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Femizide: Innenminister Strobl kündigt erste Bürgerbefragung an
STUTTGART. Am 16. Februar 2022 hatte ein 59-jähriger Polizeibeamter in Kirchheim unter Teck seine Ehefrau mit seiner Dienstwaffe erschossen und sich danach selbst getötet. Dieses Ereignis in ihrem Wahlkreis war Anlass für die CDU-Abgeordnete Natalie Pfau-Weller, im Landtag nachzuhaken, was gegen Gewalt, die sich gegen Frauen richtet, getan wird. Der Landtag debattierte zu einem Antrag der CDU-Fraktion zur Verhinderung von Femiziden in Baden-Württemberg.
Der Begriff Femizid ist laut Pfau-Weller nicht klar definiert. Je nach Auslegung reiche das Verständnis von „jede Tötung von Frauen und Mädchen“ bis zu „die Tötung von Frauen, weil sie Frauen sind“. Unter den Begriff fallen Morde an Frauen im Namen der Ehre ebenso wie Morde an Frauen innerhalb und außerhalb einer Partnerbeziehung. 2021 wurde rechnerisch in Deutschland alle drei Tage eine Frau von ihrem Ehepartner oder ihrem Ex-Partner ermordet. „Tatmotive sind Besitzdenken, patriachalische Frauenverachtung, sexuelle Frustration oder auch genereller Frauenhass“, so Pfau-Weller. Sie forderte, dass stärker zu häuslicher Gewalt aufgeklärt werden müsse.
Grüne fordern mehr Aufklärung
Dem schloss sich auch Fadime Tuncer (Grüne) an. Angesetzt werden müsse bei Aufklärung, Schutz und Prävention. Dazu zähle auch, bereits in der frühkindlichen Bildung anzusetzen. Kinder müssten von Anfang an für die Themen Vielfalt, Freiheit, Gleichberechtigung der Geschlechter und Menschenrechte sensibilisiert werden. Sie sprach von immer noch vorhandener Machtungleichheit zwischen den Geschlechtern, was Männern auch den Eindruck vermittle, dass sie über Frauen stünden. „Die Täter können in der Regel den Emanzipationsprozess der Frau nicht ertragen. Eine starke unabhängige Frau passt nicht in ihr patriachalisches Weltbild“, sagte sie.
Boris Weirauch (SPD) sagte, dass jeder Femizid „ein Angriff auf unsere Gesellschaft und unsere verfassungsmäßige Ordnung“ sei. Während die Landesregierung in der Antwort auf den Antrag der CDU-Fraktion mit Blick auf Femizide keine strafrechtliche Regelungslücke sieht, forderte er im Namen der SPD-Fraktion, dass jeder Täter, der aus Frauenhass tötet, regelmäßig als Mörder bestraft werden müsse. Da ziehe im Gegensatz zum Totschlag eine lebenslange Haftstrafe nach sich. Das Motiv des Femizid müsse strafverschärfend berücksichtigt werden.
„Dies ist kein importiertes Problem“
Zugleich macht er deutlich, dass Femizide nicht mit Begriffen wie Eifersuchtsdrama, Ehedrama oder Ehrenmord verharmlost werden dürften. Dem schloss sich auch Julia Goll (FDP) an. „Ein Mord an einer Frau, an einem Mädchen hat niemals etwas mit Ehre zu tun“, sagte sie. Zugleich betonte sie in Richtung der AfD, dass Femizide und Gewalttaten an Frauen keine Erscheinung der letzten Jahre seien und auch nicht erst durch Geflüchtete aufgetreten seien. Über 65 Prozent der Tatverdächtigen bei Partnergewalttaten seien Deutsche. „Dies ist kein importiertes Phänomen, sondern unser eigenes Problem, dass wir endlich wirksam angehen müssen“, so Goll.
Daniel Lindenschmid (AfD) sah das anders. Für ihn liegt der Verdacht nahe, „dass es sich zu einem beträchtlichen Teil um ein importiertes Problem handelt“. Laut Statistik liegt der Anteil ausländischer Staatsangehöriger bei Gewalt in Ehe und Partnerschaft bei rund 30 Prozent. Über den Anteil den zusätzlich dazu Täter mit statistisch nicht erfasstem Migrationshintergrund ausmachten, könne man nur spekulieren.
Strobl kündigt Bürgerbefragung an
Innenminister Thomas Strobl (CDU) betonte, dass die Polizeiliche Kriminalstatistik nur das Hellfeld abbilde. Man wolle nun das Dunkelfeld ausleuchten. Gestartet werde noch in diesem Sommer im Rahmen der kriminologischen Forschung gemeinsam mit der Hochschule für Polizei mit einer ersten Bürgerbefragung. „Wir erhoffen uns noch bessere Erkenntnisse zu gezielt gegen Frauen gerichtete Straftaten“, so Strobl.
Auf Initiative Baden-Württembergs hat die Innenministerkonferenz bereits 2021 eine Bund-Länder Arbeitsgruppe zur Analyse von Femiziden eingerichtet. Das Bundeskriminalamt wird ab dem Berichtsjahr 2023 ein Lagebild geschlechtsspezifisch gegen Frauen gerichteter Gewalt veröffentlichen, kündigte Strobl ein Ergebnis an. Ziel seien evidenzbasierte Grundlagen für Prävention und Bekämpfungsmaßnahmen.
Mit einem vom Bund geförderten Forschungsprogramm zur polizeilichen Gefährdungsanalyse zu Tötungsdelikten in Partnerschaft und Familie im Polizeipräsidium Ravensburg soll zudem die Kompetenz der Polizei zur Gefährdungsanalyse und Früherkennung sich anbahnender Tötungsdelikte in Partnerschaften und Ex-Partnerschaften gestärkt werden. Warnsignale sollen frühzeitig identifiziert werden und Kriterien für der Bewertung abgeleitet werden, so Strobl.