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Debatten im Landtag vom 19. und 20. Juli 2023

Wiedereinführung von G9: Kultusministerin Schopper veranschlagt halbe Milliarde Euro

Die Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums kann teuer werden: eine halbe Milliarde Euro veranschlagt Kultusministerin Schopper. Die Opposition stellt dies in Frage - und auch das Thema Bürgerdialog sorgte für Kontroversen im Landtag.
Eine Schülerin einer Schule hat «G8» an einer Tafel durchgestrichen, «G9» daneben bleibt unberührt.

Etliche Eltern wünschen sich für ihre Kinder das neunjährige Gymnasium wieder.

dpa/dpa | Friso Gentsch)

STUTTGART. Kosten von etwa einer halben Milliarde Euro veranschlagt Kultusministerin Theresa Schopper (Grüne) für eine Wiedereinführung des neunjährigen Gymnasiums. Vor allem die SPD stellt diese Zahlen in Abrede. Außerdem übt die Opposition scharfe Kritik an der geplanten Bürgerbeteiligung zu dem heiklen Thema.

Ein Versprecher unterstreicht die Lage. „Wir stehen vor wirklich großen Ausgaben“, sagt Schopper in der von der SPD beantragten Aktuellen Debatte „Mehr G 9 ermöglichen! Ohne Warteschleife zur echten Wahlfreiheit!“. Und die Grüne korrigiert sich sofort: „Vor wirklich großen Aufgaben.“ Größte Sorgenfalten bereite ihr die Situation an den Grundschulen im Land, weil es nicht hinnehmbar sei, dass 20 Prozent der Kinder Leistungen unter den Mindeststandards erbringen und weitere 20 Prozent kaum die Regelstandards erreichen. Ihre „alleroberste Priorität“ sei, dem entgegenzuarbeiten.

Für die SPD-Fraktion ist der Umgang der Landesregierung mit dem – unbestritten vorhandenen – Elternwunsch nach Rückkehr zum neunjährigen Gymnasium schon deshalb falsch, weil neue Lehrkräftestellen überhaupt nicht anfallen. Stefan Fulst-Blei schlägt vor, einfach die 300 Wochenstunden aus dem G8 zu strecken und auf G9 zu verteilen, „dann ist keine weitere Lehrerstunde im Deputat notwendig“.  Thomas Poreski (Grüne) nannte diese Rechnung einen Zaubertick. Außerdem gebe es überhaupt nicht den Platz für einen zusätzlichen Jahrgang: „Wollen Sie allen Ernstes einen Zusatzaufwand von bis zu einer halben Milliarde Euro für das Land auslösen und ebenso viel für die Kommunen?“ Die hätten „weder das Geld noch die räumliche Kapazität“.

FDP gegen Bürgerbeteiligung zu G9

Eine zweite scharfe Kontroverse löste die von Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) angestoßene dialogische Bürgerbeteiligung an. Am vergangenen Montag wurden die ersten Weichen für die Beratungen in einem Forum aus zufällig ausgewählten Bürgern gestellt. „Lauter Argumente, aber nichts Neues“, fasste Fulst-Blei die fünfstündige Veranstaltung zusammen. Dabei sei alles ausgetauscht und das Bürgerforum allein dazu da, um G9 für das Schuljahr 2023/2024 und möglicherweise auch noch für das Schuljahr 2024/2025 zu beerdigen.

„Wir Freie Demokraten halten von dieser Bürgerbeteiligung nichts“, erklärte auch FDP-Fraktionsvize Timm Kern, „weil wir der Überzeugung sind, dass in Sachen G9 jetzt gehandelt werden kann und muss, statt weiter zu diskutieren.“ Und Kern warf der Koalition vor, das Gymnasium durch G8 weiter unattraktiv zu halten, „um das grüne Lieblingskind Gemeinschaftsschule zu unterstützen“. Auch Rainer Balzer (AfD) monierte, dass allein von Eltern und Schülern strapaziert werde durch „einen Knochen namens Bürgerdialog“.

CDU verteidigt Bürgerdialog

Eine Einschätzung, der Alexander Becker (CDU) deutlich widersprach. Der Rastatter Abgeordnete verteidigte das Bürgerforum, trotz des Bekenntnisses seiner Fraktion zum Abitur nach neun Jahren. Die dialogische Bürgerbeteiligung als „Warteschleife“ abzukanzeln, sei weder in der Sache für angemessen noch für respektvoll gegenüber den Beteiligten.

Und die Staatsrätin für Zivilgesellschaft Barbara Bosch sah sich ebenfalls aufgerufen, der Einschätzung, es handle sich bei dem Forum um einen Stuhlkreis, entgegenzutreten. Sie habe durch die Prozesse zu den unterschiedlichsten Themen „einen  großen  Respekt  vor  den  Bürgerinnen  und  Bürgern gewonnen, die mitwirken“. Am Schluss gelangten sie immer zu Empfehlungen, nicht nach dem Motto: schwarz oder weiß. Was für G8 oder G9 bedeute, dass immer auch das Wie und die Ausgestaltung mitbehandelt wird und nicht nur das Ob.

Quelle/Autor: Brigitte Johanna Henkel-Waidhofer

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Lesermeinungen

    von Mirjam Bohr-Wiens
    Thomas Poreski (Grüne) nannte diese Rechnung einen Zaubertick. Außerdem gebe es überhaupt nicht den Platz für einen zusätzlichen Jahrgang: --> Stefan Fulst-Blei hat zunächst einmal recht. Im Zweifel sind fehlende Lehrer kein Argument. Irgendwo zwischen "Strecken des G8 debutatsneutral", jetzigem G9-Modellschulen-Bildungsplan und dem, was man zukünftig möchte, könnte man sich bewegen, um einen schnellen Umstieg auf G9 für die Corona-geschädigten ehemaligen Grundschüler möglich zu machen. Das Raumthema ist kurz- und mittelfristig ebenso kaum ein Problem. Durch weniger Stunden im G9 kann man auch hier schichten; außerdem gibt es G9-Modellgymnasien, die nicht nur von G8 zu G9 zurück gekehrt sind, sondern auch in der Breite gewachsen sind (z.B. von 4 auf 6 Züge). Diese haben durch kluge Raumkonzepte, ggf. der Abkehr vom "Klassenzimmer" in höheren Stufen, und eine bessere Auslastung, das Raum-Thema ohne nennenswerte Neubauten gelöst. (Bemerkung: Da G9 ja immer noch ein auf jeweils 5 Jahre befristeter Schulversuch ist, gibt es auch keine Schulbaufördermittel, und auch die Kommunen zögern i.d.R., da es ja keine Planungssicherheit für die G9-Modellschulen gibt.) Fazit: Wo ein Wille wäre, wäre ein Weg! Die Politik tut aber das, was sie immer tut: Erstmal abwarten, schauen, ob man an die Wand fährt, dann hektisch gegensteuern und sich freuen, dass die nächsten Landtagswahlen eben erst im März 2026 sind (planmäßig). Enttäuschend ist auch die ambivalente Position der CDU, die sich als G9-Befürworter aufspielt und dennoch das große Bremsmanöver wort-wörtlich mitmacht.

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19. und 20. Juli 2023