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Kommentar

Boris Palmer tritt bei den Grünen aus – und macht damit das einzig Richtige

Tübingens Oberbürgermeister tritt bei den Grünen raus. Damit mache er das einzig Richtige, findet Chefredakteur Rafael Binkowski.
Tübingens OB Boris Palmer

Boris Palmer ist aus der Grünen-Partei ausgetreten.

dpa/ Pressebildagentur ULMER | Ulmer)

TÜBINGEN. Es war ein langer Entfremdungsprozess. Von Winfried Kretschmann gefördert, in der Landespartei verwurzelt, ist er tief gestürzt. Seine beste Zeit war während der Schlichtung zu Stuttgart 21, als er mit profundem Fachwissen und messerscharfer Rhetorik die Öffentlichkeit wie die Fachwelt zu begeistern konnte. Palmer reiste durchs Land, gab Baumschnittkurse – und galt als große Nachwuchshoffnung der Partei. Doch dann geriet er auf Abwege. Manche sagen: Der Remstalrebell brach ihn ihm durch, das unbedingte Rechthaben-Wollen.

Dieser Wesenszug mag sich mit längeren Amtszeiten verfestigen. Bei Palmer kam jedoch noch etwas anderes dazu. Einmal verfiel er der Verlockung, in sozialen Medien mit allen alles ausdiskutieren zu wollen. Bis tief in der Nacht verrannte er sich in Detaildiskussionen mit Bürgern. Zunächst über kommunalpolitische Themen, doch dann entdeckte er identitätspolitische Ansätze. Es ging um Ausländer, Transgendersprache, und den in rechtspopulistischen Kreisen verbreiteten Duktus „Das wird man wohl doch noch sagen dürfen“.

Beifall von falscher Seite

Während er in Tübingen unbestrittenermaßen eine vorbildliche Umweltpolitik verwirklichte, wurde Palmer zum Stichwortgeber der rechten Szene, trat in Talkshows auf. Der Beifall von falscher Seite mag ihm gefallen haben, manche Kritik an ihm schoss weit übers Ziel hinaus. So auch die aktuelle – ein Nazi oder ein Rechter war Boris Palmer nie und wird er auch nie sein. Aber zusammen mit einer sich verfestigenden Rechthaberei entwickelte sich eine Struktur von Aktion und Gegenreaktion, aus der Palmer selbst keinen Ausweg mehr fand.

Insofern ist sein aktueller Schritt, aus den Grünen auszutreten und sich eine Auszeit zu nehmen, nicht nur richtig – sondern zeugt auch von etwas, was man dem Tübinger OB bislang nicht zugetraut hat: Selbsterkenntnis. Er will sich professionelle Hilfe suchen, um sein aufbrausendes Temperament zu zügeln. Dies öffentlich zu bekennen, zeigt nicht nur von Einsicht, sondern auch dem Wunsch, aus dieser Spirale auszubrechen.

Ein besonnener Palmer wäre ein Gewinn

Gelingt dies – und anders als bei früheren Bekenntnissen muss nun auch wirklich etwas passieren – kann der soeben erst wiedergewählte Palmer wieder das sein, was seine Stärke ist: ein guter OB, der zuhört und Außergewöhnliches umsetzt. Das Tischtuch zu den Grünen ist zerschnitten, doch für Tübingen und den Rest der politischen Öffentlichkeit wäre ein besonnener, kluger und sachlich argumentierender Palmer ein Gewinn.

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