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Kommentar zu Brandbriefen: „Es geht um die Keimzelle der Demokratie“

Staatsanzeiger-Redakteur Michael Schwarz verurteilt die Drohbriefe gegenüber Bürgermeistern, die von radikalen Corona-Gegnern verfasst wurden. "Wenn Gegner der Corona-Maßnahmen in die Privatsphäre von Politikern eindringen, wenn Reporter bedroht und geschlagen werden, ist der Moment erreicht, an dem sich die Demokratie wehrhaft zeigen muss."

STUTTGART. Alle Deutschen haben das Recht, sich ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln. So steht es im Grundgesetz, und das ist gut so. Die Versammlungsfreiheit gehört neben der Meinungs- und der Pressefreiheit zu den zentralen Pfeilern der Demokratie: Und die ist bekanntlich keine, wenn nicht gestritten wird, wie Helmut Schmidt zurecht bemerkte.

Doch für jedes Grundrecht gibt es Grenzen. Sie sind durch Gesetze formuliert, vor allem aber durch die Abwägung mit anderen Rechtsgütern. Etwa das Recht auf körperliche Unversehrtheit. Oder die Presse- und die Meinungsfreiheit.

Lokalpolitiker werden besonders hart getroffen

Wenn Gegner der Corona-Maßnahmen in die Privatsphäre von Politikern eindringen, wenn Reporter bedroht und geschlagen werden, ist der Moment erreicht, an dem sich die Demokratie wehrhaft zeigen muss. Besonders hart werden Lokalpolitiker getroffen. Weil ihnen – anders als Ministerpräsidenten – kein Personenschutz zusteht.

Deshalb lässt der Brandbrief aufhorchen, den jetzt das Netzwerk junge Bürgermeister*innen veröffentlicht hat und der nur einen Schluss zulässt: Die Keimzelle der Demokratie ist in Gefahr. Immer stärker träten, so die Verfasser, Kommunen in den Fokus der Kritiker der Corona-Politik. Das gehe von Drohbriefen über Sachbeschädigungen bis zu Brandanschlägen. Dabei werden die Rathauschefs für etwas verantwortlich gemacht, für das sie in doppelter Hinsicht nichts können: Weder das Coronavirus noch die zugehörigen Maßnahmen haben einen kommunalen Ursprung.

Staat muss dagegen vorgehen

Die zunehmende Verrohung von Teilen der Gesellschaft zeigt sich in „Spaziergängen“, die nicht nur angesichts der Symbolik – brennender Fackeln – an das dunkelste Kapitel der deutschen Geschichte erinnern. Dagegen muss der Staat eingreifen. Er darf es nicht dulden, dass seine lokalen Repräsentanten Freiwild werden. Es wird nicht möglich sein, neben jedes Haus eines Bürgermeisters einen Polizisten zu stellen. Anders sieht es aus, wo konkrete Drohungen im Raum stehen: Dann muss auch ein Rathauschef Personenschutz bekommen.

Das eigentliche Problem wird man jedoch nur in den Griff bekommen, wenn es gelingt, jene zu erreichen, die meinen, sie dürften ihr Recht über das von anderen stellen. Dazu gehört Härte: Straftäter müssen konsequent verfolgt und bestraft werden – auch zur Abschreckung jener, die ähnlich ticken, aber noch nicht straffällig geworden sind.

Es braucht aber auch Dialog – zumindest mit jenen, die noch erreichbar sind. Ansonsten droht der Spalt, der durch die Gesellschaft geht, noch tiefer zu werden. Wenn keiner mit keinem mehr redet und alle sich im Recht fühlen, ist die Demokratie in den Grundfesten gefährdet.

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