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Serie Rathäuser

Die Fassade des Rathauses zeigt die Geschichte von Kißlegg

In Kißlegg fordert die Verwaltungsarbeit im Rathaus Kompromisse ein - freilich nur, wenn es um das Gebäude selbst geht. Das ist über neun Jahrzehnte alt und besitzt gewisse bauliche Rahmenbedingungen.

Rechts das Rathaus von Kißlegg im Allgäu. Die Wandgemälde bieten einen guten Einstieg, um die Meilensteine des Ortes kennenzulernen– von der Ersterwähnung 824 bis zur Gemeindereform 1972.

Gemeinde Kißlegg )

KISSLEGG. Der beste Einstieg in die Geschichte des Ortes Kißlegg (Kreis Ravensburg) im Westallgäu ist die Fassade des Rathauses im Ortskern. Das Grundprinzip lautet: Was – die Kommune betreffend – wirklich von Bedeutung ist, wird dort in Graffitotechnik eingraviert. Beispielsweise die Tatsache, dass der Ort Kißlegg – damals noch unter anderem Namen – zum ersten Mal im Jahre 824 urkundlich erwähnt ist und dass der Ort von König Wenzel 1394 das Marktrecht und die niedere Gerichtsbarkeit verliehen bekommen hat. Oder dass 1934 und 1972 Eingemeindungen stattfanden.

Das Gebäude selbst stammt aus dem Jahr 1931, obwohl es vom Stil her viel älter erscheint und wie ein kleines Schloss daherkommt.

Ein zeitgenössische Bericht zur Einweihung vermerkt, dass die Stadt für 36 000 Mark einen „Baumgarten“ erworben hat, um das Rathaus dort bauen zu können. Gemeint ist damit ein Schlosspark früherer Adelsgeschlechter, die im Ort über viele Jahrhunderte das Sagen hatten und die Kommune prägten – etwa mit dem eigentlichen Schlossbau, der sich auf der anderen Seite des Platzes befindet und als „Neues Schloss“ bezeichnet wird.

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Dort ist beispielsweise das Gäste- und Bürgerbüro untergebracht, auch der Gemeinderat tagt hier. Der Bericht vermerkt außerdem nicht ohne Stolz, dass man den Bau für 64 000 Mark errichtet habe und das Budget um rund 3000 Mark unterschritten worden sei.

Arbeiten in der alten Substanz hat besonderen Reiz

Abgesehen von einigen wenigen Neuerungen baulicher Art befindet sich das Gebäude noch in seinem „Urzustand“. Lediglich an einigen Stellen wurden Wände eingezogen oder Veränderungen vorgenommen, um Platz zu gewinnen. Dieses Arbeiten in der alten Substanz hat für Bürgermeister Dieter Krattenmacher (CDU) einen besonderen Reiz. Den Reiz nämlich, in diesem über 90 Jahre alten Gebäude gute Verwaltungsarbeit abzuliefern. Ihm ist klar, dass beispielsweise in energetischer Hinsicht das Rathaus „nicht so zu optimieren ist, wie man das in einem neuen Gebäude heute machen würde“. Das sei natürlich ein Nachteil, gibt er zu.

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Aber: „Die Mitarbeitenden fühlen sich hier wohl, das Haus atmet die Geschichte mit.“ Insgesamt sind – den Bürgermeister und sein Team eingerechnet – 20 Personen des Hauptamts sowie des Bau- und Umweltamts in diesem Gebäude beschäftigt, ebenso wie der Mitarbeiter der Leader-Geschäftsstelle unter dem Dach, der für mehrere Kommunen zuständig ist. Neben dem Neuen Schloss gibt es ein weiteres Verwaltungsgebäude, das Dr.- Franz-Reich-Haus, in dem die Finanzverwaltung sitzt.

Für Mitarbeitende gibt es eine Duschgelegenheit

Man habe noch keine Sekunde überlegt, ob man in modernere Räume umziehen möchte, sagt Krattenmacher, der seit 17 Jahren im Amt ist, über das Rathaus. Das Leben in der Verwaltung hier in Kißlegg mit diesem Gebäude sei eben ein Kompromiss. Das dokumentiert sich zum Beispiel darin, dass eine nicht benötigte Tür von einer Seite verkleidet wurde, um auf der anderen Seite einen Kopierer platzieren zu können. „Die Tür ist aber noch da, falls nachfolgende Generationen das mal anders machen wollen“, betont Krattenmacher. Noch da sind auch einige andere Dinge, die heute eher zum Schmunzeln anregen. Das gilt für den „Dorfarrest“, den früher ein Rathaus oft beherbergte. Heute wird der Raum als Lager genutzt. Gleichzeitig ist das Rathaus modern: Für Mitarbeitende gibt es eine Dusche.

An einigen Stellen blitzt auf, dass der Ort eine große Handwerkertradition besitzt. Im Büro des Bürgermeisters befindet sich ein Nebenraum mit Besprechungstisch aus massiver Kißlegger Buche. Der örtliche Handwerker hat ihn eingepasst. Oder der Schreibtisch des Bürgermeisters: Das Holz dafür stammt vom Birnbaum aus dem Garten des Rathauschefs. Den Tisch hat er der Gemeinde geschenkt. Handwerker würden auch benötigt, wenn auf der Fassade des Rathauses noch weitere Eingravierungen nötig werden. Etwa dann, wenn die Gemeinde Kißlegg zur Stadt erhoben wird. Platz wäre da jedenfalls noch.

Quelle/Autor: Marcus Dischinger

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