland-Tempo ist noch nicht erreicht?

Wir sehen Beispiele, dass es geht. Wir haben zum Beispiel einen Solar-Park in Emmingen-Liptingen binnen 18 bis 19 Monaten von der Idee bis zum fertigen Park fertig angeschlossen. Das läuft dann, wenn die Genehmigungsbehörden, die Politik, die Bevölkerung und die beteiligten Unternehmen an einem Strang ziehen. Das müssen wir hinkommen.

Manche halten den Atomausstieg für einen Fehler. Sollten wir die alten Meiler nicht wieder hochfahren oder gar neue modernere bauen?

Das ist eine völlig fehlgeleitete Diskussion. Wir haben vor elf Jahren durch ein demokratisch legitimiertes und gewähltes Parlament den Beschluss gefasst, aus der Kernenergie in Deutschland auszusteigen. Wir haben dann für die Umsetzung einen mehrjährigen Masterplan auf den Weg gebracht und umgesetzt. Es war schon viel Engagement notwendig, um den Streckbetrieb, also die Verlängerung der Laufzeit bis zum April dieses Jahres, möglich zu machen. Danach sind die Betriebsgenehmigungen erloschen und der Rückbau geht voran. Jetzt eine Diskussion darüber zu führen, das alles umzukehren oder gar neue Anlagen zu bauen, ist nicht sinnvoll. Ich wünsche mir, dass alle gesellschaftlichen Gruppen uns bei der Energiewende unterstützen und alle an einem Strang ziehen.

Die EnBW will bis 2028 aus der Kohle aussteigen. Werner Götz von Transnet BW, fordert 10 bis 15 neue größere Gas-Kraftwerke im Land, um dafür neue Backup-Kapazitäten zu schaffen. Finden sich dafür überhaupt Investoren?

Diese Kraftwerke kommen nur dann zum Einsatz, wenn die Erneuerbaren nicht genügend Elektrizität produzieren. Sie dienen im Sinne einer gesicherten Leistung als Backup. Das heißt, es geht um die Frage der Kapazitätsbereitstellung. Und da stellt sich aus der Sicht von Investoren und auch der EnBW die Frage, wann bekomme ich das Investment dafür zurück. Das kann ich durch den Markt lösen lassen. Dann würden die Strompreise in dem Moment, wo diese Kraftwerke zum Einsatz kommen, enorm steigen. Das wird kein Mensch zulassen. Daher müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Bereithaltung dieser Kraftwerke, dieser Kapazitäten vergüten. Diese Diskussion wird derzeit mit der Bundesregierung und dem Bundeswirtschaftsministerium geführt. Das wird ein sportliches Programm.

Das Gespräch führte Wolfgang Leja

Nutzen Sie die Vorteile unseres

Premium-Abos. Lesen Sie alle Artikel aus Print und Online für

0 € 4 Wochen / danach 189 € jährlich Nachrichten aus Wirtschaft, Politik und Verwaltung in Baden-Württemberg Jetzt abonnieren

Lesen Sie auch