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50 Jahre Kreisreform

Nur drei Landkreise kamen bei der Reform ungeschoren davon

Die Verwaltungslandkarte änderte sich am 1. Januar 1973 in Baden-Württemberg grundlegend. Wo früher Kreisgrenzen verliefen, waren sie plötzlich verschwunden und galten plötzlich andernorts. Drei Kreise überdauerten die Reform fast unverändert: Göppingen, Heidenheim und Emmendingen.
Kloster Neresheim

Zu welchem Landkreis das stattliche Kloster Neresheim gehören sollte, war vor 50 Jahren stark umstritten.

dpa/Zoonar/Martin Moxter)

STUTTGART. Seit 85 Jahren sind die Kreise Geislingen und Göppingen vereinigt, und selbst während der Kreisreform vor 50 Jahren hat sich im Kreis Göppingen kaum etwas verändert. Der Kreis war mit über 220 000 Einwohnern hinreichend groß. Göppingens Landrat Paul Goes saß in der von Regierungsseite eingesetzten Reformkommission. Da sollte nichts anbrennen. Doch hitzig wurde es dennoch.

Dafür sorgte der Göppinger CDU-OB Herbert König. Dieser schlug im April 1970 unabgesprochen einen Hohenstauferkreis vor, der die Kreise Göppingen und Schwäbisch Gmünd sowie Teile Kirchheims vereinen sollte. Die lokale Presse, so Kreisarchivar Stefan Lang, jubilierte. Auch die Gmünder Kreisräte liebäugelten mit dem Vorschlag angesichts der ungeliebten Zwangsliaison mit Aalen. Dagegen habe es Kopfschütteln in Kirchheim und Ärger im Göppinger Landratsamt gegeben – Kreistag und Landrat fühlten sich düpiert. In Stuttgart herrschte Zurückhaltung.

Schwäbisch Gmünd konnte sich nicht entscheiden

Verhandlungen zwischen Göppinger und Gmünder Kreisräten scheiterten. Ein erneuter Vorstoß zum Hohenstauferkreis von der Göppinger Kreis-CDU half nicht. Die Gmünder blieben unentschlossen, so Lang, und forderten, dass Göppingen sich seinerseits Schwäbisch Gmünd anschließe und in den Regionalverband Ostwürttemberg eintrete. Zudem gab es Gezerre zwischen den Kreisen um Degenfeld, Wißgoldingen und Maitis, die Göppingen zugeschlagen werden sollten.

Maitis wechselte tatsächlich den Kreis – 1972 als Stadtteil Göppingens. Der Kreis Schwäbisch Gmünd ging im Ostalbkreis auf und Göppingen hat seine Grenzen fast vollständig erhalten. Daher feiert der Kreis ein eigenes Jubiläum: 85-jähriges Bestehen – wohl auch, um Zusammenhalt zu stiften. Seit Jahren erwägen Geislingen und fünf Umlandkommunen den Wechsel zum Alb-Donau-Kreis.

Während Göppingen also erst gelassen auf die Kreisreform reagierte, sorgte das Denkmodell, die Grundlage des Innenministeriums zur Reform, im Nachbarkreis Heidenheim für Aufregung. Der Kreis sollte trotz seiner 126 000 Einwohner mit Aalen und Schwäbisch Gmünd fusionieren. Entwarnung verschafften folgende Gutachten, die den Landkreis erhalten wollten, ein Erfolg der Heidenheimer Lobbyarbeit.

Was die Kreisreform für den Südwesten bedeutet

Vor 50 Jahren trat die Kreisreform in Kraft. Aus ehemals 63 teils sehr kleinen Landkreisen wurden 35 neue Gebietskörperschaften. Die Große Koalition in Stuttgart zwischen SPD und CDU, sie bestand von 1968 bis 1972, hat das Projekt angeschoben. Die mit der Gebietsreform angedachte große Funktionalreform kam erst 2005 zustande.
In einer Serie befasst sich der Staatsanzeiger mit den Voraussetzungen, Wirkungen und der Geschichte der Kreisreform. In dieser Ausgabe beleuchten wir die Hintergründe, warum drei unterschiedliche Landkreise die große baden-württembergische Reform ohne nennenswerte Änderungen überstanden haben.

Unklar blieb, ob Neresheim von Aalen nach Heidenheim wechseln sollte. Heidenheim hätte die Stadt gerne ins Kreisgebiet integriert, so Kreisarchivar Markus Baudisch. In Neresheim selbst gab es bei einer Volksbefragung sowie im Gemeinderat knappe Mehrheiten für den Kreiswechsel. Der Landtag kassierte das Vorhaben: Ministerpräsident Hans Filbinger (CDU) sprach sich dagegen aus, und die Kreisreform war für Heidenheim Geschichte.

Der Kreis Emmendingen erlebte während der Reform Extreme: Erst sollte der Kreis in einem neuen Konstrukt rund um Freiburg aufgehen. Dann war die Aufteilung Emmendingens zwischen Lahr im Norden und Freiburg im Süden im Gespräch, die Fusion mit dem Kreis Lahr und schließlich ein um Ettenheim vergrößerter Kreis. Es blieb bei den alten Kreisgrenzen. Nur Jechtingen kam als Ortsteil von Sasbach am Rhein hinzu.

Der Kreistag lehnte die Vorschläge verschiedener Gutachten konsequent ab. Dennoch stand die Existenz des Kreises am 23. Juli 1970 auf der Kippe. Nach Mitternacht ging es im Sonderausschuss zur Kreisreform im Landtag um Emmendingen und der Teninger Bürgermeister und SPD-Landtagsabgeordnete Josef Schmidt merkte, dass ihm die Argumente für den Kreis ausgingen. Später sprach er vom „letzten rettenden Gedanken“ als er das Wort „Lahr“ aussprach. Überraschung: Sein Vorschlag, Emmendingen mit dem nördlichen Nachbarkreis zu fusionieren, stieß auf Zustimmung. Doch damit begannen neue Probleme.

Mit Schmähvers Richtung Offenburg

Keine Seite wollte die Eigenständigkeit aufgeben oder den Sitz des Landratsamts verlieren. Nachdem der Südbadener Filbinger erst den Lahrern das Landratsamt versprochen hatte, gab er doch der Hartnäckigkeit aus Emmendingen nach. „Gott bewahr’ uns vor drei Dingen: Hunger, Pest und Emmendingen“, lautete damals der Spruch, mit dem die Lahrer sich Offenburg zuwandten. Die geplante Norderweiterung Emmendingens um die Gemeinden rund um Ettenheim verlor sich während der Gesetzgebung. Am Ende blieb Jechtingen als Zugabe.

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