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Wegen Corona-Maßnahmen: Attacken auf junge Bürgermeister häufen sich
STUTTGART. 27 junge Bürgermeister und Bürgermeisterinnen aus ganz Deutschland haben in einem Brief öffentlich auf gegen sie gerichtete Attacken durch Gegner der Corona-Maßnahmen hingewiesen. „Seit Dezember häufen sich Vorfälle, welche nicht hinnehmbar sind“, heißt es in dem Schreiben, das vom bundesweiten Netzwerk Junge Bürgermeister und Bürgermeisterinnen initiiert wurde.
Auch in Baden-Württemberg hat sich die Situation verschärft, wie zwei Rathauschefs im Interview erklären: Martin Aßmuth (parteilos), Bürgermeister von Hofstetten (Ortenaukreis), und Michael Salomo (SPD), Oberbürgermeister von Heidenheim, der auch Sprecher des Netzwerks Junge Bürgermeister und Bürgermeisterinnen ist.
Wurden Sie schon einmal persönlich angefeindet?
Martin Aßmuth: Ich habe zwei kleine Kinder, fünf und zwei Jahre. Ich wurde privat unterwegs auf offener Straße angeschrien, was meine Kinder verstört hat. Kürzlich war die Treppe meines Privathauses mit Infoflyern von Corona-Kritikern „dekoriert“. In der Nachbarschaft war das nicht der Fall, hier hat jemand ganz bewusst mein Haus ausgesucht. Aus Baden-Württemberg kann ich Beispiele nennen, dass sich Kolleginnen und Kollegen aufgrund diverser Vorfälle in psychologischer Betreuung befinden. Ich kann Beispiele von toten Tieren vor der Haustüre, von zerschlagenen Autoscheiben und zerstochenen Autoreifen nennen. Erst heute Morgen hat eine Kollegin erzählt, dass über der privaten Einfahrt ein Drahtseil gespannt wurde.
Martin Aßmuth, Bürgermeister von Hofstetten
Foto: Gemeinde Hofstetten
Michael Salomo: Wir vertreten überparteilich bundesweit 680 junge Bürgermeister und Bürgermeisterinnen. Hier gibt es ganz diverse Situationen. Bei manchen wird auch privat zuhause aufmarschiert, was dazu führt, dass auch die Kinder und die Familie betroffen sind. Als Kommunalpolitiker gilt man immer wieder als Ansprechpartner für Dinge, für die man eigentlich nicht zuständig ist, zum Beispiel für die Corona-Problematik.
Michael Salomo, Oberbürgermeister von Heidenheim
Foto: Heidenheim
Wie kann man wieder mehr Sachlichkeit in politische Auseinandersetzungen bekommen?
Salomo: Wir müssen auf Bundes- und Landesebene diskutieren, wo der Bürgerschaft der Schuh drückt.Hier könnte man viel Druck aus dem Kessel nehmen, wenn man auf die kommunalen Mandatsträger zugehen würde und die Handlungsspielräume vor Ort wieder vergrößert. Die Zuständigkeiten von Bund, Land und Kommunen sind so verquickt. Man muss miteinander reden und Ideen und Vorschläge auch von unten nach oben geben können.
Aßmuth: Die Corona-Politik kann man hier als Beispiel nennen, Stichwort „Fasnet“. Erst sind die Umzüge durch die Corona-Verordnung des Landes untersagt worden, jetzt sind sie wieder zulässig, mit dem Halbsatz, dass die zuständige Behörde vor Ort darüber zu befinden habe. Das führt dazu, dass ich als Bürgermeister mit vier Narrenzünften im Gespräch bin, wie wir die landesgesetzlichen Vorgaben umsetzen können. Mancher Bürger fühlt sich jetzt vielleicht weniger mitgenommen, weil die Regeln wieder geändert wurden. Das ist nur ein Beispiel von vielen. Hier sollten kommunale Entscheidungsträger in der Zukunft anders einbezogen werden. Wir sind diejenigen, die vor Ort schauen, wie man die Regeln umsetzen kann.
Salomo: Manchmal ist es besser, sich mehr Zeit zu nehmen, als am Samstag eine Verordnung zu verabschieden, die am Sonntag in die Rathäuser kommt und ab Montag gilt. Hier sollte die Realität in den Schul- oder Rathausverwaltungen beachtet werden.
Wie kann der Austausch zwischen Zusammenschlüssen wie dem Netzwerks Junge Bürgermeister und den höheren Ebenen langfristig besser gelingen?
Salomo: Es ist wichtig, dass die Gesetze und Verordnungen, die in Berlin und Stuttgart gemacht werden, mit uns besser abgestimmt werden. Es gibt schon Kooperationen, insbesondere von unserem Netzwerk mit dem Bundespräsidialamt.
Was ist für Sie trotz aller Probleme das Schöne am Beruf des Bürgermeisters?
Aßmuth: Ich bekomme immer wieder positives Feedback aus der Bürgerschaft. Das zeigt mir, dass ich vieles richtig und gut mache. Bürgermeister sein ist ein toller Job. Als ich jedoch angefangen habe, waren die Tage, an denen ich viel gestalten konnte, deutlich mehr als während der Corona-Pandemie. Andere Bürgermeister aus meinem direkten Umfeld sagen mir, dass sie nach ihrer aktuellen Amtsperiode nicht mehr antreten wollen.
Salomo: Bürgermeister ist ein unwahrscheinlich spannender Beruf, weil Sie von der Geburt bis zum Friedhof an allem beteiligt sind, was einen Menschen betrifft. Es gibt aber, und das ist das Besorgniserregende, einen Personalmangel in der öffentlichen Verwaltung bis 2030 von 730 000 Personen, was auch den Bürgermeisterberuf betrifft. Und manche Kollegen sind nicht mehr bereit, so gern sie den Beruf machen, für die Allgemeinheit einzustehen, wenn man von einer Minderheit derart attackiert wird.
Lesen Sie einen Kommentar dazu von Politik-Redakteur Michael Schwarz.