Wie kam es zum geplanten Machtwechsel in der CDU?
Stuttgart. Am Ende hat Strobl Freund und Feind überrascht. Seit Wochen wurde gerungen. Am Mittwochabend haben nach den CDU-Führungsgremien auch die Kreisvorsitzenden ihr Plazet gegeben. Zum gemeinsamen Auftritt von Thomas Strobl (63) und seinem von ihm selbst ausgeguckten Nachfolger Manuel Hagel (35) danach durften alle anwesenden Landesvorstandsmitglieder mit auf die Bilder, um die neue Geschlossenheit zu unterstreichen. Es gehe, so der designierte Parteichef, um „zusammenführen und zusammen führen“.
Die Südwest-CDU wagt ein Experiment, um bei den nächsten Landtagswahlen wieder den Ministerpräsidenten zu stellen. „Wir betreten Neuland“, sagt der künftig besonders starke Mann, der beim 18.November auf dem Parteitag gewählt werden soll und wird. Noch nie in der Geschichte der Südwest-CDU waren Landes- und Fraktionsvorsitz in einer Hand.
Bezirksfürsten sehen Hagel schon als Spitzenkandidadt
Außerdem wird der Ehinger mit dem markanten Schwäbisch von Parteifreunden wie vom nordbadischen Bezirksvorsitzenden Moritz Oppelt schon zweieinhalb Jahre vor der nächsten Landtagswahl öffentlich als Spitzenkandidat genannt. Konkret äußern will sich Bankbetriebswirt dazu nicht, einen Standardsatz hat er sich aber zurechtgelegt: „Der Landesvorsitzende hat den ersten Zugriff.“
Von den innerparteilichen Debatten, die in den vergangenen Wochen über den Stabwechsel geführt wurden, werden bald viele Varianten kursieren. Die beiden Hauptpersonen versuchen, den Eindruck von hundertprozentigem Einvernehmen zu vermitteln. „Alles hat seine Zeit“, sagt Strobl und vergisst nicht, wie bei allen Auftritten in diesen Tagen, auf seine 16 Jahre an der Spitze der Partei hinzuweisen, sechs als Generalsekretär, zwölf als Landesvorsitzender.
Die lange Durststrecke der Union
Hagel wiederum setzt Akzente mit der Erwähnung der Landtagswahl von 2006, als die absolute Mehrheit nur um ein einziges Mandat verfehlt wurde, oder auf den Gang in die Opposition 2011, obwohl die Partei mit 39 Prozent auf Platz eins gelandet war. Ganz so geschmeidig, wie der Auftritt vor den Medien daherkommen soll nach dem Votum der Kreisvorsitzenden ganz ohne Gegenstimme, ist der Übergang keineswegs verlaufen.
Am vergangenen Sonntag spätabends, als offenbar wurde, dass Noch-Landeschef Strobl sich anderntags erklären will, war die Verärgerung bei Hagel beträchtlich, wie in seinem Lager erzählt wird.
Außerdem macht auch die Erzählung die Runde, wonach Strobl seinen Koalitionspartner Winfried Kretschmann noch vor Hagel eingeweiht hat. Die Pläne, sagt einer der Hagel-Vertrauten spürbar verstimmt, seien mit dem Innenminister nicht zu machen: „Was in seinem Kopf vorgeht, weiß nur er.“
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Strobl weihte nur eine Handvoll Vertrauter ein
Eine Handvoll Parteifreunde zumal aus Heilbronn dürften es ebenfalls wissen. Jedenfalls war noch in der vergangenen Woche in der Heimatstadt des früheren Bundestagabgeordnete darüber spekuliert, dass der frühere Bundestagabgeordnete den Landesvorsitz „ganz bestimmt nicht“ abgeben werde. Viel Zuspruch habe er noch erfahren, hieß es in seinem Lager, es habe ein „heterogenes Bild“ vom weiteren Gang der Dinge an der Parteispitze gegeben.
Überhaupt, das Lagerdenken: Seit bald 25 Jahren zieht sich ein Graben durch den Landesverband. Damals vermochte Erwin Teufel seine Thronfolge nicht zu regeln, Günther Oetinger ging aus dem Mitgliederentscheid gegen Annette Schavan als knapper 60 Prozent-Sieger hervor, die Spaltung in Konservative und Liberale blieb bis heute. Hagel wird jetzt den Landes- und Fraktionsvorsitz in einer einzigen, nämlich seiner Hand halten. Alle bisherigen Vorsitzenden in dem 1972 aus den vier Bezirksverbänden hervorgegangenen Landesverband waren mit Ausnahme des gegenwärtigen waren Ministerpräsidenten, alle Fraktionsvorsitzenden bis zum Einzug von Winfried Kretschmann in die Villa Reitzenstein wurden ihre Nachfolger. Von der neuen Konstruktion versprechen sich viele vor allem eines: eine neue Geschlossenheit.
Die CDU liegt in Umfragen vor den Grünen
Für zusätzlichen Rückenwind unter den ins Stuttgarter Haus der Architekten angereisten Kreisvorsitzenden sorgte der neue Baden-Württemberg-Trend des Umfrageinstituts Infratest-Dimap. Im Auftrag von SWR und „Stuttgarter Zeitung“ ermittelte er 29 Prozent für die CDU, wäre am kommenden Sonntag Landtagswahl. Nur 22 Prozent für die Grünen.
Gute Werte für die Union, die für Hagel die Villa Reitzenstein in greifbare Nähe rücken. Hagel ist kürzlich auch zum Vorsitzenden aller CDU/CSU-Fraktionschefs in den Ländern gewählt worden. Er sucht auch mehr bundesweite Wahrnehmung. „Wer Zweiter ist, muss Erster werden wollen“, schielt er bereits nach dem Amt des Ministerpräsidenten.
Hagel feilt weiter am Profil der Union
Und noch bevor er sich den Segen der Kreisvorsitzenden geholt hat, erhebt Hagel per Interview den Anspruch, künftig für die Südwest-CDU eine größere Rolle in der Bundespartei zu spielen, zum Beispiel mitreden, wenn es um den nächsten Kanzlerkandidaten geht.
Und Thomas Strobl? Wirkt mit sich im Reinen. In seinem Lager verweist man darauf, dass ein offener Machtkampf verhindert wurde. Wenngleich die Gespräche mal als „liebevoll“, mal als „intensiv“ dargestellt werden. Immerhin wurde ein offener Machtkampf verhindert.
Nun steht das neue Führungsteam der Union. Hagel hat etwa in der Einwanderungspolitik andere Akzente gesetzt, die Grünen in der Nachfolgefrage unter Druck gesetzt. Er muss sich bekannter, Profil gewinnen, ohne die nun noch komplizierte Machtachse der Koalition zu gefährden.