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Neuer AfD-Fraktionschef: Der Generationswechsel, der kein Stilwechsel ist
STUTTGART. Groß ist die Erwartungshaltung der Presse, als sich der Neue am Donnerstag erstmals öffentlich vorstellt. „Es gab einen Generationswechsel im Vorstand“, sagt Baron im Medienzentrum des Landtags schlicht, „ich bedanke mich für den Vertrauensvorschuss.“ Sein Sprecher kündigt an, auf die Bürger und Journalisten zuzugehen. Der neue Mann, der in Kasachstan geboren ist, Verfahrensmechanik studiert hat und bis zur Wahl in den Landtag 2016 in Künzelsau als Produktmanager bei einem Mittelständler arbeitete, tritt verbindlich auf.
Dabei liegt hinter ihm ein harter Machtkampf. Nach dem überraschenden Rücktritt des Fraktionsvormannes Bernd Gögel Ende Dezember aufgrund eines Strafbefehls wegen Schwarzarbeit formierten sich die beiden Lager in der Fraktion. Einmal der nationalistisch-völkische Flügel, der dem Thüringer AfD-Chef Björn Höcke nahesteht und auf harte Systemopposition setzt. Und das moderate Lager, für das Gögel stand, der mit ehemaligen CDU-Positionen bürgerliche Wähler ansprach.
Der 73-jährige Emil Sänze aus dem Wahlkreis Rottweil, der seit Juli mit Markus Frohnmaier die Landespartei führt, gilt als Vertreter des ehemaligen „Flügels“ um Höcke. Nach mehreren Wahlgängen setzte sich knapp Anton Baron durch, der als Vertrauter des ehemaligen Parteichefs Bernd Meuthen gilt.
Präsidialrat argumentiert mit Erfahrung des Konkurrenten
Sänze zeigte sich enttäuscht, sprach gegenüber der Presseagentur dpa davon, er habe „noch nie ein Profil“ bei Baron erkannt. Auch auf Facebook kommentierte ein AfD-Anhänger: „Mit dieser Wahl wurden leider alle Weichen in der Fraktion in Richtung CDU 2.0 und Meuthen-Kurs gesetzt.“ Baron versucht, die Misstöne wegzumoderieren. „Ich empfehle immer, einen Tag darüber zu schlafen, bevor man sich äußert“, sagt er zum Staatsanzeiger. Flügelkämpfe könne er nicht erkennen.
Wer ist der neue Mann? Durch große Rhetorik ist er bislang wenig aufgefallen, gilt aber als umgänglich und freundlich, trotz vieler Zwischenrufe im Parlament. Seine Anfragen im Landtag umfassen viele Sachthemen, von der Zahnarztversorgung im Hohenlohekreis über die Kochertalbahn bis hin zu Windkraftanlagen. „Man merkt seine regionalspezifische Verortung“, sagt Michael Wehner, Politikwissenschaftler bei der Landeszentrale für politische Bildung in Freiburg, „die Anfragen wirken parlamentarisch gemäßigt.“ Es sei aber schwierig, Baron politisch zu verorten.
Wehner fragt sich auch, ob der gemäßigte Kurs hin zu mehr Sachpolitik statt Krawall auch taktischer Natur ist. „Die Einstufung als Verdachtsfall durch den Verfassungsschutz kann da eine Rolle spielen“, sagt Wehner. Gleichzeitig bemerkt er eine Art „Domestizierung“ der Fraktion durch den Landtagsbetrieb, ganz ähnlich wie bei den „Republikanern“ in den 90er-Jahren.
AfD will gegen Einstufung als Verdachtsfall klagen
Gegen die Einstufung als Verdachtsfall will die AfD übrigens klagen, wie der Fraktions- und Landesvize Udo Stein am Donnerstag erklärt. Baron betont, er bemühe sich um ein sachliches Auftreten, will die AfD auch auf anderen Themenbereichen jenseits der „Migrationskrise“ sattelfest machen. Dies wird am Donnerstag auch sichtbar: Nach der Fraktionsklausur stellt die Partei konkrete landespolitische Forderungen. Eine Eigenheimzulage von 10 000 Euro etwa, den Neustart von Atomkraftwerken und ein Sondervermögen für die Stromtrasse Suedlink.
Die spannende Frage ist, ob Baron wie sein Vorgänger Gögel die Fraktion zusammenhalten kann. Vor allem an der Basis der Landespartei ist der völkische Flügel stark aufgestellt. Der Politikwissenschaftler Michael Wehner analysiert die Lage so: „Es ist noch völlig offen, wie der Machtkampf in der Partei zwischen den beiden Flügeln endet. Und wo das Machtzentrum ist.“
Kommentar von Rafael Binkowski
AfD: Die Partei steht am Scheideweg
Der befürchtete Rechtsruck ist ausgeblieben. Hätte Emil Sänze neben dem Landesvorsitz auch noch den Fraktionsvorsitz errungen, wäre er nicht nur der starke Mann der Südwest-AfD geworden. Es hätte auch den sachlichen und auf bürgerliche Umgangsformen achtenden Kurs von Bernd Gögel wohl beendet – und das Konzept einer harten Systemopposition für Partei und Fraktion bedeutet.
Der überraschend gewählte 35-jährige Anton Baron schlägt zumindest vom Stil her versöhnliche Töne an, will das Verhältnis zur Presse verbessern und der Partei ein seriöseres, professionelleres Auftreten geben. Und nicht zuletzt die Konzentration der Sacharbeit auf Migranten und Kriminalität aufweichen, und die Partei auf landespolitischen Feldern wie Bildungs- und Sozialpolitik sprechfähig machen. Klar ist aber auch: Der Machtkampf ist längst nicht entschieden, die völkisch-nationalistischen Anhänger von Björn Höcke sind an der Basis stark vertreten. Als „Verdachtsfall“ wird die AfD weiter beobachtet – auch das kann ein Grund für konzilianteres Auftreten sein. Es wird am neuen Fraktionschef liegen, die zentrifugalen Kräfte in der Partei zu bündeln.